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Bei der Fronleichnamsprozession in Waldstetten liefen die 15 Träger früher direkt hinter dem Himmel

Nachdem voriges Jahr über den letzten gelernten „Rosenkranzmacher“ weit und breit, Thomas Albrecht aus Waldstetten berichtet wurde, soll dieses Jahr die „Rosenkranzbruderschaft“ in Waldstetten im Blickpunkt des Interesses stehen. Wertvolle Auskünfte dazu gaben Berta Sorg, Ingrid und Karl Weber, Anton Menrad, Roland Sorg und nicht zuletzt der Bürgermeister im Unruheszustand, Rainer Barth.

Samstag, 30. Oktober 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

WALDSTETTEN (pm). Wer das Heimatmuseum Waldstetten besucht, entdeckt im Raum „Kirchliches Leben in Waldstetten“ 15 ovale Metall-​Blechtafeln zirka 25 Zentimeter breit und zirka 35 Zentimeter hoch, mit ganz alter Bemalung. Es waren die Tafeln, die die 15 „Täfelesmänner“ bei den Fronleichnamsprozessionen trugen. Ihr Platz – und damit wird ihre Bedeutung herausgehoben – war gleich hinter dem „Himmel“, unter dem der Pfarrer die Monstranz trug. Aber auch bei den häufigen im Kirchenraum stattfindenden Prozessionen an entsprechenden Hochfesten gaben die „Täfelesmänner“ dem Festgottesdienst ein festliches, beeindruckendes Gepräge.
15 Männer waren es also – nicht mehr und nicht weniger. Starb einer, so trat an seiner Stelle ein neuer „Täfelesträger“. Der Pfarrer nahm bei der Besetzung keinen Einfluss, die Gruppe selbst entschied, wer die Nachfolge antreten sollte. Man trug als „Täfelesmann“ wie die Mitglieder der Rosenkranzbruderschaft alsbald genannt wurden, den leicht gebogenen, ovalen Blechschild, mit Metallgriff und Dorn zum Aufstecken der Kerze. Nach den Prozessionen wurden die Tafeln an der Wand der St.-Laurentius-Kirche an ihrem angestammten Platz aufgesteckt – bis zur nächsten Prozession.
Mit der grundlegenden Umgestaltung des Kircheninnenraums Anfang der 60er-​Jahre kamen die Tafeln auf die Bühne des Pfarrhauses, von wo sie Bürgermeister i. R. Rainer Barth für das Heimatmuseum entdeckte – und retten konnte. Nach behutsamer Restaurierung 2007 durch Labrini Labropulou-​Blumer auf Weiler kamen sie ins Heimtmuseum – und rufen dort bei den besuchern Erstaunen und Nachfragen aus. Es sind weit und breit Unikate. Es ist nicht bekannt, wo es auch solche Tafeln gäbe.
Da das Rosenkranzgebet ein marianisches Gebet ist (freudenreicher, schmerzhafter und glorreicher, seit einigen Jahren auch lichtreicher Rosenkranz), waren die Tafeln mit Motiven aus dem Marienleben bemalt. „Tiefer Sinn der Bruderschaft war, die Verehrung der Muttergottes nach außen hin zu zeigen“, sagt Anton Menrad. Solche Bruderschaften, die es überall gab – allerdings ohne die Gruppe von „Täfelemännern“ wie in Waldstetten – hatten das Ziel, durch das tägliche Rosenkranz-​Beten die Realität des Todes ins dauernde Bewusstsein zu rücken, sich vor einem jähen Tod abzusichern, für die verstorbenen Mitglieder zu beten und die Geselligkeit untereinander zu pflegen. Verständlich, wenn man sich daran erinnert, dass noch vor 80 Jahren die Lebenserwartung wesentlich niedriger und die medizinische Versorgung mit der heutigen nicht zu vergleichen war. Zum Punkt „Geselligkeit“ fügt Menrad an: „Nach den Fronleichnamsprozessionen trafen sich die Täfelesmänner meist mit der Musikkapelle im früheren Gasthaus „Restauration“. Ein Gemeindefest an Fronleichnam (wie heute üblich) gab es nicht.“ Berta Sorg, 102 Jahre alt hatte den Begriff „Täfelesmänner“ zum ersten Mal von ihrer Mutter gehört. „Das waren anständige Männer, angesehen in der Gemeinde. Auch wenn sie wochentags im Stall, auf den Äckern und Wiesen, im Wald oder in der Werkstatt arbeiteten – wir Kinder hatten respekt vor ihnen. Und Rainer Barth ergänzt: „Einige von ihnen waren auch Dichter und Denker, wie der Boda-​Gottfried zum Beispiel.“ Gegründet wurde die Bruderschaft in Waldstetten 1793.
Ganz persönliche Erinnerungen tauchen bei Roland Sorg, Sohn von Berta Sorg, auf. In den 50er-​Jahren ging er als Berufssoldat zur neu aufgestellten Bundesmarine nach Wilhelmshaven. „Für uns als Ministranten“, so Sorg, „waren das alte Männer. Mit 40 Jahren war man damals schon alt, so alt wie heute manche 70-​Jährige nicht alt sind. Alt auch, weil sie durch knochenharte Arbeit verschafft waren. Mir sind auch ihre schlurfenden Schritte noch im Ohr und als Ministranten äfften wir sie in der Sakristei manchmal nach – natürlich nur wenn der Pfarrer nicht in der Sakristei war. Die Täfelesmänner waren für uns junge Lauser irgendwie aus einer anderen Welt“.
Verstärkt wird dieser Eindruck, wenn Ingrid Weber erzählt: „Die Prozession der Täfelesmänner war eine feierliche Sache. Schwarz gekleidet mit Frack und Zylinder. Sehr beeindruckend, wie sie ihr Täfele vor sich hertrugen, mit der brennenden Kerze.“ Mitte der 70er-​Jahre starb der letzte aus der Gruppe der noch bekannten Namen: Johannes Abele „Herz-​Jesu-​Bäck“, Josef Abele „Weberseff“, Karl Abele, Bernhard Betz „Schuhbauer“, Alois Betz, Johannes Barthle „Mauraschneider!, Vinzenz Frei, Herrmann Johannes „Schwarz-​Hans“, Franz Hieber „Schuhmacher“, Josef Hieber („Schuhmacher“, Bernhard Krieger „Hefama“, Johannes Nagel „Male“, Bernhard Nagel, Pius Mangold, Gottfried Menrad „Kirchenpfleger“, Eugen Reißmüller „Oswalda-​Eugen“, Johannes Reißmüller „Oswalda-​Hans“, August Herkommer „Bosers-​August“, Josef Seitzer, Josef Stäb „Schneider“, Konrad Waibel „Konstantin“ und Max Waibel „Fränzle“.
Übrigens: Der Reformator Martin Lutzer kritisierte die zahlreichen bruderschaften – Zusammenschlüsse von Christen auf Zeit, auf dem Weg zum Heil – sie hätten nur „eyn bier, eyn fressen und eyn sauffen“ im Kopf. Trotz intensiver Nachforschungen konnte bis jetzt nicht herausgefunden werden, ob das auch für die Waldstetter Bruderschaft die „Täfelesmänner“ zutraf, wohl eher nicht.

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