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Hans-​Peter und Volker Stenzl beim Gschwender Musikwinter

Der Zuhörer, der die erste, die Chorfassung von Johannes Brahms (1833 bis 1897) „Deutschem Requiem“ kennt, der mochte sich am Samstag Abend in der Gschwender Kirche wohl fragen, wie das gehen mag: Ein solch weit ausgreifendes Werk für großen Chor und Orchester für Klavier zu vier Händen?

Mittwoch, 28. November 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 39 Sekunden Lesedauer

KONZERT (hat). Doch schon die ersten Takte zeigten, dass die Aussage des Duos Stenzl das musikalische Erlebnis in treffende Worte fasst: „Die Umformung des Deutschen Requiems einschließlich seiner Vokalpartien in eine eigenständige Klavierkomposition kommt einer schöpferischen Um– und Neugestaltung gleich.“ Ein Erlebnis, in das man sich einfach fallen lassen musste.
Wenn man – wie der Verfasser dieser Besprechung – das Brahms-​Requiem schon mehrfach in seiner Chorfassung mit aufgeführt hat, dann sind die Klangwelten seiner vierhändigen Klavierfassung ein äußerst ungewohntes, aber durchaus spannendes Erlebnis.
Brahms selbst sagte, als er sein Werk Anfang 1869 umgearbeitet hatte: „Die Hölle ist absolviert. Ich habe mich der edlen Beschäftigung hingegeben, mein unsterbliches Werk auch für vierhändige Seelen genießbar zu machen. Jetzt kann´s nicht untergehen. Übrigens ist es ganz vortrefflich geworden.“ Vor allem dem letzten Satz kann man – nach dem Genuss des Werkes am Samstag Abend – voll und ganz zustimmen. Doch wen wundert das? War doch Brahms selbst ein hervorragender Pianist und mit Hans-​Peter und Volker Stenzl saßen zwei Musiker an den Tasten, die über ein großes Maß an Einfühlungsvermögen verfügen, das sie zu äußerst sensiblen Interpretationen befähigt.
Die Musik des Deutschen Requiem so völlig von jedem Text entkleidet – was so auch nicht ganz stimmt, las doch Hans-​Peter Bögel die Texte zwischen den einzelnen Sätzen – ohne die Kraft des gesungenen Requiems hat eine völlig andere, sehr viel filigranere Ausstrahlung, auch wenn man als des Werkes kundiger Sänger nicht umhin kann, die Texte mit zu „hören“.
Den Interpretationsansatz des Duos Stenzl kann man über weite Strecken als sehr leicht und deutlich lyrisch beeinflusst bezeichnen. Interessant dabei war die Erfahrung, dass Brahms sehr barock wirken kann – oder dass die barocken Ansätze seines Werkes erst zum Tragen kommen, wenn es nicht in der Klangfülle eines großen Chores und Orchesters steht.
So war auch der Totenmarsch-​Charakter der Stelle „Denn alles Fleisch es ist wie Gras …“ so überaus eindrücklich wie sonst selten. Dies ermöglichte Hans-​Peter und Volker Stenzl ein sehr bewusstes, beeindruckendes Spiel mit den zwei Aspekten des Werkes: Tod und Auferstehung – Licht und Schatten, Trauermarsch gegen und mit tanzender Freude. Eine Interpretation „ohne Text“ sehr nah am Text, die sich offensichtlich sehr an der – im weitesten und nicht musikalischen Sinn des Wortes – kontrapunktischen Anlage des ganzen Stückes orientiert. So standen auch sehr feine, eher romantische, klanglich schon fast verschwindende Partien eher geradlinig barocken oder sehr präsenten Klängen gegenüber, wobei sich eines nahtlos aus dem anderen entwickeln konnte: Von Brahms zu fast Bachschen Fugenklängen und wieder zurück zu Brahms.
Immer wieder stellte sich dem Hörer im Laufe der sehr dichten Stunde des Konzertes die Frage: Darf oder kann die Klavierfassung mit der ersten, der Chorfassung verglichen werden oder nicht? Auf der einen Seite steht ein klares „Nein“, denn wie soll ein Flügel – wenngleich zu vier Händen – mit der Fülle eines großen Chores und Orchesters konkurrieren? Dem gegenüber steht ein eindeutiges „Ja“, wenn es darum geht, die Besonderheiten der jeweiligen Fassung zu betrachten. Und die Klavierfassung ist an sich schon etwas sehr Besonderes! Zeigt sie doch – natürlich nur bei einfühlsamem Spiel – wie fein und filigran Brahms Ton um Ton setzen konnte, weit entfernt vom vielgeschmähten „Schwulst“ seines Jahrhunderts. Und kein Chor wäre in der Lage, so fein und präzise Ton um Ton portamento in den Raum zu setzen, so fein verklingen zu lassen, als ob er sich in Luft auflöse — wie die letzten Takte am Samstag Abend.
Ein unvergesslicher Abend mit einem sicher vielen bekannten Werk, das weitaus öfter in dieser gerade durch seine Reduktion wirkungsvollen Variante erklingen sollte.

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