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Das Volkslied — doch nicht mausetot

„Sag mir wo die Lieder sind“, fragte Dein Theater im vollen Muckensee-​Saal in Lorch. Man begab sich auf die Suche nach dem deutschen Volkslied. Ein amüsanter und ironischer Blick auf den Nachlass aus vielen Jahrhunderten.

Freitag, 23. November 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
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KLEINKUNST (jur). Überraschend frisch und spritzig die Stimmen, die den geschichtlichen Hintergrund präsentierten. Vielleicht ist das Deutsche Volkslied doch nicht so vergessen und verpönt, sondern nur verschüttet unter Techno und volkstümlichen Hitparaden. Dein Theater, vom Runden Kulturtisch eingeladen, mit seinen Darstellern Anne Buschatz, Gesine Keller (Gitarre und Gesang), Stefan Österle (Piano, Violoncello, Kontrabass, Gesang) Martina Schott und Ella Werner hat an diesem Abend das Volkslied von all seinen Seiten vor seinem geschichtlichen Entstehungshintergrund gezeigt.
Mal überspitzt, mal als komisches Rollenspiel, mal als einfaches überliefertes Volksgut oder Kunstlied. Theodor Storm (1817 — 1888) schrieb über das Volkslied: „Die Volkslieder werden gar nicht gemacht, sie wachsen, sie fallen aus der Luft, sie fliegen übers Land wie Mariengarn, hier und dorthin, und werden an 1000 Stellen zugleich gesungen. Unser eigenstes Tun und Leiden finden wir in diesen Liedern; es ist als ob wir alle an ihnen mitgeholfen hätten.“ Volkslieder sind Volksweisheiten in Volksweisen, die heute ein prekäres Dasein fristen.
Das Volkslied zog sich in Nischen zurück. Es überlebt in Familienfeiern und Männerchören, und seit dem Zweiten Weltkrieg lebt das Volkslied im Verborgenen, in Büchern. Dabei hat „Die Gedanken sind frei“ viele Menschen in schwierigen Situationen begleitet.
„Am Brunnen vor dem Tore“ — typisch Dein Theater schob eine schwarze Hand ein Kreuz ins Bild beim Text „…muss aus dem Tal ich scheiden.“ Der Deutsche Wald wurde als Zweiglein auf die Schulter gesteckt und für Dornröschens Dornenhecke ein Minizweiglein hochgehalten. Ironie nahm den getragenen Liedern ihre Dramatik, so wurde „So nimm denn meine Hände“ nicht als Trauerlied, sondern als Hochzeitsszene in Verkleidung angestimmt. „Ein Männlein steht im Walde.“ erhielt mit Sprechgesang im Duett die Ergänzung „mit dem bescheuerten schwarzen Käppelein“. Ella Werners Potpourri, in dem Liederzeilen beim Stichwort in ein anderes Lied übergingen und ein Mauerstückchen aus Pappe bei Drehung zum variablen Requisit wurde, bereitete ebensoviel Vergnügen wie die Jodler auf dem Bauch des Kontrabasses und die Mimik und Gestik der Schauspieler.
Nach Napoleon und dem Zusammenschluss zum Deutschen Bund wandte sich das Bürgertum nationalen Ideen zu, Hoffmann von Fallersleben textete zu einer Komposition von Joseph Haydn „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Der Wandervogel verbreitete zu Beginn des 20. Jahrhunderts Jugendlust, „Das Wandern ist des Müllers Lust“ wurde hüpfend mit Walkingstöcken präsentiert.
Singen ist die einzige Ausdrucksform des Menschen, die überall akzeptiert wird – solange das Volkslied nicht für politische Zwecke missbraucht wird. „Die Güte eines Liedes erprobt sich an seiner Dauerhaftigkeit“ , schrieb Hans Breuer, der 1908 die Liedersammlung „Zupfgeigenhansl“ herausgab. Für die Art, an das Volksgut Volkslied zu erinnern, es mit Ironie, Respekt und profunden Informationen zu Gehör zu bringen, bedachte das Publikum die Schauspieler mit Riesenapplaus und erhielt zwei Zugaben zum Mitsingen. „Dein Theater“ greift mitten hinein ins Leben — mit Verstand und Herz.

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