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Ein echter Eiermann, gleich 2000 Mal

Manche halten sie für abscheulich und für Überbleibsel der im Fortschrittswahn durchdrehenden Nachkriegsmoderne. Für andere sind sie Designobjekte, die man haben muss, so lange man sie noch kriegen kann: die Hortenkacheln.

Freitag, 10. Juni 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 41 Sekunden Lesedauer

Von Reinhard Wagenblast
ARCHITEKTUR. Es gibt sie noch, die merkwürdigen Dinge. Möglich, dass die Manufactum-​Klientel hier nicht anspringt, aber wer weiß das schon so genau.
Es könnte ja sein, dass auch hier die Sehnsucht nach der guten alten Wirtschaftswunderzeit zur unaufhaltsamen Triebfeder wird, zumal diese Gegenstände noch ein paar andere Eigenschaften auszeichnen, die schätzt, wer auf Wertigkeit Wert legt.
Die Hortenkacheln sind haltbar für die Ewigkeit, bestehen sie doch aus solidem, RAL-​grau lackiertem Aluguss, und sie wurden von einem berühmten Architekten entworfen: Egon Eiermann (1904 — 1970). Qualität also und der Abglanz einer kanonisierten Gestalter-​Gestalt.
Eiermann war einer von jenen, die fast noch alles konnten: eine Nazi-​Propagandaschau dekorieren, Industriebauten entwerfen, im Nachkriegsdeutschland weiter Karriere machen, die Kaiser-​Wilhelm-​Gedächtniskirche in Berlin und, zusammen mit Sepp Ruf, den Deutschen Pavillon der Weltausstellung in Brüssel 1959 bauen, der in seiner Leichtigkeit und Transparenz für das moderne, sich von seiner bösen Vergangenheit abwendende und weltoffene Deutschland stehen sollte. Streng funktionalistische Möbel entwarf der Architekt obendrein, und sein Stahlrohrstuhl SE 68 von 1950 steht auf Füßchen, die so filigran wirken wie die Streben vor der Fassade der Olivetti-​Bürotürme in Frankfurt. Es kann natürlich auch umgekehrt sein.
Eiermann war auch der Kachelmann: Die von ihm um 1960 entworfenen „Waben“ für die Horten-​Kaufhäuser, zum ersten Mal in Stuttgart verwendet, gelten nicht wenigen als Sündenfall. Immerhin konnte man mit ihnen ungeschlachte Fassadenflächen zur Gänze verkleiden und ihnen aus einer bestimmten Entfernung etwas Flirrendes geben. In der Nähe freilich nervte schnell die Monotonie der immergleichen, dem Buchstaben H nachgebildeten Teile. Außerdem lockten die 50 mal 50 Zentimeter großen, 20 Zentimeter tiefen Kacheln, die es in mehreren Varianten gab, Tauben und deren Dreck an. Weshalb allenthalben bald Netze vorgespannt wurden, auch in Gmünd.
Beim Gmünder Horten von 1977, schon ein spätes Kind der Großkaufhaus-​Ära, verzichtete man im übrigen darauf, die ganze Fassade zu verkacheln — damals ein Novum. Man begnügte sich mit Feldern, die vom sichtbaren Betonskelett umfasst wurden, und wollte so eine bessere Einfügung des klotzigen Bauwerks ins historische Stadtbild erreichen. Immerhin hat man hier noch 2000 Stück an die Wände geschraubt — sicherlich nicht aus Liebe zur Altstadt.
Doch die Alublenden finden Liebhaber; was Wunder in einer Zeit, die alles im x-​ten Durchgang recycelt, was nach den Sixties aussieht. Als vor ein paar Jahren das Horten-​Kaufhaus in Hamm abgerissen wurde, wurden die Kacheln zum Stückpreis von 24,50 Euro verscherbelt.
Derlei geschieht jetzt auch in Schwäbisch Gmünd, hier kümmert sich die Stadtbildarchitektin Irene Pauser um die Verwertung, offenbar mit steil zunehmender Erfolgskurve: Rund 40 Interessenten, die nicht nur aus Schwäbisch Gmünd kommen, sondern auch aus Köln, Berlin und sogar China, wollen eine, mehrere oder gleich viele Kacheln kaufen. Einer habe sich gar schon 200 Stück reserviert. Der Mann bekommt sicher einen Mengenrabatt, vielleicht einen, der noch größer ist, als er sonst schon gilt. Eine Hortenkachel gibt die Stadt für 25 Euro ab, ab fünf Kacheln ist man mit 20 Euro dabei, ab zehn sinkt der Preis auf 15 Euro.
Es bleibt etwas dabei hängen: Die Demontage-​Kosten pro Eiermann-​Element setzt der Abbruchunternehmer Florian Bock mit zehn Euro an.
Mindestens 1000 Stück will Irene Pauser auf diese Weise absetzen, „noch schöner wären natürlich auch mehr.“ Je nach verkaufter Stückzahl der Kacheln wird mit dem Erlös ein kleineres oder auch größeres Innenstadtprojekt verwirklicht. Irene Pauser: „Es sind bereits Konzepte in Arbeit, die Kampagne ‘Ehrensache Gmünd — Gut gestaltet’ könnte auch hier sichtbare Früchte tragen.“ Projekt-​Vorstellung ist erst, wenn man weiß, wie viele Kacheln verkauft sind. Vielleicht wird was Schönes daraus. Und dann warten wir darauf, zu welchem Preis die Gmünder Kacheln bei e-​bay auftauchen.

Man kann die Gmünder Horten-​Kacheln
ab Ende Juni erwerben. Näheres über den Verkauf will die Stadtverwaltung
nach den Pfingstferien mitteilen.
Anfragen per e-​mail an:
irene.​pauser@​schwaebisch-​gmuend.​de.

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