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Das Tagebuch des Herzogs von Croy

Es roch nach Schnee am Montagabend, wenn man auf das prachtvoll funkelnde Rokokoschlösschen im Stadtgarten zuschritt. Federhüte und Perücken huschten an den Fenstern im ersten Stock vorbei. Fast meinte man, dass des Bürgermeisters Stahl Gattin in ihrem Lustschloss wieder einmal zum Ball geladen hätte.

Mittwoch, 07. Dezember 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 55 Sekunden Lesedauer

Von Brigitte Düppe
AUTOREN. Gar nicht so abwegig, diese Assoziation aus der prächtigen Vergangenheit des Hauses, denn genau in jene Zeit wollte der Schriftsteller und Publizist Hans Pleschinski die zahlreichen Zuhörer mitnehmen. Allerdings nicht ins damalige Gmünd, sondern ins Frankreich des 18. Jahrhunderts.
Raum und Ouvertüre hätten passender nicht sein können. Da traf OB Richard Arnold bei seiner Begrüßung genau das Empfinden aller Anwesenden. Die Sängerinnen und Sänger vom Liederkranz Weiler unter der Leitung von Kathrin Bechstein hatten nämlich zu diesem Anlass ihre zauberhaften Kostüme ausgepackt und just am 220. Todestag von W. A. Mozart mit begeisternden Chorbeiträgen aus Figaros Hochzeit und Titus in diese Lesung perfekt eingeführt. Der Zeitsprung war geglückt.
Tilman Krause, Literaturredakteur der Tageszeitung Die Welt, spielte an diesem Abend als Moderator einen ebenbürtigen Part.
Der Herausgeber dieses Werks, in allen gängigen Feuilletons wie sein Werk gelobt und empfohlen, sei schlicht „der“ Publizist, der sich im 18. Jahrhundert auskennt, so Krause. Ausgezeichnet mit vielen renommierter Preisen hat Pleschinski sich diese Mal ans Übersetzen und Auswählen von bis zu 12 000 Seiten des Tagebuchs des Herrn von Croy gemacht, eine für ihn erfrischende Arbeit zwischen seinen Romanen, bei der sich die damalige Zeit „entfaltete wie einen Rokokofächer“, wie er betonte.
Geboren 1718, fast ein Altersgenosse Friedrichs d. Großen, war Croy in erster Linie ein tüchtiger französischer Militär, unterhielt 120 Bedienstete, war Gouverneur von drei Provinzen, hatte sich hochgedient und konnte sich dennoch 1783, kurz vor seinem Tod, nicht so recht über seinen letzten Karrieresprung zum Marschall von Frankreich freuen. 15 Jahre hatte er daran gearbeitet, zu den gesellschaftlich alles entscheidenden königlichen Soupers zugelassen zu werden. Moderne Lobbyarbeit! Nur ein kleines Zimmerchen in der Machtmetropole Versailles durfte er sein eigen nennen. Das mag daran gelegen haben, dass er eben keiner war, der sich im höfischen Intrigentheater hochbücken wollte, kein Liebediener.
Gekonnt haben Krause und Pleschinski dem Gmünder Publikum Textpassagen ausgewählt, die einen immer enger in das Geflecht der damaligen Geschehnisse hineingenommen haben. Die Stadt Mainz, „bestes Deutschland“, auf dem Rückweg von der Königskrönung Karls VII. im Jahre 1740, das Leben am Versailler Hof, die Begegnungen mit der überragenden Madame de Pompadour, die europäische Hochzeit Marie Antoinettes mit Ludwig XVI. mit all ihrem Pomp, aber auch dem Schreiber unangenehmen Arroganz.
Auch so persönliche Ereignisse wie die überaus schmerzhafte und sich stundenlang hinziehende Entbindung seiner Schwiegertochter und schließlich die bemerkenswerten Betrachtungen der „Neuen Zeit“, als die Gebrüder Montgolfier kurz vor seinem Tod 1784 die ersten Tiere und Menschen mit ihren Ballonen zum Fliegen brachten, kamen zu Gehör. Begeistert zeigte sich Croy über die wissenschaftlichen Fortschritte. Durch Begebungen mit Rousseau, Voltaire, Benjamin Franklin oder Thomas Cook spürte er, dass diese Entwicklungen wiederum nur der Anfang waren von noch größeren Veränderungen. Er war stolz, dabei gewesen zu sein.
Das können die Besucher der Lesung mit Sicherheit auch sagen, wenn sie diesen Abend Revue passieren lassen. Natürlich hätte man sich dieses Buch auch einfach nur kaufen können. Was hätte man dabei nicht alles versäumt! Pleschinski las, als ob er der Tagebuchschreiber selber wäre, nicht übertrieben und doch mochte man mitleiden, wenn die Geburt so gar nicht vorwärts gehen wollte, wenn das Kennenlernen von Madame de Pompadour sich äußerst schwierig erwies und wie sie sich andererseits beim Tod ihrer einzig geliebten sechsjährigen Tochter nichts anmerken ließ, während die gaffende Hofmeute sie eigentlich nur fertig und schwach erleben wollte. Zauberhaft die fein gestikulierenden Hände des Vortragenden. Allein seine Betonung des Wortes „Allemande“, welche Marie Antoinette tanzte, gepaart mit seiner galanten Handbewegung dazu – das waren so Momente, denen keine You Tube-​Hörprobe jemals nahe kommen kann.
Schließlich hatte man auch noch erfahren, aktuell, wie eigentlich das meiste der Erkenntnisse Croys, dass jedes Land seinen Staatsbankrott brauche, um Bilanzen zu säubern. Aktuell auch die ein Viertel Jahrtausend alte Bemerkung, dass Deutschlands Straßen schlecht seien und gleichfalls aktuell die Gedanken beim allerersten Sondieren beim Antreffen wichtiger Personen: „Der ist fett geworden und die ist schwanger“. Wie beruhigend und tröstend: „Nie war es schöner zu leben“.

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