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„Amadeus“ mit der Esslinger Landesbühne: Erst spritzig, dann verläppert

Ein sittenstrenger Antonio Salieri, der die göttliche Gerechtigkeit sucht und herausfordert, ein ausgeflippter Mozart, derb und geil und eine fast schon verruchte Constanze teilen sich in Peter Shaffers „Amadeus“ die Hauptrolle.

Freitag, 13. Januar 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 2 Sekunden Lesedauer

THEATER (wil). Und während der Autor alle historischen Klischees über den hungernden Komponisten bedient, zogen die Maskenbildner und die Gewandabteilung der Esslinger alle Register, um durch ein zeitgetreues Ambiente zu begeistern.
Ein breit angelegtes Lebensbild Mozarts und seines Gegenspielers Salieri brachte die Württembergische Landesbühne am Mittwoch auf die Bretter des Gmünder Stadtgartens.
Schattenhaft huscht das Ensemble über die Bühne und mit tausend Stimmen verbreiten sie das Gerücht, der sterbende Antonio Salieri habe die Vergiftung Mozarts gestanden. Anlass für diesen, auf die gemeinsame Wiener Zeit der beiden Komponisten zurückzublicken. Ulf Deutscher, der den Italiener spielt, wahrt sich seine Unnahbarkeit selbst in den frivolsten Szenen, wahrt seine Distanz auch zum Publikum, das er als Erzähler durch die Jahre von 1781 bis 1791 geleitet. Mozart (Matthias Zajgier) hingegen kennt keine Grenzen, weder im Liebesleben, das er mit Lara Beckmann als Konstanze voll auslebt noch im Umgang mit Kaiser und Hof. Und die Kammerherrn um Kaiser Joseph II. verkörpern mit ihren stilechten Kostümen das Hofzeremoniell eines konservativen Herrscherhauses.
Salieri hat es nicht leicht – seinen Aufstieg in der musikalischen Hierarchie des Wiener Hofes schreibt er göttlicher Fügung zu und will sich dieser durch einen untadeligen Lebenswandel würdig erweisen, trotz aller jungen Sängerinnen und deren Reizen.
Da kommt Mozart, ausstaffiert wie Harald Glööckler, mit Constanze verlobt, aber mit Katharina im Bett. Exzentrisch, aber genial. Er macht aus Salieris artigem Begrüßungsständchen eine mitreißende Improvisation, spielt live die Tasten auf und ab und komponiert, dass es allen ganz schwindlig wird.
Er speichert ganze Partituren im Kopf und bringt sie dann fehlerfrei zu Papier, er wagt neue Inhalte der Oper und begeistert damit sein Publikum. Auf der Bühne faszinierte Matthias Zajgier als Dirigent, ließ das Genie Wolfgang Amadeus Mozarts durchscheinen, wenn er einen gerade erhaltenen Auftrag als halbfertige Oper ausschmückte. Leider folgt Peter Shaffer mit seinem Stück „Amadeus“ den vielen Klischees vom missgünstigen Salieri, der Mozart in die Armut treibt und in Kälte und Hunger sterben lässt. Dies macht Shaffers Dramaturgie aus, verleiht Salieri das Diabolische. Im Blitzgewitter tanzt er zu Mozarts Niederlagen, Rauch dringt aus den Logentüren, wenn er seine eigenen Erfolgsstücke aufzählt und lässt diese dann im Nebel verschwinden.
Mozart hat den Erfolg, der sich aber nicht finanziell auswirkt. Es wird ein langsamer Abstieg des Genies, ein langes Sterben in diesem Dreieinhalb-​Stunden-​Stück. Verwirrt über Mozarts unkonventionelles, aber erfolgreiches Auftreten schwört auch Salieri seinen Prinzipien ab, fordert erst von Konstanze den Liebeslohn für eine Fürsprache und nimmt dann die Hofsängerin als Konkubine.
Er fordert den schützenden Gott heraus, doch jede seiner Eskapaden bringt ihn seinem Ziel, Mozart zu vernichten, näher. Er fühlt sich als neuer Polykrates – hier hätte dem Original eine deutliche Kürzung wohlgetan. Denn was am Anfang sehr spritzig und lebendig daherkam, forderte am Schluss von Schauspielern und Zuschauern unnötig Geduld und Ausdauer.

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