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Bartholomäer Rosstag von der Sonne verwöhnt und von Zigtausenden besucht

Herrschaftliche Kutschen, mit Bierfässern beladene Wagen, Gespanne für die Anwendung in der Landwirtschaft, dazu eine sachkundige Moderation, viel Musik und noch mehr Sonne — ein Bartholomäer Rosstag, wie er im Bilderbuch steht, fand gestern statt. Von Gerold Bauer

Montag, 24. August 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

BARTHOLOMÄ. 20 000 Zuschauer wurden zu der Traditionsveranstaltung auf dem Albuch erwartet — tatsächlich dürften es wohl einige mehr gewesen sein. Denn nicht nur die als offiziellen Parkflächen ausgeschilderten Wiesen, sondern auch noch alle möglichen Flächen kilometerweit von den Ortseingängen entfernt dienten als Abstellfläche für die die Fahrzeuge des Publikums.
Entsprechend waren dann auch freie Plätze in den Festzelten oder an den Biertischen unter den Obstbäumen auf der Marktwiese Mangelware. Die an der Ortsdurchfahrt verteilten Bewirtungsstationen waren ebenfalls sehr gut frequentiert. Dank der Weitläufigkeit der Umzugsstrecke und der Größe der Marktwiese gab es aber trotz der „Besucherlawine“ kein unangenehmes Gedränge. Allerorten prägten gut gelaunte Leute und Unterhaltungsmusik die Veranstaltung. Ein kleiner Vergnügungspark mit Fahrgeschäften für Kinder und einer Schießbude fehlt auch nicht.
Rund eine Stunde dauerte das Defilee der Wagen und Fußgruppen. Nach den Heubacher Ulanen führte Bürgermeister Thomas Kuhn im offenen Wagen als Gastgeber den Festzug an. Mit dabei war auch viel Prominenz aus der Region. Obwohl der Wahlkampf schon in seine verschärfte Phase geht, demonstrierten die beiden Bundestagsabgeordneten Norbert Barthle (CDU) und Christian Lange (SPD) beim Roßtag, dass in Berlin aktuell noch eine große Koalition regiert: Beide saßen einträchtig nebeneinander in der gleichen Kutsche. Ein paar Wagen weiter hinten konnte sich der Chef des Gmünder Polizeireviers, Helmut Argauer, inkognito und in zivil davon überzeugen, dass seine uniformierten Mannen mit Streifenwagen und Dienstmotorrädern zahlreich präsent waren und diese Großveranstaltung gut „im Griff“ hatten. Auch der Heubacher Schultes Klaus Maier und der neue Gmünder OB Richard Arnold ließen sich durch die Albuchgemeinde chauffieren.
Einmal mehr beeindruckte der Rosstagsumzug durch seine Vielfalt. Zum Beispiel im Hinblick auf die Pferderassen, die man vor den Karren gespannt hatte. Man sah kraftstrotzende Kaltblüter (Schwarzwälder Füchse, süddeutsches Kaltblut, gescheckte Noriker oder französische Percheron), tänzelnde Friesen mit pechschwarzem Fell und haarigen „Franzen“ an den Hufen, elegante Warmblüter sowie kleinere Pferderassen vom Haflinger bis zum Shetland-​Pony. Aufsehen erregte eine „gemischte Anspannung“, bestehend aus einem Pferdchen und einem Ziegenbock, die einträchtig an den beiden Seiten der Deichsel trabten. Und ein anderes Wägelchen wurde gar komplett von einer ganzen Ziegenschar gezogen. Auch arme Leute, die sich kein Pferd leisten konnten, konnten sich offensichtlich in alter Zeit behelfen.
So wie Pferde zoologisch von den Ziegen meilenweit entfernt ist, unterschieden sich auch die Anspannungen. Neben einfachsten Karren und kleineren Kutschen für den Sonntagsausflug (inklusive Picknickkorb), sah man gestern vom Straßenrand aus auch eine barocke Chaise, deren Kutscher mit seiner Livree und dem prächtigen Dreispitz einen hochherrschaftlichen Eindruck machte. Sehr elegant auch eine Hochzeitskutsche mit Brautpaar hinter dem Kutscher in Frack und Zylinder; liebevoll restaurierten, nach alter Handwerkstradition gepolsterten Landauer, kündeten vom einstigen Wohlstand der Großbauern.
Bis zu sechsspännig (und insgesamt sechs an der Zahl) waren die historischen „Bierlaster“ unterwegs; von genauso vielen Rössern wurde ein schwer beladener Holztransporter gezogen. Ein Kleinpferde-​Gespann war gar zehnspännig zu bestaunen. Grundsätzlich beeindruckte, wie nervenfest die Tiere ihren Job als „Motor“ verrichteten. Sie ließen sich weder von den mitmarschierenden Blasmusik-​Kapellen noch von den im Takt der Akkordeonmusik knallenden Fuhrmannspeitschen aus der Ruhe bringen. Ein Kutscher demonstrierte sogar ganz spontan eine kleine „Fahrschule“, indem er auf engstem Raum mit seinem Zweispänner eine blumengeschmückte Verkehrsinsel kontrolliert umrundete.
Schön, dass die alten landwirtschaftlichen Fuhrmannstraditionen bei den Rosstagen einen Schwerpunkt bilden. Vom dreieckigen Bahnschlitten aus Holz, der im Winter als Schneepflug die Wege passierbar machte, bis zum kleinen Pflug und zur Egge reichte die Palette. Ob schwer mit Mehlsäcken oder übervoll mit Stroh oder Hopfen beladen, ob zur sonntäglichen Fahrt zur Kirche oder zum Ausliefern von handwerklichen Erzeugnissen bestimmt — alles wurde von bestens erzogenen Rössern durch die Bartholomäer Straßen gezogen. Sogar ein früher „Mähdrescher“ mit exakt zwei Pferdestärken und ein Zirkuswagen mit kostümierten Kindern konnten bestaunt werden.
Bei den Motivwagen gab es rollende Werbeschilder für Betriebe sowie eine komplette Dorfschmiede und eine Mosterei. Erinnert wurde natürlich an die feierliche Einholung der Erntewagen und gezeigt wurde live auf dem Wagen, wie man sich selbst auf engstem Raum, zum Beispiel in einer kleinen Tenne, nicht gegenseitig den Dreschflegel auf den Schädel haut, wenn alle im Rhythmus arbeiten. Immer wieder war auch Chormusik zu hören; und es erklang, wie könnte es anders sein — die alte Volksweise „Hoch auf dem gelben Wagen“.
Als die Gespanne am Ende des Umzugs ihre Ehrenrunde über die Marktwiese drehten, gab es für das Publikum kompetente Erläuterungen über die zu sehenden Pferderassen, die Anspannarten, die Wagentypen und die Persönlichkeit der Fuhrleute. Manche von ihnen waren das erste Mal dabei, die allermeisten aber sind treue Rosstagsteilnehmer, die sich auch von einer aufwändigen Anreise nicht davon abhalten lassen, aktiv mit ihren Fuhrwerken dabei zu sein.

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