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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Augustinusnacht mit Gmünder Mona Lisa

Unter dem Titel „tota pulchra“ stand am Samstagabend im Mittelpunkt der diesjährigen Augustinusnacht ein Frauenporträt, das sich in der Loge neben der Orgel, dem sogenannten Storr’schen Oratorium, in der evangelischen Augustinuskirche befindet. Auf einer interessanten Spurensuche wurde der Frage nachgegangen, wer die schöne Frau war.

Montag, 26. August 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

Von Dietrich Kossien
SCHWÄBISCH GMÜND. Uwe Werner bereicherte die Veranstaltung mit jazzigen Klängen seines Saxophons. Kleinere Gruppen konnten dank Finanzamtschef Hofmann das Oratorium besichtigen.
Johannes Schüle stellte die kleine Loge über der Orgelempore vor, die von den Augustinern bei der Barockisierung der Kirche für ihren Nachbarn, den Rechtsberater und Reichserbschultheißen Joseph Ferdinand Anton Storr von Ostrach, eingebaut wurde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts grenzte die Nordseite der Klosteranlage an das Grundstück des Bürgermeisters Joseph Ferdinand Storr von Ostrach, der von 1715 bis 1785 lebte und ab 1740 Ratskonsulent war und 1753 Oberstättmeister wurde und für die Steuereinnahmen der Stadt zuständig und ab 1755 Bürgermeister war. Kaiser Franz Joseph II. verlieh ihm den Adelstitel. Den Armen im Spital soll er große Summen gespendet, aber wohl in erster Linie sich selbst und seine Familie bedacht haben. Denn 1780 beschuldigte ihn der Gmünder Oberstättmeister Dr. Doll beim Reichshofrat der Vetterleswirtschaft.
Zu seinen Nachbarn, den Augustinern, soll er einen guten Draht gehabt haben. Als die ihren Konvent und die Klosterkirche 1756 neu aufbauten, gestattete er ihnen, in der Klosterkirche hinter der Orgel zwei Fenster gegen seine Hofraite hin zu machen. Aus dem gleichen Jahr, so Schüle, sei vermerkt: „Gibt den Augustinern die Vollmacht, in ihrer Kirche zu den vorhandenen drei Fenstern an der Nordseite drei weitere anzubringen“. Schüle vermutet, dass möglicherweise die Klosterbrüder dann bereit waren, ihm den Einbau seines Oratoriums über der Orgelempore zu gestatten. Den Zugang hatte er über sein Gebäude zwischen seinem Wohnhaus an der Eytighofergasse (heute Bocksgasse) und der Klosterkirche.
Besonders spannend war dann das Bild einer schönen Frau an der Decke dieses Oratoriums, die zwar keusch den Blick senkt, sich aber gleichwohl aufreizend herausgeputzt hatte. Mit dieser geheimnisvollen schönen Frau mit der Bildunterschrift „tota pulchra“ (total schön) beschäftigte sich Dekan Immanuel J.A. Nau in seinem Beitrag, den er mit Bildern garnierte. Dabei verdeutlichte er Bezüge zu Johann Anwander, der die Augustinuskirche ausmalte, und stellte Verbindungen zum Hohe Lied der Bibel heraus. Was man äußerlich bei dieser rätselhaften Frau sehe, sei schnell beschrieben. Bei dem, was hinter diesem Bild stecke aber, habe es für ihn einige Entdeckungen gegeben, an denen er die Zuhörer gerne teilnehmen lassen möchte.
Auffallend seien fünf große Blüten, die ihr Haupthaar zierten. Außerdem gebe es eine kleine Blume mit vier kleinen rosaroten Blüten. Die besondere Symbolik dieser Blüten wolle er erläutern. Im Christentum tauche die Lilie oft als Symbol auf. Und es gebe in den Apokryphen die Geschichte der „Susanna im Bade“, die sich zwei Lüstlingen verweigere. Sie sei „rein“ geblieben. So komme es, dass in der religiösen Kunst bereits vor Maria die Lilie zu einem Symbol für Reinheit geworden sei und in die Marienverehrung übernommen wurde.
Dekan Nau hob heraus, dass, während die Lilie ein Symbol für die Reinheit sei, die Rose in der religiösen Ikonographie das Symbol für die Jungfräulichkeit gewesen sei. Auch gab er Anregungen zu der kleinen Pflanze mit den rosaroten Blüten, wobei er vermutete, dass es sich dabei ursprünglich um Veilchen handeln müsse, genauer gesagt um „Duftveilchen“, um die „viola odorata“, denn man findet es gelegentlich als Attributpflanze Mariens auf Bildern des späten Mittelalters und der Renaissance, und es symbolisiere als violette Trauerfarbe sowohl den Schmerz über den Tod Jesu wie auch die weltweite Verbreitung seiner Lehre. Doch diese Dinge und das auffällige Schmuckdekolleté seien fast nur Beiwerk. Ins Auge steche vor allem das markante, junge und schöne Gesicht. Dekan Nau: „Diese junge hübsche Frau möchte ich als die „Mona Lisa der Augustinuskirche“ bezeichnen, die eine ganz besondere Ausstrahlung hat.“ Nau ging vielen Details nach, die das Bildnis interessant machen, so auch dem, weshalb diese junge Frau nicht wie die Mona Lisa den Betrachter anblickt. Der Betrachter werde in seiner Bewertung hin– und hergerissen und frage sich, ob dies als Ausdruck demütiger Bescheidenheit oder als aufreizende Provokation zu deuten sei?
Dekan Nau glaubt da an ein strategisch angelegtes Kokettieren, an eine Szene aus einem Liebesspiel. Und wenn man das so bedenke, so hätten dieser Blick und dieser Gesichtsausdruck schon fast etwas Verruchtes. Einen Schlüssel für diese Interpretation sah der Dekan am unteren Ende des Bildes, wo sich die lateinischen Worte „tota pulchra“ finden. Diese finde man auch im Hohelied Salomos. Dort heiße es „tota pulchra es amica mea et macula non est in te“, was Martin Luther mit „Du bist wunderbar schön, meine Freundin, und kein Makel ist an dir“ übersetze. Hier sah Nau eine assoziative Brücke zur „Maria immaculata“, also zur Maria als jener Frau mit der „unbefleckten Empfängnis“. Und in jener Frau sah er auch in gestalterischer Hinsicht das Vorbild für die junge Frau in Augustinus, wobei jedoch das ursprüngliche Marienbild quasi nur der Ideengeber für diese „tota pulchra“ sei.
Dekan Nau ging dann der Frage nach, wie diese schöne Frau nach Schwäbisch Gmünd gekommen ist. Und kam zu Johann Anwander, der die Kirche 1757 ausmalte und seiner Verbindung zu den Wessobrunner Stuckateuren, denen er verbunden war. In Wessobrunn sei auch das Vorbild für die Gmünder „tota pulchra“ zu finden. Ein „Urbild“ in Wien sei aber wohl das Vorbild für das Wessobrunner Gnadenbild, das wiederum mit Sicherheit das Vorbild für die „tota pulchra“ in der Augustinuskirche gewesen sei.

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