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Nachrichten Kultur

EKM: Hommage an eine stolze Bürgerkirche

Einzigartige Premiere: Im Zusammenhang mit dem Motto 2012 und dem Stadtjubiläum hatte das EKM-​Direktorium 2010 fünf Aufträge erteilt an Komponisten, deren Lebensstränge sich mit der Stauferstadt kreuzten.

Freitag, 20. Juli 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

KONZERT (-ry). Da Komponieren immer etwas von der jeweiligen Persönlichkeit preisgibt, konnte man auf sehr unterschiedliche Annäherungen an die Gmünder Spiritualitätsgeschichte gespannt sein. Es wurde eine Hommage an das Heilig-​Kreuz-​Münster, die stolze Bürgerkirche. Unverständlich, warum der SWR dieses Ereignis nicht aufzeichnete. Bereits das Künstlergespräch vermittelte einen differenzierten Eindruck in die Komponistenpersönlichkeiten und ihre Werke.
Nicht nur die Tonsetzer, auch der größte Teil der Interpreten stammt aus Schwäbisch Gmünd oder ist der Stadt zumindest verbunden. Und das Gmünder Kolorit konnte sich hören (und sehen!) lassen.
Siegfried Liebl hatte sich dem Fabelwesen „Einhorn“ zugewandt, mit einer allegorischen Deutung auf Christus (in der Übersetzung des Textes aus dem 12. Jh. durch Klaus Eilhoff). Dem Schauspieler Daniel Strasser gelang es vorzüglich, in melodramatischer Rezitation, zugleich als (präzis fungierender) Dirigent Text und Musik zu bündeln, den Gesang der wunderbaren Miriam Burkhardt (lyrischer Sopran) gestisch zu kommentieren. Der Komponist saß am Flügel und „unterlegte“ mit Bravour die Linien der Geige (Anke Ohnmacht) und des Cello (Patrick Burkhardt). Ein Gesamtkunstwerk en miniature von großem Ausdruck, strömenden Linien und dem mehrdeutigen Spiegeln menschlicher Eigenschaften.
Mick Baumeister gab seine Assoziationen an das Münster, das seinen Tageslauf ob der räumlichen Nähe ständig dominiert, in einer Ballade „Semper apertus“ (immer offen – in des Wortes mehrfacher Bedeutung) zum Besten: in der wundervollen Elegie des mehrfach wiederholten Themas (ein tief dunkles Englischhorn: Angela Ulrich für die ausgefallene Brigitte Fülle), das er selbst am Flügel mitvollzog oder melismatisch bis virtuos umkränzte, auch mimisch ganz mitgenommen von der inhärenten Romantik – eine geradezu schwärmerische Liebeserklärung an das Münster.
Natalia Brokop (selbst am Flügel) nahm eine folgenschwere Predigt des Münstervikars Gebhard Luiz vom Christkönigsfest 1942 gegen das Naziregime zum Anlass ihres Werkes für Rezitator, Streicher, Trommel/​Becken und Chor. Walter Johannes Beck und sein collegium vocale waren die souveränen Partner in der Deutung der Intention. Der König am Kreuz, zugleich König der Glorie, ist Ausgangs– und Zielpunkt, eingebettet in den ganz personal assoziierten Psalm 23 vom Guten Hirten. Diese Intensität kann wohl nur eine Frau derart ausdrücken. Gebannt war man von der unaufdringlichen Innigkeit und Tiefe, von den Ausführenden (mit RSO-​Konzertmeister Stefan Knote) mit größtem Respekt ausgedeutet. Die elektronische Bandzuspielung gab einen reizvollen Kontrapunkt zur Live-​Ausführung in Anwesenheit des hochbetagten Predigers von 1942.
Sebastian Hahn als Jüngster der Komponisten hatte sich dem wohl persönlichst berührenden Ereignis der Gmünder Kirchengeschichte gewidmet, gleichsam mit Haut und Haaren, Partei ergreifend und empathisch bekennend: der Tragödie der sieben hingerichteten Wiedertäufer des 7. Dezember 1529. Dass im Künstlergespräch der Zusammenhang von Historie und theologisch-​volksreligiöser Rezeption etwas grob holzschnittartig ausfiel, ändert nichts an der subjektiv starken Annäherung: ohne gesprochenen oder gesungenen Text, in absoluter Musik.
Dennoch: man konnte programmatisch deuten, wie unterschiedlich die Geschichte selbst und die Reaktionen der Betroffenen (gefasst, kindlich fromm, unbeirrt) und der Gaffer bis zum Hinrichtungsakt (Cluster des Klaviers: Marcus Englert). Die unterschiedlichsten Aspekte wurden vollendet zum Ausdruck gebracht: der Komponist an der Trompete, Martin Thorwarth (Oboe), die Brüder Christoph und Matthias Brecht (Klarinette und Fagott). Ergreifend, dass das Werk selbst nichts Dogmatisches, Schulmeisterliches an sich hatte, sondern selbst ganz menschlich bleibt in allen Facetten allzu menschlicher Abgründigkeit. Schließlich das Werk des Nestors Karl-​Heinz Isele: „O Crux Ave“ – Passionsszenen in Anspielung an die Tragödie der Wiedertäufer, mit Zitaten von Friedrich Nietzsche und Hymnen des Stundenbuchs der Kirche. Allein die gegensätzlichen Texte zeugten die Spannung, ein Fast-​zerrissen-​Sein in fünf Sequenzen, von „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“ über Nietzsches einzig ehrlich-​atheistische Kompromisslosigkeit (der Glockenschlag zu halb zehn Uhr hatte ungewollt Symbolcharakter), und dann das „Crux ave“ – die einzige Hoffnung mitsamt der tröstlichen Bitte an den Herrn der Erlösung.
Iseles Schüler Gereon Müller war dessen Wunschinterpret – zu Recht. Wie der jüngste Nachfolger des legendären Hans Grischkat (Schwäbischer Singkreis und dem daraus hervorgegangenen Ensemble „Rondo Vocale“) mit dem Chor und den erhöht agierenden vier Posaunen (bei entsprechend mehrdeutiger Jericho-​Assoziation des Jüngsten Gerichts) den „Ton“ traf! Isele hat mit diesem Opus die ganze Reife seiner kompositorischen und menschlichen Kompetenz in die Waagschale geworfen. Dieser zugleich höchst emotionalen Ansteckung konnte/​wollte man sich nicht entziehen. Müller dirigierte in unaufgeregt selbstverständlichem Gestus, schlagtechnisch und ästhetisch vollkommen. Der Anspruch an die vier Chorgruppierungen (zweimal Männer, Frauen, gemischt) war enorm. Das Zerdehnen der Worte (gesungen, gesprochen, exponiert verhaucht) saß. Schlichter Choral, dramatische Zuspitzung bis zu Clustern – alles teilte sich folgerichtig mit.
Die Beteiligten am Projekt und seiner Einlösung kann man nur von Herzen beglückwünschen und für die Einmaligkeit des Erlebnisses danken.

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