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Das Pädagogische Fachseminar drückte beim Weltlehrertag die Schulbank im historischen Klassenzimmer

Eine Schulstunde der besonderen Art erlebten Fachlehreranwärter/​innen des Lehrgangs 46 des Pädagogischen Fachseminars Schwäbisch Gmünd am Weltlehrertag im historischen Klassenzimmer des Schlosses Heubach.

Freitag, 09. Oktober 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

HEUBACH (pm). Die Lehrkräfte der Fachschaft Pädagogik des PFS, Margrit Schulz, Dr. Thomas Hertel und Winfried Klotzbücher hatten dieses Erlebnis initiiert und begleitet. Zur Einstimmung ließ Dr. Thomas Hertel, Leiter des PFS Schwäbisch Gmünd, den Status des Lehrers früher und heute in einer Rückschau und einem Vergleich Revue passieren. „Aufstehen!“ — „Setzen!“ — mit für heutige Schüler ungewohntem Kommandoton begann für die angehenden Lehrer/​-​innen eine Zeitreise zurück in die Schule von vor hundert Jahren. „Fräulein“ Gerda Fetzer, Lehrerin im Ruhestand und Motor der Initiative für ein Gmünder Schulmuseum, hatte als gestrenge Lehrerin in der Unterrichtsstunde den Stoff und die „Schüler“n souverän im Griff.
Diese saßen wie damals üblich, eingepfercht und ausschließlich auf die Lehrerin ausgerichtet in ihren fest am Boden verschraubten Bänken. Da in der vor ihr sitzenden „Klasse“ die „Schülerinnen“ überwogen, legte Gerda Fetzer zunächst dar, welcher Wandel allein hierdurch sichtbar wird. Vor rund hundert Jahren noch mussten die „Fräuleins“, so die Bezeichnung für die damaligen Lehrerinnen, mit massiven Vorurteilen und Widerständen kämpfen, so z.B., dass sie auf Grund ihres Wesens nach wenigen Jahren im Beruf so verschlissen seien, dass sie einem jämmerlichen Siechtum entgegen gehen würden. Auch dass die Erziehung der Mädchen nur Sache des Mannes sein könne, spukte in vielen Köpfen herum.
Vor dem Beginn der eigentlichen Unterrichtsstunde veranschaulichte Gerda Fetzer an ausgewählten Beispielen und Einzelheiten die Lebensumstände der damaligen Schüler/​-​innen: Kurze Hosen für die Knaben das ganze Jahr über, Röcke und Zöpfe für die Mädchen, barfuß gehen in der warmen Jahreszeit, um die teuren Schuhe zu schonen, Schulranzen, die ein halbes Leben lang ihren Träger begleiten mussten und deshalb oft umgearbeitet wurden, Fehlzeiten entstanden durch die Pflicht, zu Hause helfen zu müssen und vieles mehr. „Wie fröhlich bin ich aufgewacht, …“ das gemeinsam gesprochene Gebet und ein im Kanon gesungenes Lied waren Beginn des täglichen Unterrichts und somit auch dieser Stunde.
Wie vielfältig die Aufgaben des Lehrers damals waren ließ Gerda Fetzer anschaulich werden: Wächter über körperliche Sauberkeit und Hygiene, z.B. Kontrolle der Fingernägel, der Füße, der Zähne und sogar der Taschentücher.
Anders als heute, wo Individualisierung und Differenzierung angesagt sind, wurde damals im Gleichschritt gelernt. Disziplin, Ordnung und dem Einüben von Routinen wurde ein hoher Stellenwert zugemessen. Auf das sorgfältige, schöne Schreiben wurde allergrößter Wert gelegt.
Wohlverhalten und erwünschtes Lernverhalten erfuhren Belohnung in Form von Fleißzettelchen. Ein ausgeklügeltes System von Strafen stand zur Verfügung, um vom Lehrer und der Obrigkeit unerwünschtes Verhalten, Unaufmerksamkeit und mangelnden Fleiß zu tadeln und mit Gewalt zu korrigieren. Eindrucksvoll wurden hierzu von Gerda Fetzer aus dem Horrorkabinett des Bestrafens Beispiele mit Opfern aus der „Klasse“ vorgeführt, zu deren Glück jedoch meist nur angedeutet: Schuhcreme von den Fingern lutschen als Strafe für Kauen an den Fingernägeln, der Nürnberger Trichter, Hosenspanner, Tatzen mit diversen Instrumenten, Kopfnüsse, der Esel sein, bzw. auf dem Esel sitzen müssen, Knien auf Erbsen oder auf einem Holzscheit, usw. .
Der lehrerdominierte Unterricht der damaligen Zeit verlangte der Lehrperson Qualitäten ab, wie sie heutzutage von Showmastern verlangt werden; gleichzeitig waren fachliche Kompetenzen in sämtlichen Unterrichtsfächern gefordert und auch die Fähigkeit, Inhalte mit aus heutiger Sicht spärlichsten Mitteln lebendig und packend auszugestalten.
Dass dies angesichts der aus heutiger Sicht unzureichenden Ausbildung früherer Lehrer und auch der Tatsache, dass häufig ausgediente Militärs Schulmeister wurden, oft nicht zum Wohle der Kinder umgesetzt wurde, konnte man erahnen.
Wie damaliger Unterricht im besten Sinn jedoch stattgefunden haben könnte, wurde mit Gerda Fetzer als pädagogischer Urgewalt zum beeindruckenden Erlebnis. Sie führte vor, wie ergiebig die eingehende Betrachtung und Beschreibung von Bildtafeln als Ausgangspunkt des Religionsunterrichts sein konnte.
Beeindruckend wurden „Reisen“ mit dem Finger auf der Landkarte von Schwäbisch Gmünd aus nach Aalen und nach Freiburg demonstriert und Möglichkeiten, die Schüler hierbei mit einzubeziehen. Wie disziplinierend und den Einzelnen fordernd, gemeinsames Kopfrechnen sein kann, zeigten wenige Minuten Mathematikunterricht.
Durch die Zeitreise in die Schule der Vergangenheit wurde erfahrbar, wie viel sich zwischenzeitlich geändert hat. Heute ist anderes von der Schule gefordert, sowohl von den Lehrern als auch von den Schülern. Das nachhaltig Beeindruckende der Schulstunde im Heubacher Schloss war für die angehenden Pädagogen und Pädagoginnen jedoch, dass bei allen Unterschieden nach wie vor die Persönlichkeit des Lehrers, sein Engagement, seine Zuneigung zur Sache und den Schülern gleichermaßen wichtig sind.

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