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Fauré-​Quartett: Die große Emotion

Kirchner, Beethoven und – natürlich – Fauré: ein runder Abschluss der 25. Konzertsaison in Gschwend. 25 Jahre Musikwinter und fünftes Konzert des Fauré-​Quartettes in Gschwend, wenn das kein Grund zum Feiern ist.

Mittwoch, 02. Mai 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 59 Sekunden Lesedauer

KONZERT (hat). So begann der Abend für viele Konzertbesucher kulinarisch und das Konzert mit einer kleinen Einführung durch den Cellisten des Quartettes – Konstantin Heidrich: Erst die Sage von Psyche und Eros und dann: „Kirchner ist kurz und gar nicht so modern, romantisch. Das Schlimmste, was unser Pianist macht, ist, dass er mal in die Saiten greift und etwas zupft.“
Besser hätte man das Publikum auf das Klavierquartett Nr. 2 (2008 /​2009 – dem Fauré-​Quartett gewidmet) von Volker David Kirchner (* 1942) nicht hinführen können. Der erste Satz „Psyche und Eros“: Klangmalerisch, lyrisch mit sehr fein nuancierter Dynamik erzählend. Bestimmt durch ein – in beide Richtungen – weit ausgreifendes Spiel mit den harten und weichen Elementen der Komposition: nahezu »unsichtbar« fein schwebendes Flageolet und heftigste Emotion. Die vier Musiker des Fauré-​Quartettes spielten mit der faszinierenden Mischung aus Romantik und zeitgenössischen Anklängen, puzzelten die teilweise »versatzstückhaft« wirkenden Teile des Satzes — bei all seiner Zerrissenheit — zu einem Gesamtklang zusammen, lieferten reine Emotion vom ersten bis zum letzten, vom leisesten bis zum härtesten Ton.
Zweiter Satz: Intermezzo amoroso. Auf der einen Seite schmelzend-​weicher, voller Violinenklang – eines der Erkennungsmerkmale des Fauré-​Quartettes in voller Blüte: der immer wieder fast ins Ungarische tendierende Ton Erika Goldsetzers im Kontrast mit — wieder – großer Härte gezupfter Klänge. Klanggegensätze, die in die Seele der Zuhörer griffen, sie in das Liebesspiel von Eros und Psyche hinein rissen, in die Zerrissenheit der wissend Unwissenden, in die enge Verbundenheit der zwei doch so weit voneinander entfernten.
Dritter Satz, tempestuoso: Mehr zu sagen als: äußerst klangvolles, wildes musikalisches Treiben, farbenfrohe Bilder, die eingangs erwähnten, gezupften Flügelsaiten und ein berauschend feiner Ausklang wäre zuviel. Nicht alles lässt sich in Worte fassen.
Ludwig van Beethoven (1770 – 1827): Klavierquartett Es-​Dur, op. 16: Bezeichnend für den Charakter des ersten Satzes seine Tempobezeichnung(en): Grave – Allegro ma non troppo. So unterschiedlich wie diese zwei Tempi, so unterschiedlich der Satz in sich, der aus rhythmisiertem Unisono in den voll auskomponierten Klang, von der schlichten Melodie-​Einführung nahtlos in die Ausarbeitung geht. Wie ging das Fauré-​Quartett mit diesen Gegensätzen um? Weit ausgreifende Agogik und Dynamik ließen das Stück für die Zuhörer greifbar werden, verhalfen dem Satz zu einem ganz eigenständigen, weit über den gewohnten Beethoven hinausgewachsenen Eigenleben: Melodien liefen in frühlingshafter Leichtigkeit durch die Stimmen. Klangfülle mit Witz und Charme, Musik voller Tatendrang.
Selbst ein »Andante cantabile« kann bei Beethoven noch schwere Kost sein, doch nicht, wenn es vom Fauré-​Quartett interpretiert wird. Der zweite Satz erklang weich, die Zuhörer umschmeichelnd. Eingeschlossen vom Schmelz der ersten Violine und des Cellos in feinster Abstimmung von Leichtigkeit und sehr dichter Führung entstanden Klänge voll von unausgesprochenen Worten, die durch den Raum zu wispern schienen.
Der dritte Satz – Rondo: Allegro ma non troppo: eindeutig „die Stunde“ des Pianisten, der hier mit spritzig-​lockerer Virtuosität brillieren konnte – gefolgt und kontrastiert von den drei Streichern, um gemeinsam einen berauschenden Gesamtklang zu erschaffen: wieder bis in die Extreme von Dynamik und Tempo ausgreifend, doch diesmal in härteren Abstufungen und mit so noch beeindruckenderen Momenten.
Gabriel Fauré (1845 – 1924) schrieb nur zwei Klavierquartette und steht mit seinem Klavierkonzert Nr. 2, g-​moll, op. 45 so eindeutig an der Schwelle zwischen Romantik und 20. Jahrhundert, wie ein Komponist, der Mitte des 19. Jahrhunderts geboren ist, nur stehen kann. Der treffendste Ausdruck für seine Art mit den Tönen zu jonglieren, dürfte wohl »expressionistisch« sein. So war das Fauré-​Quartett im dritten Stück des Abends auf ganz besondere Weise gefordert und das nicht nur, weil es seinem Namensgeber zu huldigen galt: Die große Emotion zum Ausdruck zu bringen, die in den voll und breit fließenden Klängen Faurés liegen kann, die vehement expressionistischen Momente abrupt aber bruchlos ins leis-​romantische gleiten zu lassen, ist keine kleine Herausforderung. Bei Fauré geht es darum, die Zielpunkte der Bewegung, der Dynamik in beiderlei Hinsicht zu erfassen und punktgenau auf sie hin zu interpretieren: Für das Fauré-​Quartett eine Leichtigkeit.
Mit seiner Zugabe überschritt das Fauré-​Quartett jede Grenze zwischen Musik und Malerei: Mussorgskis „Ballet der Küchlein in ihren Eierschalen“ erklang so klar in den Raum gezeichnet, dass man nicht einmal die Augen schließen musste, um die Kleinen springen und tanzen zu sehen.

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