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Die Heimat auf Leben und Tod

Wer so treuherzig in biederem Realismus zeichnet wie Axel Teichmann, der führt etwas im Schilde. Sein Handwerker lötet ein Werkstück mit den Umrissen Baden-​Württembergs zusammen. Titel: „Die Verbindung“. In der Ausstellung zum 60. Geburtstag des Landes steckt viel Hintersinn.

Dienstag, 29. Mai 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
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AUSSTELLUNG (rw). Dass die Geburtstags-​Kunstschau des Landes nach Schwäbisch Gmünd kommt, kann man durchaus als schöne Gabe des Landes zum Stadtjubiläum verstehen: Jubilare unter sich. Den Ankauf der 60 Kunstwerke von 48 jungen Künstlern, Ergebnis eines Wettbewerbs, hat sich das Land 700 000 Euro kosten lassen. Sämtliche Kunstschaffenden leben im Land und können ein Akademiestudium vorweisen, das Verhältnis zwischen Schwaben und Badenern ist ausgewogen, versichert Joachim Haller, der für die Ausstellungen in der Predigergalerie zuständig ist, und ein Koreaner, ein Chinese und ein Türke sind auch dabei — dabei kommt schon eine Auseinandersetzung mit kultureller identität heraus. Eine Leistungsschau junger Kunst aller Sparten, von der kleinen Zeichnung bis zur raumgreifenden Installation, wie man sie sonst – schon gar nicht in der Provinz – selten zu sehen bekommt. Drei repräsentative Arbeiten der Hans-​Thoma-​Preisträger 2011 und 1999, der konzeptuellen Multitalent-​Künstlerin Karin Sander (geb. 1957) und des Bildhauer-​Individualisten Fritz Schwegler (geb. 1935) runden die Präsentation ab. Ausstellung und Katalog entstanden in Kooperation mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Kunstmuseum Singen, das erste Ausstellungsstation war (die RZ berichtete).
Für das Museumsteam von Dr. Monika Boosen und Joachim Haller ist der tagelange Aufbau der Schau ein ziemliches Stück Arbeit, ihr Umfang sprengt das in Gmünd übliche Format. Erstmals seit 2007 werden die umgebauten Räume im zweiten Obergeschoss des Predigers, künftig für die Dauerausstellung reserviert, für eine Ausstellung verwendet – und man sollte sich wirklich nicht damit begnügen, nur die halbe Schau in der Erdgeschoss-​Galerie des einstigen Kirchenschiffs zu besichtigen.
Etliche Künstlerinnen und Künstler greifen baden-​württembergische Themen auf, und das durchaus mit einer ironischen Färbung: Friedemann Flöthers präpariertes „Steigendes Reh“ erhebt sich stolz empor wie der Hirsch im baden-​württembergischen Landeswappen und empfängt den Besucher in seiner artfremden, gleichwohl heroischen Pose. Helmut Dietz arbeitet eine Kiste für Bodensee-​Äpfel in einen Tischbrunnen um, Linda Eberle nimmt die provinzielle Weltläufigkeit auf die Schippe („Siz is wer a kam from“), Käthe Schönle kommentiert mit feinem Bleistift „Vier schwäbische Feststellungen“. Mit gekonntem Zeichenstrich betreibt Axel Teichmann „Landespflege“ und Peter Holl blickt aus dem Fenster des Stuttgarter Hegelhauses — wobei ein wundervoll aquarelliertes Linien-​, Farb– und Formspiel entsteht. Die getuschten Porträts „Die Töchter“ von Katrin Ströbel entpuppen sich als biografische Erinnerungsbilder an Sophie Scholl und Gudrun Ensslin, die beide längst eingegangen sind in die bundesdeutsche politische Ikonografie.
Andere Arbeiten befragen die Themen Heimat und Fremde, Heimatverortung und kultureller Verwurzelung: Die vielfach prämierte Papierschnittkünstlerin Aslimay Altay Göney (geb. 1977 in Istanbul) mischt türkische und deutsche Elemente und bekundet in ihrem Papierschnitt: „Die Geschichte jedes Einzelnen ist die Geschichte Aller“; Mona Ardeleanu macht mit artifiziell verknoteten, hyperreal gemalten Trachten-​Elementen („Trächtler“) zugleich deren Funktion zunichte; Xianwei Zhu (geb 1971 im chinesischen Quindago) setzt sich in seinem fast monochromen Stillleben „Verreist“ mit Bildchiffren mit dem Begriff des Unbehausten auseinander; in einer aus einem LED-​Leuchtschlauch und Maschendraht gefertigten Lichtinstallation fragt die Künstlergruppe J.A.K. „Weißt du dass die Heimat dein Tod sein kann?“; die bekannte Strichübung des in einer Linie gezeichneten Hauses gerät bei Carolin Jörg zu einer gescheiterten Heimatverortung („Welcome home“); Aspekte des Unterwegs-​Seins zwischen Vertrautem und Fremdem dokumentiert die Fotoserie „Outdoor-​Mobil“ von Daniel Beerstecher; und Gabriela Oberkofler verfremdet traditionelle Holzschnitzereien.
Ebenso vertreten sind wichtige, in ihrer Thematik freie Einzelpositionen. Differenziert werden die Wechselwirkung zwischen Kunst und Natur beleuchtet — in Renate Liebels Fotoarbeiten „Kunstrasenwald“ und „Stuhlblumen“ ebenso wie in Thomas Straubs Holzobjekt „Rorschach Test“ oder Manuela Tirlers „Bannwaldstück“ aus Stahl und Eisendraht. Als konstruktiv-​spielerische Versuchsanordnung aufgebaut erscheint die Arbeit „Wippe“ von Nelly Knatz. Für hör– und fühlbare Überraschungsmomente sorgt Tino Panses Messerattacke auf ein „Sofa“.

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