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Festival Europäische Kirchenmusik: Begleitveranstaltung zur Uraufführung der „Logos-​Fragmente“

Ein großer gefüllter Tag: Diözesanforum, Künstlergespräch und Preisträgerkonzert mit Hans Zender – zugleich für alle Beteiligten ein anstrengendes Unterfangen.

Montag, 01. August 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

EKM-​MUSIKFORUM (ry). Detlef Dörner, als Forumsmoderator, Komponist und Interpret der EKM seit Jahren intensiv verbunden, führte zielgenau in die Problematik „Mythos und Logos“ ein, bevor Prof. Dr. (mehrfacher) Dr. h. c. Ingolf U. Dalferth – Freund und Laudator des Preisträgers – als Theologe die beiden Begriffe philosophie– und theologiegeschichtlich sowie –systematisch analysierte. Präzise und verständlich umriss er das Spannungsverhältnis von Mythos und Logos sowie Logos und Fragment.
Er konzentrierte den Mythos synonym als Gedanke, Spruch, Geschichte, … Gerücht – tradiert von Dichtern als Mythologen in Dichtung, Fabel, poetischer Schöpfung… Der Logos implizierte ursprünglich zählen, explizieren, Rechen – schaftsabgabe, mathematisch (als terminus technicus) Proportion. Das bedeutet nicht nur das Was, sondern Denken, Denkvermögen, Denken identisch dem Gedachten und als Synonym: Wahrheit.
Der Ort des Mythos ist der Kult, jener des Logos der Marktplatz, die Wissenschaft. Mythos bedeutet: was nicht geschehen ist, ist als Ereignis gültig; Logos dagegen: Argumente, die auf den Begriff gebracht werden. Der Logos kann über sich selbst reflektieren, der Mythos nicht. Aus beider Asymmetrie folgt: Mythos bedeutet Monolog, Logos Dialog …
In flüssig freier Rede referiert Prof. Dalferth die philosophische Entwicklung von Heraklit, Sokrates, Plato zur Stoa, die das Verhältnis von Seele und Welt zu theologischer, pädagogischer und ethischer Konsequenz beschreibt. Schließlich führt die Entwicklung zur Rezeption in Judentum und Christentum: Der Schöp – fer ist nicht Teil der Schöpfung, er transzendiert sie. Philo von Alexandrien: Gott ist der Logos, der sich in sich selbst erkennt, der die ewige und zeitliche Welt zusammenhält.
Der Logos der Propheten ist keine philosophische Rede über Gott, er ist Subjekt des Redens. Wenn er spricht, erschafft er – nicht nur mitteilender, sondern wirkender Logos.
Textbezüge der neun Logos-​Fragmente von Hans
Zender wurden beleuchtet
Im Christentum werden bei Augustinus unterschieden die mythische, politische und natürliche Theologie (die des Logos). Letztere führt zur Christologie, Trinitätslehre (Logos als deren zweite Person, Christus), Inkarnation, Erlösung – der Logos ist in die Geschichte eingetreten. Die Evangelien berichten davon – Kom – munikation als Reden durch den Heiligen Geist.
Dalferth skizziert die Gegenbewegung im Neuplatonismus: der Logos wird mythisch gedacht – von christlicher Theologie als Häresie abgelehnt. Schade, dass es zur Logos-​Rezeption des Hochmittelalters (Thomas von Aquin, Bonaventura) keine Ausführungen gab, was aus Zeitgründen verständlich war.
In einem zweiten Teil werden die Textbezüge der neun Logos-​Fragmente von Hans Zender beleuchtet: vor allem aus dem Johannesevangelium, dem Pirqe Abot (der jüdischen Mischna als „mündlicher“ Thora), dem Psalm des Valentinos (Gnosis), dem (apokryphen) Thomas-​Evangelium und dem Tanzlied aus den Acta Johannis. Diese Traditionen unterschiedlichster Art reden alle vom Logos Christus. Sie sind der „Stoff“, aus denen der Komponist seine Fragmente komponiert hat.
Der Preisträger des Kompositionswettbewerbs 2006, Frank Gerhardt, mit seinem Werk „enthüllt /​ohne erde (antiphon II) – psalm 90 für chor, kinderchor und streichtrio“ (2005) noch in lebendiger Erinnerung, war Schüler Hans Zenders und wie kein anderer berufen, das kompositorisch Eigene des (anwesenden, aber nie eingreifenden) Lehrers auszufalten. In ei – nem Parforceritt ohnegleichen musste er die Quadratur des Kreises meistern, quasi fragmentarisch das Wesentliche zu beschreiben. Anhand einiger CD-​Hörbeispiele wurden die akustisch-​mathematischen Parameter der Intervalle, der Obertonreihe eines Tons mit den Folgen der Summierung oder Subtraktion mehrstimmiger Linien als daraus resultieren – des Klangerlebnis umrissen. Der Kompromiss heutiger Temperatur (etwa Stimmung des Klaviers, der Orgel) bedeutet den Vorteil, Werke aller Tonarten spielen zu können, aber um den Preis unsaube – rer Intervallrelationen. Der Ton e als Terz von c ist nicht derselbe wie das e als Quinte von a … Daraus ergibt sich bei Zender eine 72er-​Teilung gegenüber der geläufigen Halbtonregelung einer Oktave (12er-​Unterteilung).
Die Notation erfolgt traditionell, aber mit Zusatzzeichen – für Streicher leichter einlösbar als für Sänger. Das Ergebnis ist eine weitaus größere Plastizität als Hörerweiterung. Unerlässlich für solche Vision ist die Abhängigkeit im/​vom Raum. Deshalb wird die Platzierung der Musizierenden genau festgelegt. Die Sorge des Rezensenten angesichts der komplexen Akustik des Heilig-​Kreuz-​Münsters erwies sich glücklicherweise als nicht existent, da gemessene Tempi und Rhythmik das sonst leider gewohnte Echoklappern gar nicht erst aufkommen ließen. Dass die Anforderungen eines überaus gewissenhaft reflektierenden (= reflexiven) Komponisten höchste Kompetenz der Ausführenden bedingt, ist selbstredend klar.
Das etwa 70 Teilnehmer umfassende Auditorium – erstmalig in der EKM-​Geschichte – kam so in den Genuss einer lohnenden Anstrengung, ein Stück „hinter“ die Aspekte einer Komposition im Kontext zu Person und Persönlichkeit des Komponisten als auch seiner gewissenhaften Kenntnis und Auseinanderset – zung mit den Texten zu kommen.
Zum anschließenden Künstlergespräch musste man in die Galerie des „Prediger“ wechseln, der Ansturm der Interessenten war noch einmal größer.
Programmdirektor Dr. Ewald Liska hatte die zugleich ehrenvolle als auch sehr schwierige Aufgabe der Moderation und Impulsgabe. Souverän wie gewohnt, entlockte er dem eloquenten Komponisten eine Fülle von Antworten zu Werk und Hintergründen. Das Hauptproblem: die babylonische Verwirrung im Gebrauch der Begriffe. Gefühl als Wirkung menschlicher Akte ist eben etwas ganz anderes als das Gemüt, jene Einheit sinnlicher und geistig-​seelischer Wahrnehmung, Erkenntnis. Zender hob unerbittlich auf das Hören ab als „Ort“ der Musik. Erst das Ohr zeuge Musik, nicht deren intellektuelle Analyse. Insofern widersprach er zu Recht einem stets lauernden Rationalismus, der das Eigene der Musik zerstört, auflöst in Vordergründigkeit. Musik ist die einzige Kunst in der Zeit, die Weise ihrer Wahrnehmung ist entscheidend. Zenders Musik ist das eine, seine tiefgründige Reflexion (darüber) das andere. So war der Grund gelegt für das abendliche Konzert, dessen Werkfolge einer Dramaturgie Zenders gleichkam.

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