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Buch und Beet — vier Autoren in vier Gmünder Gärten

Nagold ließ grüßen. Was dort schon erfolgreich über die Bühne gegangen war im Rahmen der Aktion „buch & beet“ des Reutlingers Peter Reifsteck“, fand nun in Vorfreude auf die Landesgartenschau 2014 auch in Gmünd in der Stadtbibliothek statt.

Montag, 28. Mai 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 58 Sekunden Lesedauer

Von Brigitte Düppe
AUTOREN. Beschwingt und angeregt durch die nachmittäglichen Gartenlesungen fand sich am Samstagabend noch einmal ein überaus interessiertes und zahlreiches Publikum, um alle vier Chamisso-​Preisträger und ihre Beiträge zu hören. Jose F. A. Oliver, Preisträger von 1997, stellte die Autoren kurzweilig und informativ vor.
Gemeinsam ist allen vieren, dass die deutsche Sprache nicht ihre Muttersprache ist. Die Robert-​Bosch-​Stiftung hat dafür seit 1985 einen jährlich verliehenen Preis ausgelobt in Erinnerung an Adelbert von Chamisso, der zwar in Frankreich geboren, doch erst in Deutschland und in einer Fremdsprache zum Dichter geworden ist.
Der diesjährige Preisträger Michael Stavaric, geboren im tschechischen Brno, lebt heute in Wien. Er eröffnete den Kindheitsgartenreigen mit seiner noch nie gelesenen Erzählung „Paradies“. In seiner Erinnerung gab es zweierlei: Den durch zwei geheimnisvolle Bäume begrenzten Garten und den anschließenden dunklen, geheimnisvollen Wald. Dort wurde er in seiner Phantasie zum Wolf, zum Drachen, zum Mischwesen, verursachte im Winter Bären– oder Riesenmolchspuren, beobachtete ganz surreal Strauße mit Habichtsschnäbeln, „Esel mit roten Hufen und Schlangenfrauen“.
Alles war möglich, und dennoch wünschte er sich oft genug „nichts sehnlicher, als zu den beiden großen Bäumen zurückzufinden, dorthin, wo das Paradies lag“, seiner Heimat. Mit diesem wortgewaltigen und bilderreichen Text schickte Stavaric viele Zuhörer zurück in die eigenen Abenteuerträume der Kindheit, die nicht nur bei ihm, sondern in vielen Herzen „überdauern“.
Marica Bodrozics Heimat Dalmatien gehört heute zu Kroatien. Mit 10 Jahren kam sie nach Deutschland und lebt in Berlin. „Hundstage und das ganze Leben dazwischen“ nennt sie ihren Beitrag. Auch ihr Garten war „nicht nur ein Stück Land, es war ein unermesslicher Kontinent, voller Gefahren, Wunder und Verlockungen.“ Auch hier gab es Schlangen, nächtliche Ängste vor dem Unbekannten, aber es gab auch das Gefühl „eins mit der Natur“ zu sein, die Sprache der Tiere verstehen zu können und die wunderbare Feststellung, „als Kind sucht man nicht das Glück, man lebt es“. Alles sei anders geworden, doch ihr „mediterranes Erbe“ mache sie immer noch glücklich.
Sasa Stanisic aus Bosnien-​Herzegowina kam mit 14 nach Deutschland, nennt sich selbst einen „Wortarbeiter“ und empfindet Heimat immer dort, wo er gerade nicht sei. Sein Auftritt war mehr als eine Lesung, eigentlich war es ein Ein-​Mann-​Theater, das man vordergründig vergnügt genießen konnte. Es war eine Sommerferien-​Vater-​Sohn-​Geschichte. Die Mutter wurde mehr oder weniger reduziert auf ihre Dauerwelle, der Vater, „der seltsame Vogel im Unterhemd“, war der Held. Er baute im Garten genial und kreativ einen Ballon , der tatsächlich über die kleine Stadt flog „und die Stadt wusste – Vater und Sohn lassen ihren Ballon wieder steigen“, während sie selbst im Garten blieben, „Vater, Spatzen, Rosen, Ameisen, Sommer und ich“.
Köstliche Dialoge konnten und sollten sicher nicht die unglaubliche Sehnsucht nach Freiheit, Ferne und einer guten Zukunft ohne Krieg übertünchen. Witzig und pfiffig die Sprache, manchmal lakonisch und doch war die Trauer nie weit weg.
Abbas Khider aus Bagdad hatte als Flüchtling und in Gefängnissen Schlimmes erlebt, wollte aber mit seiner Geschichte „Ferne Heimat im Irgendwo“ keineswegs Mitleid erwecken. Im von Krieg und Diktatur gebeutelten Irak gab es zwar keinen Garten mehr, aber umso mehr „sehnsüchtige Träume“ aus „viel Hoffnung“ und „etwas Phantasie“. Für ihn hieß das konkret, als Dichter irgendwann einmal frei und in Sicherheit schreiben zu können. Europa nahm da aus seiner heutigen Sicht eine völlig überhöhte Stellung ein. Es war sehr berührend, zu erfahren, wie er im Todesjahr von Hilde Domin 2006 ihre Gedichte kennen lernen konnte und sofort eine tiefe Seelenverwandtschaft in sich zu ihr spürte. Sie, die ebenfalls ins Exil fliehen musste, fand ihre Heimat schließlich im „Irgendwo der Poesie“, „zwischen Diesseits und Jenseits“. Er, als ihr literarisches „Kind“ ist in diesem Sinne angekommen.
Es tat gut, dass der Vibraphonist Dizzy Krisch aus Tübingen nach jeder Lesung den Dialog mit vorwiegend eigenen Stücken auf seine musikalische Art aufgenommen hatte. Besonders nach diesen letzten, tiefgehenden Worten schenkte die Musik den Hörern die notwendige Zeit, die Worte in sich nachklingen und aufblühen zu lassen.
Ganz in diesem Sinne zitierte Moderator Oliver abschließend noch einen Dichteraufruf aus dem Spanischen: „Versucht nicht, die Schönheit der Rose zu beschreiben, sondern lasst sie erblühen.“

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