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Eiserne Hochzeit in Alfdorf

Seit 65 Jahren sind Adella und Abram Wiens verheiratet. Dass sie es nicht immer einfach hatten im Leben, zeigt sich an den vielen Momenten, in denen ihnen auch heute noch der Atem stockt, wenn sie von früher erzählen. Die Geschehnisse liegen lange zurück, die vielen schlimmen Erinnerungen haben sich aber ins Gedächtnis eingeprägt.

Mittwoch, 30. April 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

ALFDORF (nb). Doch es gibt glücklicherweise auch die anderen Momente. Die, in denen ihnen immer wieder aufs Neue bewusst wird, dass sie neben all dem Leid, das ihnen widerfahren ist, auch eines der größten Geschenke bekommen haben: Ihre Liebe zueinander. Neben den vier Kindern sind heute auch die acht Enkel und die elf Urenkel (das jüngste ist drei Jahre alt) ihr ganzes Glück.
Rund zehn Kilometer voneinander entfernt sind beide in verschiedenen Dörfern im russischen Saratow aufgewachsen. Beide entstammen Großfamilien.
Gerade einmal sechs Jahre alt war Abram Wiens, als seine Familie nach Kasachstan, ausgesiedelt wurde. Sein Vater – ein wohlhabender Bauer – war enteignet worden und von einem Moment auf den anderen hatte die Familie nicht viel mehr als das, was sie am Leibe trug. Ein Bus hatte sie ins kasachische Karaganda gebracht und im August 1931 mitten in der Steppe ausgesetzt.
Zunächst schliefen sie ein paar Wochen unter freiem Himmel, im Herbst begannen sie gemeinsam mit anderen Familien, denen dasselbe Leid widerfahren war, aus Ziegelsteinen Häuser zu bauen.
Zuhause wurde deutsch gesprochen. Von Anfang an. Ab 1932 besuchte Abram Wiens eine deutsche Schule. Sehr früh mussten er und seine beiden Geschwister Abschied nehmen von dem geliebten Vater. An einer Krankheit sei er gestorben, hieß es 1961. Erst einige Jahre später – in den 80er-​Jahren – erfuhren sie die Wahrheit, nämlich dass er erschossen worden war.
Viele weitere Aussiedlungen fanden dann 1941 statt; auch die Familie von Adella Wiens, geborene Löbsack, befand sich darunter. Auch sie musste sich sehr früh von ihrem Vater verabschieden, viele Jahre saß er im Gefängnis und starb, ohne jemals wieder seine Lieben gesehen zu haben. Adella Wiens Tante half – ihrem Antrag, die Familie zu ihr in den Südural zu holen, wurde 1947 eine Erlaubnis erteilt. In einem landwirtschaftlichen Betrieb lernte die damals 17-​jährige Adella hier den fünf Jahre älteren Abram Wiens kennen. Ein Moment, der ihr Leben veränderte; „ich war verliebt vom ersten Blick an“. Besonders seine ehrliche, witzige und resolute Art gefiel ihr gut.
Das Dorf, in dem sie lebten, wurde vom Sonderkommando überwacht
Der Frage „Willst Du mich heiraten?“ im Jahr 1949 gingen weder gemeinsame Treffen, unvergessliche Tanzabende, ausgedehnte Gespräche noch romantische Spaziergänge voraus. „Wir mussten zum überleben arbeiten“, erklärt Adella Wiens und erinnert an Zeiten, die nicht nur anders, sondern vor allem schwieriger waren. Auch, dass das Dorf, in dem sie lebten, bis 1956 von einem Sonderkommando überwacht wurde und nur mit einer Erlaubnis verlassen werden durfte, zeugt davon. Die beiden sahen sich nur bei der Arbeit; er war Buchhalter, sie Reinigungskraft. Gesprochen wurde kaum, doch dass die junge Adella dieselben Gefühle hegte wie er, spürte Abram Wiens: „Wäre ich mir nicht sicher gewesen, dass sie Ja sagt, dann hätte ich sie nicht gefragt.“
Die standesamtliche Hochzeit am 30. April 1949 glich eher einem bürokratischen Akt – in ihrer Sonntagskleidung gingen Adella und Abram Wiens aufs Amt, gefeiert wurde nicht. Etwas besonderes waren da die 16 Kilogramm Mehl, die Abram Wiens am Tag der Hochzeit gekauft hatte; unter anderem wurden Plätzchen daraus gebacken.
Bis 1959 lebten sie in dem Dorf im Südural, gekrönt wurde das Glück von zwei Söhnen (1950, 1957) und zwei Töchtern (1952, 1953). 1959 zog die Familie dann nach Karaganda, wo Abram Wiens ebenfalls als Buchhalter arbeitete und seine Frau als Pflegerin im Krankenhaus; um die Töchter und Söhne kümmerte sich die Großmutter.
Die Kinder zogen 1990 nach Alfdorf; Adella und Abram Wiens folgten ihnen ein Jahr später. Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits 61 bzw. 66 Jahre alt waren – ein Alter, in dem es nicht leicht fällt, sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen – fühlten sie sich von Anfang an pudelwohl hier. Abram Wiens genoss es, auf die Felder zu marschieren und sich mit den Bauern – in denen er Gleichgesinnte fand – zu unterhalten. Und nicht zuletzt waren und sind es die Kinder, die sich liebevoll um das Wohl ihrer Eltern kümmern; Tochter Gerta Bergmann lebt mit ihrem Mann im selben Haus. Und auch die anderen Familienmitglieder wohnen nicht weit entfernt, sie leben ebenfalls in Alfdorf und im näheren Umkreis.
Nie haben Adella und Abram Wiens davon geträumt, in der Welt herumzureisen; ihr Schrebergärtle war es, in dem sie viele glückliche Stunden verbrachten. Auch heute brauchen sie nicht viel, um glücklich zu sein: Ihre vier Kinder, die acht Enkel und die elf Urenkel sind für sie mehr wert als alles, was ein Mensch je besitzen könnte.
„Sich immer an sein Eheversprechen zu erinnern“, nennt Abram Wiens als eines der Geheimrezepte für eine Ehe, die seit nunmehr 65 Jahren währt. Und seine Frau Adella kann sich ein Leben ohne ihren Mann gar nicht vorstellen: „Wir wissen gar nicht, wie es ist, getrennt zu sein.“
Wie die Eiserne Hochzeit am Mittwoch gefeiert wird, das wusste das Ehepaar Wiens im Vorfeld noch nicht. Sie lassen sich von ihren Lieben überraschen. Allein deshalb wird’s auf jeden Fall eine schöne Überraschung.

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