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Hexen, Krieg und Wahn: Gmünd im 17. Jhdt.

Bis zu den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert gab es in Deutschland keinen Krieg von solcher Verheerung, mit einem solchen Ausmaß von Tod und Leid. In Gmünd hatte der Dreißigjährige Krieg zudem ein grausiges Vorspiel in den Hexenverfolgungen.

Mittwoch, 20. Juni 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

GESCHICHTE (rw). Es waren finstere Seiten der Gmünder Geschichte, die Stadtarchivar Dr. Klaus Jürgen Herrmann in der VHS in seinem Vortrag aufschlug, den er im Rahmen der Reihe zum 850-​Jahr-​Stadtjubiläum hielt, eine Veranstaltung von Geschichtsverein, Stadtarchiv und VHS. Er zeichnete das Auf und Ab des Kriegsverlaufs zwischen 1618 und dem Westfälischen Frieden von 1648 nach, Not und Hungerszeiten, politisches Lavieren, wirtschaftliche und finanzielle Folgen, schließlich das massenhafte Sterben.
Relativ gesehen, im Vergleich mit anderen Städten – von Dörfern wie Mögglingen ganz zu schweigen – kam Schwäbisch Gmünd noch einigermaßen ungeschoren davon. Was freilich wenig besagt und den leidenden Zeitgenossen ohnehin gleichgültig gewesen sein dürfte: Über sie brachen katastrophale Zeiten herein – Folge der seit einem Jahrhundert bestehenden Spannungen zwischen Altgläubigen und Protestanten im Reich.
Die Anfänge, wie immer, schienen beherrschbar: Gmünd mit seinen 3500 Einwohnern schloss sich erst 1619 der 1608 gegründeten katholischen Liga an, was das protestantische Württemberg als Kriegserklärung wertete. Soldaten des Herzogtums marschierten von Lorch her in die offene Stadt ein. Die Besetzung, mit allerhand von den Chronisten farbig ausgemaltem Ungemach, endete schon nach drei Wochen. Das Kriegsglück in Böhmen wendete sich zu Ungunsten der Protestanten. Der Magistrat setzte auf Bestechung der Württemberger: Lieber zahlen als leiden. Solche Standfestigkeit belohnte Kaiser Ferdinand II. mit der Erneuerung von Privilegien. Vor allem das Wegegeld durfte erhöht werden. Was Bürgermeister und Räte dazu nutzten, sich die schon 1605 angehobenen Diäten im Jahr 1624 nochmals kräftig zu erhöhen.
Dann wendete sich das Blatt in der schwedischen Episode ab 1632. Der Fast-​Gmünder Christoph Martin von Degenfeld, der bis 1616 ein Haus nahe der Johanniskirche besessen hatte, rückte mit schwedischen Truppen an. In Geheimverhandlungen versuchte der Magistrat, mit 13000 Gulden Milde für die Stadt zu erwirken – was Teile der Bürgerschaft aufbrachte. Es kam gar zum Putschversuch. Die Stadt musste bei den Kontributionen nachlegen, von Degenfeld blieb stur und ließ das Kloster Gotteszell besetzen. Doch noch vor der Schlacht von Nördlingen, welche die Schweden zunächst aus Süddeutschland hinaus drängte, wechselte von Degenfeld in französische Dienste. Der so genannte „Schwedenkreuzer“ auf jedes Maß Wein und Bier blieb den Gmündern jedoch bis 1802 erhalten. Was zur Bezahlung der schwedischen Truppen dienen sollte, floss noch 150 Jahre später ins allgemeine Stadtsäckel.
Mit den kaiserlichen Soldaten fuhr man nicht immer besser, zumal die Sitten verrohten: Soldaten erschossen Bürger, aber auch eine Soldatenfrau kam 1635 ums Leben, „hatt sich dapfer geweret mit dem Degen“, hielt das Sterbebuch fest. Wenig harmonisch, weil recht teuer, verlief auch ein Besuch von König Ferdinand im Jahr 1636. Von 1640 bis 1648 hatte Gmünd einigermaßen Ruhe. Wirtschaftlich freilich waren die Verhältnisse marode. 1645 stürzte die Stadtmauer auf eine Länge von 60 Metern ein – Schutz konnte sie eh nicht mehr bieten. Die Bevölkerung nahm rapide ab, auswertbare Zahlen für Schwäbisch Gmünd liegen allerdings nicht vor. Von Lorch weiß man, dass die Einwohnerzahl zwischen 1634 und 1648 von 850 Einwohnern auf 305 sank. Ein Jahr lang wütete die Pest in Gmünd (1634/​35), Folge allgemeinen Mangels und verrotteter Hygiene. 983 erwachsene Menschen starben, zwölf Mal so viele wie sonst wie in diesem Zeitraum. Kinder wurden nicht mitgezählt.
Die städtischen Finanzen
erholten sich nicht mehr
Gmünd musste für den Krieg nach eigenen Angaben 1,5 Mio. Gulden aufbringen – was freilich nichts wog gegenüber der totalen Zerstörung, die Aalen und Lauchheim erlitten hatten. Aber die städtischen Finanzen erholten sich bis zum Ende der Reichsstadtzeit 1802 nicht mehr. Was im 18. Jahrhundert gebaut wurde, entsprang privatem Wohlstand, sieht man vom Orgelprospekt im Münster ab, den die Stadt aus Dankbarkeit für die Verschonung im großen Krieg 1688 baute. Politisch und wirtschaftlich versank der ganze deutsche Südwesten bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts in Bedeutungslosigkeit und Zwergstaaterei. Der religiöse Furor hatte sich ausgetobt, Politik blieb übrig.
Der religiöse Wahn, ursprünglich ausgehend von der mittelalterlichen Vorstellung der realen Existenz des Teuflischen, schlug jedoch schon vor dem Krieg in Gmünd zu in den Hexenverfolgungen, die zwischen 1613 und 1617 über fünfzig Menschen das Leben kosteten – von zwei Männern abgesehen alles Frauen, denen „Teufelsbuhlschaft“ vorgeworfen wurde – die sexuelle Komponente war immer dabei. Hinzu kam der Prozess gegen den geistig verwirrten Priester Melchisedech Haas, der 1617 als „Teufelspriester“ hingerichtet wurde. Der Stadtsyndikus Leopold Kager, ein skeptischer Geist, versuchte vergeblich gegen die Hexenverfolgung durch Denunziation unter Folter vorzugehen. Die von ihm im Grundsatz nicht bestrittene Hexerei stellte er als geistiges Verbrechen dar, das nicht unbedingt mit dem Tod bestraft werden müsse. Anders sein Nachfolger Leonhard Friz, der Kagers Argumentation als „uncatholisch“ bezeichnete und in seinem Gutachten die Todeswürdigkeit hervorhob. Das Gutachten von Friz machte die Stadt zur Rechtsgrundlage aller weiteren Verfolgungen.
Die letzten Hexenverbrennungen in Schwäbisch Gmünd im Jahr 1684 verfolgten sozial disziplinierende Ziele – die Opfer stammten vom ehemaligen Aussätzigenhospital St. Katharina, einem Sammelpunkt von Randgruppen.
Das kollektive Bewusstsein freilich prägte der Terror von Krieg, Pest und Wahn noch lange.

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