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Walter Giers zum 75. Geburtstag

Gmünder Tausendsassa ist er häufig genannt worden, und wem nichts mehr einfiel, nannte ihn auch gerne Querdenker. Dabei hat Walter Giers eigentlich immer geradeaus gedacht, entlang der Linie elektronischer Kunst. Am heutigen Donnerstag begeht er den 75. Geburtstag.

Donnerstag, 10. Mai 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

KUNST (rw). Seit Jahrzehnten bewegt sich Walter Giers sicher auf dem Grat zwischen Design und Kunst, ohne auf die eine oder andere Seite herunterzufallen. Er kann beides. Elektronik– und Lichtkünstler war er, andererseits aber auch Designer, der Plätze und öffentliche Räume effektvoll ausleuchtete. Ein Erfinder und Ideengeber, auch einer, der Ideen aufgriff und sie weiter spann. Einer, der sich sein eigenes und ein bisschen aberwitziges, augenzwinkerndes Museum geschaffen hat: das „Muss-​du-​sehum“ im Schmiedturm, wo eine Schaufensterpuppe auf dem angedeuteten Wehrgang die Laterne gen Osten hält. Die Stuttgarter Zeitung machte ihn vor einem Jahr, als ihm der mit 20 000 Euro dotierte Kulturpreis des Landes Baden-​Württemberg überreicht wurde, zum „Daniel Düsentrieb von Schwäbisch Gmünd“.
Geboren am 10. Mai 1937 in der Pfalz, verlebte er Kindheitsjahre in Prag — bis 1945. Es folgte die Flucht, „nach allem, was geschehen war, hatten die Tschechen doch zu Recht eine Sauwut auf die Deutschen“, sagte Giers einmal. Aufgewachsen ist er dann in Kevelaer, nach Schwäbisch Gmünd kam der junge Mann, überdies ein begeisterter Jazz-​Musiker, 1959, nach einer Lehre als Graveur. Aus der niederrheinischen in die Remstal-​Provinz: Hier besuchte er die Werkkunstschule, wurde einer der ersten Industriedesigner und eröffnete 1963 sein erstes Designbüro namens „Form + Funktion“. Für die Gmünder Firma Erhard, damals noch in der Produktion feiner Blechwaren tätig, entwarf er einen für alle Größen passenden Universal-​Kerzenhalter, der in Serie ging.
Als die 60-​er Jahre auch in Gmünd unruhiger wurden, schlug Walter Giers die Künstlerlaufbahn ein: Mit einer Schaumschlagmaschine machte er beim Kunstmarkt von 1968 von sich reden, es kam zum Bruch mit den Altvorderen des Gmünder Kunstvereins und zur Gründung der Künstler-​Kooperative. „Ich machte mich in diesen Jahren auch in meiner Arbeit frei“, sagt Walter Giers. Es folgten kugelförmige Lautsprecher, poppige Telefone und das sogenannte „Transparentdesign“, welches das Geräte-​Innenleben zum gestalterischen Merkmal machte. So, über die Hintertür des Industriedesigns, näherte sich Walter Giers der zeitgenössischen Kunst und dem Kunstbetrieb an — und auch der war begierig auf Neues: „Mr Brabbel“, aus einem defekten Transistorradio erschaffen, war die erste Elektronik-​Skulptur. Sie tat wie sie hieß. Erfolge stellten sich ein, Giers wurde zum Pionier der „electronic art“ und Lichtkunst, in Einzel– und Gruppenausstellungen waren seine mal witzig-​hintergründigen, mal meditativen Klang– und Lichtobjekte in den Galerien und Museen großer Städte vertreten.
Barbara Könches und Peter Weibel vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM) fassten sein Tun so zusammen: „Der Künstler arbeitet mit optischen und akustischen Elementen, die sich in Licht-​Ton-​Kunstwerken vereinen, die im Grenzbereich zwischen bildender Kunst, Design, Technik und Musik angesiedelt sind. Giers steht in der Tradition des Konstruktivismus und der kinetischen Skulptur von naum Gabo und Heinz Mack bis zu Jean Tinguely und Rebecca Horn.“
Die Interpretation seiner Kunst überlässt der Künstler freilich ganz gern anderen: er setzt aufs Anschauen, wo andere Weltanschauung brauchen. Giers thematisiert in seiner Kunst den Umgang des Menschen mit der Umwelt, Konflikte in der Mediengesellschaft und auch den Missbrauch der Religion. Ein skeptischer Zeitgenosse ist er geblieben.
Ein Merkmal von Giers’ früher Kunst war es, dass sie zur „Interaktion“ animierte, bevor der Begriff en vogue war. Bei Giers gab es schon Performance, als darunter höchstens die Leistungsdaten von Triebwerken verstanden wurden und die Technik noch nicht in die Kunst eingewandert war.
Doch Interaktion und Performance ist bei Giers noch in einem anderen als dem ästhetischen Sinn zu verstehen: nämlich als Eingreifen in die Öffentlichkeit. Ein aufmerksamer, ironischer Beobachter der Zeitläufte war er immer, auch einer, der freigiebig mit seinen Ideen war und sie gerne umsetzte. Ob es sich nun um Aktionen während der Landeskunstwochen handelte oder um die elektronische Wunderkerze vor der Johanniskirche zum Jahrtausendwechsel, ob er nun Ideen zur Stadtgestaltung entwickelte oder Leuchten für den öffentlichen Raum, wie jene, die auf dem Münster– und dem Marktplatz stehen. Für das Gmünder Münster entwickelte er ein dramatisches Beleuchtungskonzept, das die gleichförmig übergestülpte, orangefarbene Licht-​Käseglocke ablöste. Jüngst beteiligte er sich mit einem Vorschlag am Wettbewerb für die neue Bahnhofsunterführung, die Besuchern Lust auf die Landesgartenschau machen soll.
Bei soviel öffentlichem Wirken blieben nationale und internationale Anerkennung, Preise und Ehrungen nicht aus. 2003 erhielt er den Maria-​Ensle-​Preis der Kunststiftung, zu seinem 70. Geburtstag, wurde ihm das Bundesverdienstkreuz ans Revers geheftet und letztes Jahr gab es für sein Lebenswerk den Kulturpreis des Landes. Designpreise heimste er haufenweise ein. Seit einem schweren Verkehrsunfall vor drei Jahren muss Walter Giers kürzer treten, in der Öffentlichkeit ist er nicht mehr so präsent. Um so mehr gelten ihm die besten Wünsche zum heutigen 75. Geburtstag.

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