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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Markus Fiebig: „Au-​Pair lohnt sich“

Glück gehabt. Richtig viel Glück. Markus Fiebig ist ein junger Gmünder, der seine Entscheidung, die Zeit bis zum Studium als Au-​Pair in England zu verbringen, noch keine Minute bereut hat. Hier sein Bericht.

Freitag, 24. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
6 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND Alle Jugendliche kennen diese Frage: „Und was machst du nach der Schule?“. Diese Frage musste auch ich tausendmal hören. Doch bei mir war das ein bisschen anders. Nachdem ich meine FH-​Reife in der Tasche hatte, flatterte ein Brief des Kreiswehrersatzamtes in meinen Briefkasten und ich musste meinen Zivildienst absolvieren. Somit konnte ich diese Frage noch etwas aufschieben. Ich arbeitete also im OP eines Krankenhauses und es war eine schöne Zeit. Doch leider endet der Zivildienst nach neun Monaten und das ist meist mitten im Jahr. Ich wusste zum Glück, dass ich ab Oktober studieren möchte. So aber was tun mit der gewonnenen Zeit von Mai bis Oktober?!
Entweder für ein paar Monate jobben oder ins Ausland, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern, dachte ich mir. Dank der Finanzkrise ist es nun schwerer, einen Ferienjob zu finden und so wurde das Thema „gap year“, einfach mal ins Ausland zu gehen, immer interessanter für mich. Der Wunsch, eine neue Kultur, Sprache und Freunde kennen zu lernen wurde immer stärker. Aber jetzt stand ich vor der nächsten Frage. Wie soll ich ins Ausland? Einfach in den Flieger und los, das funktioniert nicht. Es gibt viele Möglichkeiten, ins Ausland zu gehen. Etwa über das Prinzip „work and travel“ – wie das Wort schon sagt, das Land erkunden und wenn das Geld ausgeht, wieder eine Arbeit suchen. Oder doch eine Sprachreise mit Gastfamilie und täglichem Collegebesuch? Ich suchte also im Internet nach Inspiration, und meist, wenn man es am wenigsten erwartet, kommt einem eine Idee. Bei mir war es der Tipp einer Freundin, die vorschlug, Au Pair zu machen. Au Pair? Ich? Ich bin ein Junge. Täglich auf Kinder aufpassen und den Haushalt machen, ist das wirklich was für mich? Wir hatten in unserer Familie, als ich jung war, selber sieben Au Pairs und ich wusste aus eigener Erfahrung, wie stressig das sein kann. Ich habe selber noch Kontakt zu unseren Au Pairs von damals und habe um Rat gefragt. Von allen Au Pairs, die ich gefragt habe wurde mir bestätigt, dass dies eine ihrer schönsten Zeiten im Leben war. Und so mache ich nun schon seit zwei Monaten Au Pair in England. Zur Gastfamilie kam ich durch Zufall über eine Bekannte, aber der übliche Weg ist ganz einfach der über eine Au-​Pair-​Agentur. Diese sucht dann die passende Familie für einen. Man gibt einfach sein gewünschtes Land und die Anzahl der zu betreuenden Kinder an und darf sich dann auf eine Hand voll Familien bewerben.
Ich lebe nun in einer super netten Familie in Harrogate, einer Stadt so groß wie Gmünd in der Grafschaft North Yorkshire, ca. 100 km nördl. von Manchester entfernt. In dieser Stadt hatte Nicole uns das letzte Mal zum Grand-​Prix-​Erfolg geführt und dies sollte auch mir Glück bringen. Es ist eine reiche, alte Englische Kurstadt und ähnelt unserem Baden-​Baden mit schönem Park und netten Geschäften. Die Familie (die Eltern sind Anwälte), in der ich lebe haben drei Jungs im Alter von 5; 7 und 8 Jahren. Und da ich selber mit zwei jüngeren Brüdern aufgewachsen bin kann ich mich prima in die Situation versetzen. Hier ist immer etwas los. Ich hatte, nie größere Verständigungsschwierigkeiten obwohl ich in der 6. Klasse früher auch mal eine 5 in Englisch hatte. Zum Glück konnte ich diese Lücken bis zum Ende der Schulzeit schließen. Ich mache zwar täglich viele Fehler aber das wichtigste ist einfach drauflos zu reden.
In England angekommen, hieß es zum ersten Mal links fahren. Ich fahre schon seit zwei Jahren Auto, aber auf der rechten Seite. Das war eine Umgewöhnung. Ich habe die ersten Tage jedes Mal versucht, auf der falschen Seite einzusteigen. Aber man gewöhnt sich recht schnell an das Linksfahren und auch Schalten mit der linken Hand wird nach zwei Wochen zur Gewohnheit.
Wie sieht nun mein täglicher Arbeitstag aus. Als Au Pair verdient man in der Woche 65 Pfund Taschengeld, was ca. 77 Euro entspricht. Dafür muss ich ungefähr 25 Stunden wöchentlich arbeiten. In jeder Familie ist es etwas unterschiedlich. Meine Tätigkeiten fangen morgens um 7 Uhr an. Ich muss die Kinder in die Schule bringen. Also Frühstück machen, ihnen beim Anziehen der Schuluniform helfen und dann in die Schule fahren. Morgens fangen die Diskussionen an, „I don‘t want to go to school und warum müssen die deutschen Kinder keine Schuluniform tragen?” Zum Frühstück gibt es genau wie daheim Toast mit Honig oder Marmelade oder Müsli. Es gibt nur helles Toastbrot in England. Ich vermisse hier ein anständiges Bauernbrot oder einen leckeren Leberkäsbriegel. Nach dem Frühstück fahre ich Max (8), Rory (7) und Adam (5), so heißen nämlich meine Kinder, in die Schule. Da alle, auch Adam, in die gleiche Schule gehen ist das sehr praktisch für mich. In England gehen die Kinder von ca. 4 bis 11 Jahren in die Primary School, welche vergleichbar mit unserer Grundschule ist. Nachdem ich die Kinder in die Schule gebracht habe heißt es für mich, täglich circa 1 Stunde kleine Tätigkeiten im Haushalt machen. Angefangen von Küche aufräumen über Bügeln bis hin zum Putzen. Das ist nicht viel und täglich schnell erledigt, denn ich habe bis 15Uhr, da muss ich die Kinder wieder von der Schule abholen, frei. In dieser Zeit kann ich hier eine Sprachschule besuchen oder die Gegend erkunden. Man findet hier sehr schnell Freunde und als Junge ist man als Au-​Pair sowieso der Hahn im Korb.
In den ersten Wochen musste ich feststellen, dass alle Vorurteile über England nicht ganz gerechtfertigt sind. Das Wetter ist besser als sein Ruf, denn in den letzten Wochen hatten wir ausschließlich schönes, sonniges Wetter und ich konnte meinen Tag mit Picknick im Park verbringen. Genauso das Essen: Ich habe schon lokale Spezialitäten wie Yorkshire-​Pudding und Shepardspie probiert und es war super lecker. Aber England ist das Land der Sandwiches und ich musste mich daran gewöhnen, dass man mittags nicht warm isst, sondern kurz ein Sandwich mit Chips zum Lunch hat. Abends gibt’s dafür dann etwas Warmes.
Man kann von hier aus viele Ausflüge machen. Sei es nun ans Meer, zu wunderschönen alten Ruinen und Burgen oder einfach mal Shoppen gehen in Manchester oder Leeds. Man erlebt jeden Tag etwas Neues.
Um 15 Uhr heißt es dann die Kinder von der Schule abholen und mit ihnen spielen. Da es Jungs und dazu noch Engländer sind, steht täglich Fußball auf dem Plan. Das finde ich natürlich richtig super und kann mit ein paar Tricks beeindrucken. Außerdem leiste ich gute Fan-​Arbeit und ihr Lieblingsverein heißt nach Liverpool schon VfB Stuttgart. Dann koche ich ihnen täglich eine Kleinigkeit zum Abendbrot und dann geht es meist raus zur zweiten Halbzeit. Die Kinder können zwar manchmal ganz schöne Chaoten sein, aber dafür kann man mir, ihnen viel Spaß haben. Mittlerweile bin ich schon zu ihrem großen Bruder geworden und fühle mich super wohl in der Familie. Am Wochenende steht es mir frei, entweder mit der Familie Ausflüge zu machen oder auf eigene Entdeckungsreise zu gehen. Meist heißt es Freitagabends, ab in den „Vipers Room“, die beste Disco der Stadt, und am Samstag oder Sonntag – da auch Sonntags die meisten Geschäfte offen haben – geht es mit dem Zug zum Einkaufen nach Leeds oder York.
Es ist super hier, ich genieße meine Zeit, bevor wieder der Ernst des Lebens los geht und lerne täglich fleißig Englisch. Das Ganze bringt einem nicht nur gute Englischkenntnisse, sondern man lernt auch, mit Kindern umzugehen und mal auf eigenen Füßen zu stehen. Die Vorteile weshalb ich mich entschieden habe, Au Pair zu mache sind einfach: Man braucht kein Geld, um hier zu leben. Unterkunft und Verpflegung sind gewährleistet und es gibt sogar ein kleines Taschengeld. Des Weiteren lebe ich in einer Gastfamilie und lerne das Leben in einer zwar ähnlichen aber doch ein bisschen anderen Kultur hautnah kennen.
Da ich auf meine Jungs Max, Rory und Adam aufpasse, ist es ein Vorteil, dass ich ein Mann bin, weil ich genau weiß, was Jungs in dem Alter gerne spielen und erleben wollen. Ich habe angefangen, einen kleinen Blog im Internet zu schreiben, um meiner Familie und Freunden täglich ein bisschen von meinem Leben hier zu erzählen. Meine Erfahrung damit: Man wird dafür beneidet, einfach mal „Frei“ zu sein und jeden Tag etwas Neues zu erleben. Aber am meisten vermisse ich außer meinen Freunden und meiner Freundin, die mich natürlich fast nicht gehen lassen wollte, das schwäbische Essen. Das Essen hier ist gut, aber mal wieder leckere Maultaschen oder Spätzle mit Soße zu essen, das fehlt einem richtig. Man lernt hier sehr schnell neue Freunde kennen und die Verbindung zu meiner „neuen“ Familie ist genial. Deshalb werden sie alle mich nächstes Jahr für ein paar Tage in Deutschland besuchen kommen. Und wie ich von unseren Au-​Pairs aus Kinder– und Jugendtagen weiß, entstehen hier Freundschaften fürs Leben.
Mit all dem, was ich bis jetzt schon erlebt habe, werde ich sicher noch ein Buch über diese Zeit schreiben und kann nur jedem empfehlen, Au-​Pair zu machen. Es sind zwar immer noch 95 Prozent Mädchen, die als Au-​Pair ins Ausland gehen, aber auch als Mann kann man hier seine Stärken nutzen, richtig viel Spaß haben und Tolles erleben.

Markus Fiebig

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