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Jubiläumsveranstaltung „90 Jahre Leichenverein Leinzell“

Zugegeben – Leichenverein ist ein außergewöhnlicher Name für einen Verein mit 330 überaus lebendigen Mitgliedern. Mit einer Jubiläumsfeier beging am Samstag in der Kulturhalle Leinzell die größte Solidargemeinschaft der Gemeinde, der Leichenverein Leinzell, das 90-​jährige Bestehen.

Sonntag, 17. November 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

LEINZELL (dw). Was sich dahinter verbirgt erklärte Bürgermeister Ralph Leischner bei seiner Begrüßung nach einem musikalischen Zwischenspiel durch Sophie Friedrich, Jana Leinmüller und Veronika Raab. Es handelt sich um eine Selbsthilfe der Bürger, die über den Tod hinausgehe, so Leischner: „Die Mitglieder sind die Lebenden, für die Toten wird gesorgt.“ So wurde auch der Zweck im Protokollbuch festgeschrieben „den Verstorbenen ist ein würdiges Begräbnis zu gewährleisten“. Im März 1923 gründete Schultheiss August Ohnewald mit anderen Leinzeller Bürgern wohl aus der Not heraus den Leichenverein, der in seiner Geschichte zu einem Alleinstellungsmerkmal der Gemeinde geworden ist. Bürgermeister Leischner zitierte Eugen Haag, 30 Jahre lang Vorstand des Vereins; „Leinzell war das ärmste Dorf, das es damals gab“, an anderer Stelle ist zu lesen „Alle für einander“. Schon damals übergab der jeweilige Bürgermeister in Anschluss an die standesamtliche Trauung die Beitrittserklärung und auch heute noch spricht Bürgermeister Leischner in Anschluss an eine Trauung das Thema Leichenverein an: „Ich habe immer eine Beitrittserklärung in der Jackentasche“, erzählte er von seiner Mitgliederwerbung, die den Tod nicht zu einem Tabuthema erklärt. In diesem Verein Mitglied zu werden ist ein Privileg ausschließlich für die Menschen, die in Leinzell wohnen. Bedingung dabei ist, dass die Personen bei ihrem Eintritt jünger als 50 Jahre alt sind. Normalerweise ist bei einem Eintritt gleich die ganze Familie mit dabei, selbst die Kinder bis zu ihrem 25. Lebensjahr. Bis vor ca. 30 Jahren erledigte der Vorsitzende alle Schritte, die bei einer Beerdigung anfielen und war somit Anlaufstelle für die Angehörigen. Auch wenn dies heutzutage durch Beerdigungsinstitute erledigt wird, erhalten die Angehörigen eine Beihilfe in Form von 500 Euro, was derzeit einen Betrag von 1,75 Euro pro Mitglied bedeutet, der wie vor 90 Jahren in bar einkassiert wird. Der Festvortrag des früheren Leinzeller Bürgermeister Günter Nesper ging zunächst auf die Geschichte des Vereins ein und auf die Feststellungen, die dem Protokollbuch zu entnehmen sind. Im Mittelpunkt stand dabei der Leichenwagen, der seit dem Jahr 1927 eingesetzt wurde und dem erst in jüngster Zeit durch die Mithilfe vieler Ehrenamtlicher wieder zu seinem alten Glanz verholfen wurde. Da es zur Zeit der Anschaffung des Leichenwagens kein Leichenhaus gab, wurden die Verstorbenen bis zur Beerdigung zu Hause aufgebahrt, zum Transport auf den Friedhof kam der von Pferden gezogene Leichenwagen zum Einsatz. Die Fuhrleute waren Bauern, die Pferde besaßen und die entlohnt wurden, im Protokoll finden sich die Namen der Besitzer der Gespanne; das Sägewerk Beißwenger, „Adlerwirt“ Albert Junginger, Georg Stegmaier und Georg Schock – die beiden Letzteren stammen aus Mulfingen. Als keine Pferde mehr als Zugtiere zur Verfügung standen, machten sich die Mitglieder des Leichenvereins selbst ans Werk, beschafften einen Kleinleichenwagen, den sie mit aufgebahrtem Sarg zum Friedhof schoben. Aber immer wieder sei nach dem alten Kutschenleichenwagen gefragt worden, berichtete Nesper, und dass der Wagen dann in einer Scheuer in Mulfingen entdeckt worden sei. Der Wagen blieb in einem schlechten Zustand, auch als er später nach Leinzell verbracht wurde. Öfter sei über eine Renovierung nachgedacht worden, bis dann der Ausschuss des Leichenvereins beschlossen habe den Leichenwagen zu erhalten und zum 90-​jährigen Jubiläum wieder instand zu setzen. Als Schmuckstück und sehr würdevoll wurde der Wagen beim Festabend in der Kulturhalle präsentiert. Günter Nesper fand viele Mitstreiter; für Unterbringung und Transport sorgte Lutz Schmid, zur Drechselgruppe, die sich um die Wagenräder und Holzteile kümmerten, gehörten neben Nesper auch Kurt Schumacher und Rolf Krauss. Willi Schneele stellte seine Werkstatt zur Verfügung, Heinz Streit kümmerte sich um die Farben, die von der Firma Jedele nach eingehender Beratung kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. die Holzaufbauten wurden geschliffen, ausgebessert und bearbeitet, hier halfen außerdem Martin Liebhardt und Helmut Tietze. Für die Vorhänge und die Polsterung sorgten Ruth Werner und Ralph und Margret Pander mit Mitarbeitern. Kutschenlampen stiftete Frau Aubele aus Bargau, nachdem sie durch einen Bericht in der Rems-​Zeitung auf die Arbeiten aufmerksam wurde. Das größte Kompliment aber galt Heinz Bihlmayer, der als Kunstschmied außergewöhnliches Talent bewiesen hat und die gesamten Metallarbeiten mit Unterstützung durch Roland Renner akribisch ausführte, ebenso alle Feinarbeiten mit Silber– und Goldfarben. Für seine herausragende Arbeit erhielt Heinz Bihlmayer ein Geschenk von Bürgermeister Leischner. Dieser gab zu, dass er zeitweise kaum glauben konnte, dass der Wagen, nachdem er in alle Einzelteile zerlegt worden war jemals wieder zusammengefügt werden könnte. Leischner dankte allen Beteiligten für diese Leistung und gab der Versammlung bekannt, dass bei der Renovierung keine Kosten entstanden sind, sondern alle Arbeiten ehrenamtlich ausgeführt wurden und für das Material Sponsoren gefunden wurden. Vermutlich galt auch hierbei der Leitsatz des Leichenvereins „Alle für einander“. Auch wenn der Wagen nun wieder schmuck und originalgetreu hergerichtet wurde, wird sich der Wunsch damit gefahren zu werden in Grenzen halten, deshalb wird er ab dem nächsten Frühjahr nach Abschluss der Sanierungsarbeiten an der Leichenhalle dort als reines Ausstellungsstück zu sehen sein.

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