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Philharmonie Schwäbisch Gmünd geht an ihre Leistungsgrenze mit Tschaikowskis 5. Symphonie

Tanja Goldstein, die überaus quirlige Dirigentin der Philharmonie Schwäbisch Gmünd , fordert ein ums andere Mal ihr Orchester bei noch anspruchsvollerer Literatur. Dies zeigte sich beim Frühjahrskonzert am Samstag im Stadtgarten.

Dienstag, 31. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 24 Sekunden Lesedauer

Von Peter Skobowsky
KONZERT. Da wird immer bis zur Leistungsgrenze gearbeitet: pädagogisch sinnvoll, aber auch immer richtig? Solange Elan und Begeisterung nicht Erschöpfungsanzeichen zeigen, springt der Funke auf das Publikum über, das euphorisch applaudiert, selbst Trampeln und die bei jungen Enthusiasten gewohnten Ausbrüche zwischen Pfeifen und Johlen gehören dazu.
Das Programm setzte die Maßstäbe der früheren Konzertabende fort, Vergessenes, Neues zu präsentieren. Und so begann das Konzert mit dem Vorspiel zu „Julius Cäsar“ des viel zu früh verstorbenen, nur 26 Jahre alt gewordenen Hans Rott, der von Bruckner intensiv gefördert und (gerade deshalb?) von Brahms, Hanslick und Goldmark — der verschworenen Zunft der Anti-​Wagnerianer — geradezu infam ausgegrenzt wurde. Zimperlich waren diese Neider nicht. Dabei zeigte das Vorspiel eine Fülle eigenständiger Ideen und deren hochinteressante Verarbeitung. Rott war mitnichten ein bloßer Epigone des Vorbilds Wagner. Dass ihn Misserfolge und Missgunst krankmachen mussten — wen wundert’s?
Linienführung, Harmonisierung und daraus folgende Farben gaben der Philharmonie ausreichend Gelegenheit zu wunderschönem Spiel, die Charaktere der Details deutlich markierend.
Nach diesem fulminanten Einstieg folgte mit Sir Edward Elgars Cellokonzert ein Beispiel hochromantischer Gemütslage. Der Autodidakt hat kompositorische Höhenflüge beschert, welche das Publikum immer wieder begeistern. Und kommt dann noch ein junger sympathischer Solist dazu, sind die Herzen wie im Sturm erobert. Nach Benedict Kloeckner vor einer Woche kam mit dem 26jährigen Mathias Johansen ein weiteres Talent aus der Kaderschmiede der jungen Preisträger hinzu. Auf einem Leihcello von Joseph Antonius Rocca konnte sich der Künstler so richtig verwirklichen. Bei wunderschönem Ton, einer feinen Sensibilität und immer mit Dirigentin und Orchester korrespondierend, sann er gleichsam dem Ideenstrom der originellen Komposition nach. Von sanften Kantilenen über zupackende Akzente zur bemerkenswerten Kadenz gelang Johansen ein Spiel eigener Persönlichkeit, das nach dichter Interpretation einen wahren Begeisterungssturm (nicht nur der Fans, sondern auch des Orchesters und der glücklichen Dirigentin) entfachte. Die Bescheidenheit Johansens tat wohl, auch in der Dankesgestik der Philharmonie gegenüber, die hellwach und mitgehend begleitete, was allein angesichts der Agogik volle Konzentration erforderte.
Die Zugabe (Suitensatz von Bach) zeigte den „anderen“ Johansen: ganz versonnen füllten Linien und Verinnerlichung den Raum — Krönung des beglückenden Erlebnisses mit dem jungen Nachwuchstalent.
Nach der Pause gab es Tschaikowskis Fünfte, jene Symphonie emotionaler Erschütterung, die genau zwischen der eher volkstümlichen Vierten und (nach letztem Aufbäumen im Scherzo) letztlich trostlosem Versinken der „Pathétique“ — zeitgleich mit dem völlig gegensätzlichen „Nussknacker“ entstanden. Dieser Spannung eingedenk, kann man überhaupt erst das Werk angemessen ausführen. Wie gut, dass Tanja Goldstein die Tempi nicht überzog. Man ist zwar von vielen Kollegen anderes gewöhnt, aber es ist nur folgerichtig, wenn man angesichts der Möglichkeiten nicht — Bewunderung heischend — übertreibt. Für eine Reihe von Stellen hätte man sich gern mehr Streicher gewünscht, um der kraftstrotzenden Batterie von Blech und Pauken zu entsprechen; andererseits gab es eine Fülle von Details, deren man eben nur live gewahr werden kann. Die Philharmonie spielte mit Hingabe! Die Melancholie von Horn (ganz wenige Kiekser), Klarinette (!), Oboe und Fagott gelang vorzüglich, die Höhepunkte saßen. Die Entwicklungen wurden konsequent ausgekostet. Der Kraftakt forderte das Letzte. So war es auch richtig, keine Zugabe zu spielen — ein dem Ganzen geschuldeter Respekt, von der Dirigentin treffsicher gespürt.
Das nächste Konzert mit Haydns „Der Bär“, Sinfonie Nr. 82 in C-​Dur und Schuberts Erster in D-​Dur D 82 ist sicher kein „leichte(re)s“ Intermezzo, tut aber allen gut im deutlichen Kontrast zu den bisherigen Anforderungen.

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