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Philharmonie mit großem Gestus

Das zweite Konzert mit Knud Jansen als Dirigenten war eine Herausforderung an das semiprofessionelle Orchester bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit, vielleicht sogar zuweilen darüber hinaus. Selbst Profis hätten daran zu knacken gehabt.

Montag, 10. Dezember 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 42 Sekunden Lesedauer


KONZERT (-ry). Und wieder ging eine Ära zu Ende. Nach dem Tod des Gründerehepaares von Abel, der Stabübergabe und dem Tod von KMD Hubert Beck — nun also nach etwa zwanzig Jahren Christl Siemetzki: die Aufgabe des Amtes der Konzertmeisterin. Der liebenswürdigen, stets bescheidenen Künstlerin wurde am Samstag im Stadtgarten ein rauschender Applaus zuteil neben einer bewegten Laudatio durch Jutta Peschke,Vorsitzende der Philharmonie Schwäbisch Gmünd.
Waren die ersten beiden Werke — zwar nicht grundsätzlich einfacher — recht gut zu meistern, so verlangte Beethovens 3. Symphonie eine Leistung „ohne Netz und doppelten Boden“.
Das Programm bot wundervolle Vielschichtigkeit: zuerst von George Bizet die „Petite Suite d’Orchestre“ „Lieux d’Enfants“ op. 22. Diese französischen Kinderszenen sind voller sprühendem Leben; die Titel verraten es überdeutlich: Trompeter und Trommler; Die Puppe; Der Kreisel; Kleiner Mann, kleine Frau; schließlich Der Ball. Was für ein Esprit! Vom Dirigenten plastisch umgesetzt.
Überhaupt hat die Philharmonie mit Knud Jansen einen Dirigenten, bei dem alles stimmt: präzise Schlagtechnik, klare gestische Impulse, so dass man — zusehend — alles mitvollziehen kann. Und das Ganze mit angenehmer Ästhetik und fröhlich ansteckendem Charme, ohne Show, ohne Eitelkeiten oder gar bloß-​vordergründig. Bizets so genannte „Kleine“ Suite erwies sich im Engagement der Philharmonie und des zusätzlich eingesetzten Schlagzeug-​Ensembles Alfred Ruth als großer Wurf toller Farben, Rhythmen und Melodien.
Erst vor einer Woche hat der Nestor unter den Dirigenten, Herbert Blomstedt, in einem hr-​2-​Interview den Vorteil der deutschen Orchesterpositionierung betont um des Dialogs der ersten und zweiten Geigen (gegenüber sitzend) willen. Hatte der umtriebige Dauerbearbeiter Leopold Stokowski die amerikanische, bislang auch bei uns vorherrschende Sitzordnung der Reihe der Streicher nach eingeführt, so kehren immer mehr Dirigenten aus gutem Grund zur deutschen Form zurück, so auch Knud Jansen. Der Erfolg bestätigte die Entscheidung: alles deutlich plastischer in der neuen Wahrnehmung der Räumlichkeit.
Nach dem „französischen Introitus“ gab es ein Heimspiel für den 1956 in Schwäbisch Gmünd geborenen Soloklarinettisten des Mannheimer Nationaltheaters, Niko Friedrich. Kulturbürochef Ralph Häckers Nachdrücklichkeit ist es zu danken, dass dieser ausgezeichnete Musiker in seiner Geburtstadt auftrat, und dies im doppelten Sinn: konkret und in der Wahl seines Instruments bei Mozarts großartigem A-​Dur-​Konzert, bislang zumeist mit der üblichen Instrumentenversion aufgeführt.
Wenn man nun Friedrich mit seiner größeres Bassettklarinette (original vom Komponisten gefordert!) vernommen hat, spürte man, welche Welten „dazwischen“ liegen: weder Bassetthorn noch Bassklarinette in je anderer Form, dafür nun mit einem Volumen bis in die Tiefe, stets singend, agogisch konsequent ausmusiziert, manche Passagen so weich ins Nichts versinkend, um dann wieder sonor zu glänzen. Das war ein Miteinander!
Die Philharmonie und ihr sensibler Dirigent parierten alle Nuancen des Solisten vollendet. Eben nicht die „üblichen“ Solokonzerte (Klavier, Geige, Cello), sondern ein Extra an Hörgenuss, wenn sich Melos und Virtuosität harmonisch paaren.
Nach der (verdienten) Pause also Beethovens „Eroica“. Nach des Komponisten Zorn über seinen Irrtum einer politischen Widmung an Napoleon, die mit dem Zerreißen des entsprechenden Titelblatts endete und dann den wirklichen Helden gewidmet wurde, durfte man nun das große Opus in ganz neuem Gewand erleben.
Jansen forderte ein ordentliches con brio im Eingangssatz: mit Schwung – Höchstleistung pur. Selbst bei kleinen Unebenheiten aufgrund der (Über-)Forderung wurde der große Gestus unmittelbar erlebt, ein traumhafter Dialog der Themen, ihrer „Kontrapunkte“, auch in den unterschiedlichen Orchestergattungen: ein wunderbares Holz im Ensemble oder solistisch (Oboe, Klarinette), ein selbstbewusstes Blech samt Pauken, beide durchaus stahlhart, aber dann wieder angemessen zurückgenommen, quasi eingereiht in den Kontext der präsenten Streicher.
Der Trauermarsch hatte tröstlich Versöhnliches, ohne an Direktheit zu verlieren. Das Scherzo bestach durch die eigenwillige Rhythmik bis hin zu den kontrastierenden Duolen. Und das Finale bündelte die ganze Energie bis zum typisch „unendlichen“ Schluss eines Beethoven.
Es war wieder einmal ein großer Abend für die Stauferstadt, der seine Schatten auf das nächste Konzert der Philharmonie am 27. April 2013 vorauswirft.

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