Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Kultur

Notjahre, Neubürger und Neugründungen

Eigentlich wäre der 1. September Anlass für ein Jubiläum, fand doch vor 65 Jahren die Gründungsversammlung des „Hilfsverbandes der Neubürger“ hier in Schwäbisch Gmünd statt. Doch die Aufgaben des Vereins sind glücklicherweise abgearbeitet, die Probleme von damals (fast) vergessen.

Samstag, 01. September 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
1 Minute 55 Sekunden Lesedauer

GESCHICHTE (wil). Um hier eine Erinnerungskultur zu pflegen, erschien im Frühsommer der Band „Verlorene Heimat – gewonnene Heimat“. Das vom Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd herausgegebene Buch thematisiert, was „ohne Zweifel das wichtigste Thema der Jahre zwischen 1945 und 1955 gewesen ist“, wie Landrat Pavel in seinem Vorwort unterstreicht (die RZ berichtete). Dreizehn Autoren befassen sich auf 280 Seiten mit den Verbindungen, die besonders Gmünd seit Jahrhunderten mit dem Osten hat. So beginnt Ulrich Müller, der dieses Buch federführend betreute, mit der deutschen Ostkolonisation im Hochmittelalter und Hubert Herkommer stellt mit Peter Parler die Verknüpfung zwischen Gmünd und Prag her.
Die Geschichte und vor allem das Schicksal der Siebenbürger Sachsen und der Glaserhauer, der Schlesier und der Brünner finden in eigenen Beiträgen – insgesamt 26 an der Zahl – Berücksichtigung. Das Massaker von Glaserhau, der Brünner Todesmarsch oder auch das Tagebuch einer Vertreibung aus Neumarkt in Niederschlesien werden hier der Vergessenheit entrissen. Besonderes Gewicht unter den Vertriebenen haben natürlich die Gablonzer, die mit ihrer Glas– und Schmuckwarenindustrie die Stadt Gmünd in der Nachkriegszeit wie keine andere Gruppe veränderten.
Marianne Döbbelin beleuchtet die wirtschaftlichen Beziehungen, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg zwischen der schwäbischen Gold– und Silberstadt und dem sudetendeutschen Gablonz im Isergebirge bestanden. Ulrich Müller stellt die Gablonzer Industriegenossenschaft mit ihren Glashütten vor und Wilhelm Lienert schildert den Alltag der Vertriebenen in den ersten Notjahren und die oft erfolgreiche Neugründung ehemaliger Betriebe.
Mit vielen Beispielen und Belegen aus Interviews wird hier die Zeit des Wiederaufbaus lebendig. Dem BdV (Bund der Vertriebenen) als politischem Interessenverband und der gelungenen Integration widmen sich eigene Kapitel, den Einfluss der „Neubürger“ auf das kulturelle Leben schildert Tilman John.
Vielleicht kann Gmünd eine Brückenfunktion einnehmen
Christine Effert von der ehemaligen Alfdorfer Firma Massopust schlägt den Bogen in die Kreisgemeinden, Alois Schubert erweitert den Radius nach Aalen und Ellwangen, wo die Vertriebenenwallfahrt auf den Schönenberg bundesweite Beachtung fand.
Doch das Buch „Verlorene Heimat – gewonnene Heimat“ ist mehr als nur eine Sammlung von Aufsätzen mit reichlichem Bild– und Kartenmaterial. Rudolf Wichards Flyer „Spurensuche“ zu Erinnerungsorten in Gmünd fand ebenso Aufnahme wie eine Zusammenstellung der Archivmaterialien des Gmünder Stadtarchivs, die interessierten Historikern weiteres Arbeitsmaterial bieten. Das Literaturverzeichnis listet auf, was in Gmünd bereits über die Vertriebenen publiziert wurde und ist mit seinen 31 Titeln wahrscheinlich nicht einmal vollständig.
Mit diesem vom Stadtarchiv herausgegebenen Buch greift nun auch die Stadt offiziell diesen Aspekt ihrer Geschichte auf und möchte auf Grund ihrer „historischen und menschlichen Kontakte diese Brückenfunktion nach Osten noch viel weiter ausbauen“, wie Oberbürgermeister Richard Arnold in seinem Vorwort schreibt.

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

3330 Aufrufe
460 Wörter
4275 Tage 3 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4275 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2012/9/1/notjahre-neubuerger-und-neugruendungen/