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Nachrichten Kultur

Verleihung des Preises der EKM an Clytus Gottwald /​Vokalensemble Sequenza 9.3

Der Tag der EKM mit und für den 87-​jährigen Preisträger dieses Jahres, Prof. Dr. Clytus Gottwald, hat einen ganz eigenen Reiz: Wann erlebt man einen bedeutenden Mann der geistlichen Musikszene, der einen Marcel Couraud, gar einen Olivier Messiaen oder György Ligeti noch persönlich gekannt hatte!

Donnerstag, 26. Juli 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

FESTIVAL (-ry). Und es spricht für ihn, dass er als Assistent des Ersteren dessen Wirken durchaus mit der nötigen Kritikfähigkeit begleitete. Brennpunktartig wurde im Künstlergespräch mit der SWR-​Redakteurin Dagmar Munck-​Sandner deutlich, wie der Geehrte zu unterscheiden weiß zwischen Impulsen, die er anderen verdankt, die er aber nicht einfach kritiklos hinnimmt, sondern kreativ weiterentwickelt. Überhaupt war das Zwiegespräch zweier SDR-​/​SWR-​Kollegen zweier Generationen eine Mischung aus inhaltlicher Ernsthaftigkeit mit vielen Details, deren Originalitätserfahrung Unikatscharakter hat, und der humorvoll kokettierenden Weise gegenseitiger Komplimente.
Der besondere Werdegang des Künstlers Gottwald, sein Begegnen mit verschiedenen Größen der Musik– und Geistesgeschichte, die legendäre Ära der Schola Cantorum mit vielen bekannten Namen, das ungeheuer Neue einer zeitgenössischen Praxis des A-​cappella-​Gesangs jenseits historischer Verkrustungen oder gar Banalität – das zeigte einen jugendlich frisch gebliebenen, hellwachen Zeitgenossen, der immer noch etwas zu „sagen“ weiß! Dass Gottwald immer ein Fenster, ja einen Horizont geöffnet, aufgerissen hat, davon konnte man in den letzten zwei Jahren mehrfach inne werden: beim EKM-​Preisträgerkonzert mit Marcus Creed 2010, dann am 27. April dieses Jahres in Lorch mit Creed und seinem SWR-​Vocalensemble und nun die Krönung mit der Preisverleihung an einen jung gebliebenen Altmeister, dem es um die Konstruktion von Chorklängen mit allen Facetten der Parameter geht.
In Anwesenheit der EKM-​Preisträger Prof. Dr. Dieter Schnebel (1999), der Gottwald seinen Durchbruch verdankt, Prof. Frieder Bernius (2004), des Carus-​Verlags-​Ehepaares Graulich und des MD Wolfgang Leidig musizierte das phänomenale Vokalensemble Sequenza 9.3 unter Leitung von Catherine Simonpietri „Musik für ‚Vokalorchester’“ vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Auch wenn der Preisträger beteuerte, keinen Einfluss auf die Programmgestaltung genommen zu haben, so zeigte diese dennoch seine Handschrift. Der Beginn der echten Mehrstimmigkeit mit Perotin (12./13. Jh.) bildete den Ausgangspunkt einer Entwicklung ganz unterschiedlicher Werke für Chor; es gab auch Zeiten, in welchen Chorkompositionen ein Schattendasein fristeten, weil der Fokus auf anderes gerichtet war.
Der erste sechsstimmige Chorbeitrag erklang aus dem Hochaltarbereich – mehrfach die Ferne assoziierend, mit dennoch „direktem“ Resultat aus Orgelpunkten und Melismen samt Echo darüber. Die Mischung aus unterschiedlichen Stilen und Kompositionsweisen erbrachte eine Fülle von Kleinodien, zumal Dirigentin und Chor (bis zu 16 Stimmen) einem Strömen verpflichtet sind, das ganz natürliche Dynamik favorisiert und im Forte wunderbar strahlt.
Nach Cristóbal de Morales „Kyrie“ und „Sanctus“ kam bei vier Teilen aus der Hohelied-​Komposition von Jean-​Yves Daniel-​Lesur (Freund von Messiaen, Jolivet und Couraud) eine Klangseligkeit ganz eigener Qualität hinzu, im 6. Lied nochmals gesteigert: ein sich abhebender Cantus, expressiv über dem Klangfächer mit exponiert strahlenden Sopranen.
Thierry Escaich, als „Orgelmagier“ von der EKM 2001 in bester Erinnerung, legte seinem „Sanctus“ für drei Chöre à 4 Stimmen Bachs Choralsatz über „Nun komm, der Heiden Heiland“ zugrunde. Wunderbar, wie ausdrucksstark, dennoch ganz natürlich und eher zurückhaltend der Choral erklang, ehe sich eine großartige Verarbeitung des „Materials“ an – schloss: Aufnahme des Choralimpulses und eine geniale Weiterführung. Man spürte die spirituelle Verwandtschaft, ist doch das Werk den Ausführenden gewidmet.
„O sacrum convivium“ und „Louange à l’éternité de Jésus“ von Olivier Messiaen offenbart den Komponisten als Klangmystiker elementarer Entfaltung. Ob Fronleichnams-​Motette oder die Vertonung eines eigenen Textes (der alles beinhaltet, was seine intensive Beobachtung der Schöpfung einfließen lässt, immer in demütiger Ehrfurcht) teilen sich dem Hörer ganz unmittelbar berührend mit.
Dann die Uraufführung des Abends, ein Auftrag des EKM-​Direktoriums an Gottwald: die Bearbeitung von Louis Viernes „Les Angélus. Au soir“ – im Original für Stimme und Orgel komponiert, nun für sieben Vokalstimmen gesetzt. Man darf das hören, was Gottwald „gehört“, „konstruiert“ hat, mit einer Steigerung ins Klangeruptive, aber stets zutiefst ästhetisch. Eine in mehrfacher Hinsicht zu deutende Initialzündung bildet die 16-​stimmige „Lux æterna“-Komposition von György Ligeti mit ihrer mikropolyphonen Klangentfaltung schier ewiger Linien. Das kann man nur live angemessen hören; jede „Konserve“ muss angesichts solcher Klangdichte als verkürzt verblassen. Und jedes kommentierende Wort bliebe stümperhaftes Stückwerk.
Den Abschluss des Konzerts bildete Gottwalds 16-​stimmige Bearbeitung von „Trois fragments du miroir de Jésus“ von André Caplet. Bereits der erschütternde biografische Kontext macht betroffen, wie viel mehr die gesungene Lyrik dieser zauberhaften Texte von Henri Ghéon in der Übersetzung des Bearbeiters.
90 Minuten höchster pausenloser Konzentration, und dann in solcher Qualität. Dem Kairos dieser Aufführung kann man zum Glück in der SWR-​2-​Sendung am 25. August um 19.05 Uhr noch einmal nachspüren. Der EKM war es wieder einmal gelungen, einen ganz großen Abend zu präsentieren.

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