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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Stephan Kirchenbauer und Alexander Groll freuen sich über unverhofften Zuspruch: Staufersaga und Stauferzug im Jahr 2012

Über 2000 laufende Meter Stoff warten schon jetzt darauf, zu mittelalterlichen Gewändern verarbeitet zu werden – und die Stadt hat nicht einen Cent dafür ausgegeben. Gmünds großes Stauferprojekt lässt sich prächtig an.

Dienstag, 26. Oktober 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Stephan Kirchenbauer, der das Projekt initiiert hat, lässt all seine Beziehungen spielen. Hier nahm er 22 Ballen handgewebtes Leinen entgegen, dort einige Ballen Samt, den zu streicheln ein sinnliches Vergnügen ist. Kisteweise lagern mittlerweile Krönungsstoffe aus Paris in der Grät, Bordüren aus Indien. Eine österreichische Firma, deren bestickte Stoffe unter anderem von Chanel verarbeitet werden, hat wertvolle Restposten beigesteuert — nicht zuletzt in der Vorfreude auf einen denkwürdigen Stauferabend im Jahr 2012. Die Staatsoper Stuttgart verkaufte Kirchenbauer nicht nur sehr günstig 30 geknüpfte Tuniken, die in den 60er Jahren in einer Freischütz-​Inszenierung Verwendung fanden, sie schenkte ihm ebenfalls einige nicht mehr benötigten Stoffe. Und wenn er in den kommenden Wochen wieder unterwegs ist — unter anderem geht’s nach China und Paraguay — warten dort schon weitere Kontakte, die er nutzen will.
All das und noch viel mehr wird gebraucht für Staufersaga und Stauferzug. „Keinen Klamauk“ wird es geben, auf keinen Fall, sagt Stephan Kirchenbauer. Dass er Geschichte leben lassen will. Dass er aber gewissen dramaturgischen Spielraum haben muss. So wird es zwar keine Handys und keine Armbanduhren geben, aber eben auch keine zahnlosen Darsteller. So wie es nicht möglich ist, jeden der voraussichtlich 800 Darsteller in handgewebtes Leinen zu hüllen, oder durchgehend echte Kettenhemden einzusetzen. „Wir werden der Realität so nahe wie möglich kommen“, verspricht Kirchenbauer. Möglich wird dies Dank renommierter Historiker wie Dr. Hubert Herkommer — wenige eignen sich so sehr für diese Aufgabe wie der ausgewiesene Staufer-​Experte und emeritierte Professor für germanistische Mediävistik an der Philosophisch-​historischen Fakultät der Universität Bern.
Unterdessen melden sich in der Gewandmeisterei in der Grät immer mehr Freiwillige. Über 80 Zusagen mitzumachen, sind alleine in den ersten beiden Wochen, nachdem das Projekt öffentlich gemacht wurde, bei Alexander Groll eingegangen. Er ist der Zweite im Organisatoren-​Bund, der im übrigen ebenfalls nach Kräften hamstert: Hier die ausrangierten Holzräder des Wäscherschlosses, dort alte Karren, und nicht zuletzt Zusagen von Tierbesitzern. Allein: Es ist noch so viel zu tun, so viel Hilfe wird benötigt.
Durchaus nicht nur Gmünder beteiligen sich an diesem Jahrhundertprojekt, wie bereits die Gründung der Gewandmeisterei zeigt; auch aus Böbingen, Mögglingen und Durlangen melden sich Freiwillige — so will zum Beispiel eine Schneiderin im Ruhestand mitarbeiten, die meint, „den ganzen Tag Spazierengehen“ sei nichts für sie. Die Sarazenen sollen von den türkischen Mitbürgern dargestellt werden; erste Gespräche mit dem Fußballverein TSK Türkgücü sorgten für eine nette Randnotiz: Ein junger Mann wandte sich hilfesuchend an die Organisatoren — er spiele nicht im Verein, wäre aber furchtbar gerne dabei. „Inspizientin“, sprich die Koordinatorin des Projektes, ist Sonja Westphal. Obermeisterin Christine Zorniger — die einen Teil der Stoffe lagert und seit Wochen ihr Wohnzimmer nicht mehr nutzen kann -, Gundi Mertens und Carolin Kraut leiten die Gewandmeisterei. Gerda Kalbantner und Grete Thomas sind ebenso dabei wie Martina Alt, Designerin und Schnittdirektrice der Firma Susa, die zur Schnittmeisterin ernannt wurde. Der DRK-​Strickkreis will die Kettenhemden übernehmen, die nicht aus Metall gefertigt sind. Ilona Rinderknecht hat den Ausbildungsbereich der JVA Gotteszell für den guten Gmünder Zweck gewonnen. Viele Namen finden sich auf den Listen, die bekannt sind in der Stadt. Als Lederspezialisten wurden Annegret und Rainer Kornau, Andy Breyer und Ulrike Gatter angeworben. Die „Archivare“ Martina Sopp und Frank Messerschmidt werden dafür sorgen, dass jedes Gewand samt Fuß– und Kopfteil in einwandfreiem Zustand für spätere Gelegenheiten gelagert wird: Denn es wird weitergehen. Eine mittelalterliche Tanzgruppe soll das Stauferjahr ebenso überstehen wie Fahnenschwenker, Trommler und Pfeifer und die staufische Stadtwache. Auch mit Blick auf die Landesgartenschau 2014 wird dieses Jahrhundertprojekt nämlich gestemmt, außerdem blickt die Gruppe auf historischen Feste in ehemaligen Reichsstädten wie Hall, Biberach oder Nördlingen, die dort „Stadtidentität“ stifteten.
Lebendige
Stauferzeit
Das Stadtjubiläum 2012 zeigt nicht, wie üblich, eine Zeitreise von den Römern bis zu Hochrad und Cabriolet, sondern die Staufer und ihr Umfeld, die Zeit von 1138 bis zum letzten Staufer Konradin im Jahr 1268, zudem all die Dinge, die Europa damals verändert und bis heute geprägt haben - den Übergang von der Romanik zur Gotik ebenso wie die derzeit bestimmenden Themen Religion und Integration.
Unterschiedlichste Gruppierungen werden benötigt, und für jede einzelne muss Schnittmuster, Farbkonzept und Stoffkombination festgelegt werden. Die Zünfte sind dabei. Die lassen sich zwar erst im 14. Jahrhundert nachweisen, doch dass es Gerber, Fischer, Sensenschmiede, Bäcker und Schneider gab, darf angenommen werden. Ebenso Thema sind die Gold– und Silberschmiede, die wohl in ihren allerersten Anfängen steckten, sowie die Steinmetze. Ihre Gewänder werden zwar individuell gestaltet, doch sind sie jeweils als Gruppe zu erkennen. Ganz anders die Leprakranken, die Bettler, die „Hübschlerinnen“ und die Gaukler — die einfach nur trugen, was ihnen in die Hände fiel. Völlig identisch wiederum werden die Gewänder der verschiedenen Militärgruppen ausfallen. Die Gmünder Stadtwache in rot-​weiß, die staufischen Ritter in gelb-​schwarz — wobei im Münster auch ein Stauferwappen mit goldenen Löwen auf rotem Grund zu sehen ist, doch wer will schon im englischen Revier wildern. Dann gibt’s den Deutschen Orden, die Templer und staufische Gefolgsleute wie die Rechberger und die Woellwarths.
Der Klerus samt der in Gmünd vertretenen Orden ist eingeplant, die kaiserliche Familie in Byzanz, deren „Rose ohne Dornen“ den kalten Norden verzauberte, dann natürlich die Jäger und Falkner, die Musikanten und nicht zuletzt Schultheiß, Bürgermeister und Räte. Und weil’s den ganzen Gmünd Raum angeht, sind selbstverständlich auch die Ortsteile eingeladen, sich mit ihren Farben und Wappen und Traditionen zu präsentieren.
Das Mittelalter darstellen — dazu bedarf es weit mehr als 800 weitgehend historischer Gewänder: An erster Stelle stehen natürlich eine gute Geschichte, die liefern die Staufer, und viele bewegende, gut inszenierte Momente. Aber das ist eine andere Geschichte. Zunächst werden Kleidermacher gesucht, Requisiten– und Kulissenbauer, Musikanten, Modistinnen — „wenn man auf dem Kopf nix Gescheites hat, wirkt das ganze Gewand nicht“ — sowie Kunsthandwerker, die für Kronen, Reifen, Gürtel, Ringe sowie die „Gebände“ für Hauben und Schleier etc. sorgen.
Apropos: Die Stauferschar hat neben der Nachbildung der byzantinischen Krönungsgewänder einen großen Wunsch: Wie schön wäre eine Replik der in Wien aufbewahrten Reichskrone. Stephan Kirchenbauer und Alexander Groll geraten ins Schwärmen — eine Reichskrone in der Johanniskirche, damit ließen sich Schulklassen und Touristen gleichermaßen faszinieren. Das Material ist gar nicht so kostbar, aber wie aufwändig die Herstellung! „Eine Bereicherung, eine Investition in die gesamte Region“, so die Stauferfans der Stadt, zuversichtlich, auch diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Sie fürchten lediglich, andere Städte könnten ihnen zuvorkommen.

Informationen gibt’s bei Alexander Groll, Stabsstelle für Bürgerschaftliches Engagement, Tel. 07171 /​603 1015, alexander.​groll@​schwaebisch-​gmuend.​de

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