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Bartholomä: Warum ein Dorf sein Zukunft selbst in die Hand nehmen sollte

Haus– und Grundstücksbesitzer, die sich nicht selbst aktiv um die Vermarktung ihrer Immobilien kümmern, werfen bares Geld zum Fenster raus – und sie schaden dem ganzen Dorf! Diese ganz bewusst provokanten Aussagen machte gestern Stadtplaner Markus Schöfl in Bartholomä.

Freitag, 16. September 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


Von Gerold Bauer
BARTHOLOMÄ. Bürgermeister Thomas Kuhn blickte zu Beginn der gestrigen Bürgerversammlung im Dorfhaus kurz zurück, was mit Hilfe der staatlichen Förderprogramme (MELAP) bislang bereits in Sachen „Nutzung innerörtlicher Potenziale“ in Bartholomä geschah. In einem ersten Schritt sei vom Büro Junginger deutlich gemacht worden, in welchem Ausmaß Bauland zur Verfügung stehe, ohne dass dafür die Landschaft am Ortsrand angetastet werden müsse. Die Rede war dabei von 33 Bauplätzen sowie von über 50 Gebäuden, die durch Renovierung oder Umnutzung als Wohngebäude zur Verfügung stünden. Kuhn erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass in Bartholomä bereits schöne innerörtliche Bauplätze geschaffen wurden, in dem eine Industriebrache saniert und als Wohngebiet erschlossen wurde.
Nach Kuhns Worten müsse nun geprüft werden, ob es angesichts der demographischen Entwicklung und etwaiger Zuwanderung überhaupt sinnvoll sei, weitere Neubaugebiete am Ortsrand zu schaffen. Es sei ihm und dem Gemeinderat ein großes Anliegen, diesen Gemeindeentwicklungsplan gemeinsam mit den Bürgern, nicht zuletzt in Abstimmung mit den Haus– und Grundbesitzern, wachsen zu lassen. „Wir wollen uns dieser Herausforderung stellen, denn in jeder Herausforderung steckt auch eine Chance“, sagte Kuhn und verwies darauf, dass Bartholomä durch die relativ gut entwickelte Infrastruktur (Hallenbad, Bücherei, Museum, Kindergärten, weiterführende Schule am Ort etc.) eine gute Ausgangsbasis habe, um die Zukunft zu meistern.
Markus Schöfl räumte ein, dass er für den Abend in Bartholomä seine Samthandschuhe ausgezogen habe, um Klartext zu sprechen. Dies bedeutete, dass er so manche nicht erfreuliche Aussage machte — allerdings nicht, um die Bürger von Bartholomä zu frustrieren, sondern um sie zu motivieren, aktiv an der Zukunft ihres Dorfes mitzuwirken. Die wohl wichtigste These in seinem Vortrag betraf die Eignung von Immobilien als Geldanlage. Es sei völliger Unfug, ein Grundstück, das man jetzt verkaufen könnte, zurück zu halten, weil es ja vielleicht mal ein Enkel brauchen könnte.
Diese althergebrachte Denkweise gelte angesichts der demographischen Entwicklung leider nicht mehr, denn der Wert einer Immobilie hänge von nichts anderem ab als von der Nachfrage. „Wenn sie Pech haben, ist ihr Haus in 30 Jahren überhaupt nichts mehr wert, weil es keiner kaufen wird!“, machte Schöfl deutlich. Wenn zum Beispiel in der Nachbarschaft viele Gebäude leerstehen, dann wirke sich dies drastisch auf den Marktwert einer Immobilie aus. Wer sein eigenes altes Haus weder nutze noch vermiete oder verkaufe beziehungsweise die Bausubstanz vernachlässige, schade damit also dem ganzen Dorf. „Wenn sie jetzt ein Gebäude oder einen Bauplatz verkaufen können, dann tun sie es auch — sonst betrügen sie ihre Nachkommen um deren Erbe!“, lautete eine seiner markanten Aussagen gestern im Dorfhaus.
Diese Thesen kamen bei Markus Schöfl freilich nicht einfach so aus dem hohlen Bauch heraus, sondern wurden untermauert mit Bildern und Statistiken. In Baden-​Württemberg versuche man, aus den Versäumnissen in den ost– und norddeutschen Bundesländern etwas zu lernen. Dort seien mittlerweile viele Dörfer schon halb ausgestorben — und manches kleine Häusle habe noch einen Schätzwert von 3000 Euro. Inzwischen müsse er aber gar nicht mehr so weit gehen, um konkrete Beispiele für die Richtigkeit seiner Befürchtungen zu finden. Auch im Ländle sei inzwischen der drastische Wertverlust von Immobilien anzutreffen — und zwar dann, wenn ein Gebiet nicht aktiv am Leben gehalten werde. „Eigentum verpflichtet, und Innenentwicklung funktioniert nur dann, wenn die Bürger mitmachen“, appellierte der Fachmann an die Bartholomäer, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Dies beginne schon damit, dass man alle örtlichen Geschäfte als Kunde stärken müsse. „Wenn Sie bedenken, wie viel Geld sie für Sprit ausgeben, wenn sie von Bartholomä zum nächsten Discounter fahren, dann sind die Lebensmittel dort teuer als beim Einkauf in Bartholomä — und oft auch noch von schlechterer Qualität.“ Bartholomä sei im Gegensatz zu vielen anderen Landgemeinden in der glücklichen Lage, dass dort die Welt noch ziemlich in Ordnung sei und die Rückwärtsentwicklung noch nicht eingesetzt habe. Indikatoren wie die Frauenquote („Frauen sind standortbestimmend“) sowie die öffentliche und private Infrastruktur zeigen dies in Bartholomä nach Schöfls Worten recht deutlich. Nun müssen sich aber alle Bürger gemeinsam ins Zeug legen, damit dies auch einigermaßen so bleibt.
Mit Blick auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Prognosen unterstrich der Stadtplaner, dass die Einwohner sehr viel dazu beitragen können, ob der demographisch bedingte Einwohnerverlust gering, mittelmäßig oder drastisch ausfallen wird. „Wenn Sie nicht jetzt schon anfangen, etwas zu tun, wird Bartholomä in 30 Jahren etwa 300 Einwohner weniger haben.“ Was dies für den Immobilien-​Wert bedeute, könne sich jeder selbst ganz leicht ausmalen.

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