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Umzug vom Elisabethenberg in ein „ganz normales Haus“

Von außen sieht das Haus mit der Nummer 11 in der Austraße in Lorch so aus, wie ein gut 50 Jahre altes Gebäude nun mal in die Jahre gekommen ist. Innen jedoch kündet vieles vom Neuanfang. Menschen mit Behinderungen, betreut von der Diakonie Stetten, wohnen nun dort.

Freitag, 23. März 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


Von Stefan Scheytt
Neue Böden, neue Wohnzimmermöbel, ein neuer großer Flachbildschirm, neue Geräte in der Küche, und der Geruch von frischer Farbe hängt noch in der Luft. Auch die Bewohner am Esstisch, der noch ein provisorischer Biertisch ist machen einen sehr aufgeräumten Eindruck: Es ist Dienstag Spätnachmittag, vor einer halben Stunde sind alle sechs Bewohner der neuen Außenwohngruppe in Lorch von ihren Arbeitsplätzen in den Werkstätten in Schorndorf und Waldhausen zurückgekehrt. Sie trinken Kaffee, essen Mohnstückchen; die Gruppe wirkt entspannt, nicht so, als stecke ihr noch die Aufregung eines Umzugs in den Gliedern.
Seit zwei Jahren war vom
möglichen Umzug die Rede
Erst seit wenigen Wochen in ihrem neuen Haus, vermitteln sie den Besuchern das Gefühl: Wir sind bestens angekommen. Das hat zum einen mit einer guten Vorbereitung zu tun. Seit fast zwei Jahren war vom möglichen Umzug nach Lorch die Rede, die Bewohner und ihre Angehörigen wurden früh in die Umzugspläne einbezogen.
„In diesen Gesprächen hat sich bald herauskristallisiert, wer sich den Neuanfang zutraut und wer lieber an seinem alten Platz bleiben will“, berichtet Teamleiter Martin Fürst. Und als sich dann das Haus eines Lorcher Vermieters als konkrete neue Bleibe anbot und die potenziellen neuen Bewohner es mit ihren Angehörigen besichtigen konnten, waren die meisten sofort angetan.
Tatsächlich bietet die neue Wohnlage in Lorch gerade für Selbstversorger-​Gruppen große Vorteile gegenüber dem Wohnheim im kleinen Waldhausen. Zum Bahnhof sind es nur gut zehn Gehminuten, und im fünf Minuten nahen Ortskern kann man alles für den täglichen Bedarf einkaufen. Es gibt Ärzte, Zahnärzte, eine Apotheke, ein Fahrrad– und ein Kleidergeschäft, mehrere Gaststätten.
„Wir leben jetzt in einer richtigen Stadt, ich hab´ hier sogar die Auswahl zwischen mehreren Tabakläden“, freut sich Bewohner Uwe Pätzold. Nicht zu reden vom innen renovierten Haus, in dem bis auf einen Bewohner nun alle größere Zimmer haben als früher. Auch ein Gästezimmer steht jetzt zur Verfügung, in dem schon einige Besucher übernachtet haben.
Und erst der große Garten hinterm Haus, auf den sich alle freuen. „Ich möchte Beete für Tomaten, Salat und Blumen anlegen, ich hab´ schon als Kind gern umgegraben“, sagt Tanja Wörmcke. Gemeinsam mit Bewohnerin Diana Siegle freut sie sich auch darauf, ihren beiden Hasen bald mehr Auslauf in einem noch zu bauenden Freigehege bieten zu können.
Ein anderes Projekt für die wärmere Jahreszeit ist ein Kaminofen für Grillfeste mit Freunden, Angehörigen, Nachbarn. „Das kriegen wir hin, kein Thema, ich kann auch mauern“, sagt der gelernte Holzbearbeitungsmechaniker Uwe Pätzold. Vielleicht steht der Ofen ja schon, wenn Tanja Wörmcke sich wie geplant im Sommer mit ihrem Freund verloben will. „Ich wollte umziehen, weil man hier selbständiger werden kann“, sagt Tanja Wörmcke, und ihr Mit-​Bewohner Sven Mack sagt stolz: „Wir wohnen jetzt nicht mehr in einem Heim, sondern in einem ganz normalen Haus.“
Mitarbeiter rufen, oder
Problem lieber selbst lösen?
Die neuen Freiheiten bringen aber auch neue Herausforderungen und neue Verantwortung. Das beginnt beim täglichen Weg zum Bahnhof und reicht bis zur Frage, in welcher Reihenfolge und wie lange jeder morgens das Bad belegen darf – je drei Bewohner eines Stockwerks teilen sich ein Bad.
Schlief während der ersten Wochen noch ein Gruppenbetreuer im Gästezimmer, sind die Bewohner inzwischen nachts alleine und müssen selbst entscheiden, ob sie den rufbereiten Mitarbeiter wirklich aus dem Bett klingeln oder ein Problem doch lieber selber lösen wollen. Und während man sich früher im Wohnheim mit seinen rund 40 Bewohnern eher verstecken konnte, wenn es zum Beispiel um Dienste wie Einkaufen oder Schneeschippen ging, ist bei derlei Aufgaben in der kleinen Gruppe jetzt jeder angesprochen.
„Wir geben jetzt ein Stück Verantwortung an die Bewohner zurück“, sagt Teamleiter Martin Fürst. Und das durchaus mit einem gutem Gefühl, wie Betreuerin Anja Sühnel meint: „Die sechs Bewohner kennen sich seit Jahren und sind eine gute Truppe, sie unterstützen sich gegenseitig. Das Gruppenklima ist gut, die schaffen das.“
Neues erwartet aber nicht nur die Bewohner, sondern auch die Betreuer. „In den größeren Wohneinheiten gab es doppelte Betreuerteams, da konnte man eher mal spontan eine Aufgabe abgeben, nach dem Motto ´Kannst du nicht mal schnell für mich einspringen?‘“, sagt Kay Hinze, Teammitglied in der Austraße 11. In der kleinen Außenwohngruppe müsse man die Arbeit noch mehr strukturieren und planen, man könne aber auch individueller und gezielter mit den Bewohnern arbeiten.
„Bei dieser Wohnform haben wir Mitarbeiter noch deutlicher als im Wohnheim die Rolle eines Assistenten, der die Bewohner beim Leben in ihrem Haus unterstützt“, ergänzt Teamleiter Martin Fürst. „Letztlich sind wir Mitarbeiter hier so etwas wie Gäste im Haus der Bewohner.“

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