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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Vor 1000 Zuhörern: Verdis „Nabucco“ unter freiem Himmel auf dem Münsterplatz, aufgeführt von der Festspieloper Prag

Schwäbisch Gmünd vermag mit seinen kulturellen Angeboten über Wochen hinweg Publikum anzulocken und zu begeistern. Nach EKM und Film-​Open-​Air nun ein nicht minder aufwändiges Opern-​Open-​Air: Verdis „Nabucco“, von dem die meisten nur den Gefangenenchor „Va, pensiero, sull’ali dorate“ („Flieg, Gedanke“), bestenfalls zusätzlich die Ouvertüre, kennen. Von Peter Skobowsky

Montag, 23. August 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 19 Sekunden Lesedauer

OPER. Dennoch zog der von der Rems-​Zeitung präsentierte „Magnet“ am Freitagabend bei herrlichem Sommerwetter an die tausend Besucher trotz stattlicher Preise an, die jedoch angesichts des personellen und sächlichen Aufwands berechtigt waren.
Die überdachte Bühne mit recht geringem Aktionsradius zwang die kreative Regie (Oldrich Kriz ) zu elementarer Gestaltung, die dank stilisiert großer und beweglicher „Steine“ räumliche Variation ermöglichten. Die optisch edlen Wände und die gar nicht geizige Kostümierung in signifikanten Farben untermauerten ein aufs Wesentliche konzentriertes Handlungsfundament, das den Sängern bei aller räumlichen Enge wirkungsvolles Agieren ermöglichte. Die Besucher wurden nicht durch aktualisierten Schnickschnack einer modisch nach Selbstverwirklichung gierenden Regie geärgert. Ganz im Gegenteil, die Festspieloper Prag ließ das zugleich sehr volkstümliche und hoch anspruchsvolle Werk für sich selbst sprechen. Das ist das erste Verdienst der an die hundert Mitwirkenden. Das zahlenmäßig eher kleine Orchester im Zelt rechts neben der Bühne unter dem höchst engagierten jungen Dirigenten Martin Doubravsk´y hatte keine Mühe, differenziert zu begleiten und nötige Akzente zu setzen.
Das 20-​Uhr-​Läuten vom Münster-​Glockenturm zu Beginn, der mehrfach die Szene überfliegende Vogelschwarm und das Martinshorn hatten eine je verstärkende Wirkung — wie „bestellt“.
Die nun schon einige Wochen dauernde Tournee der Prager ließ keine Ermüdungserscheinungen erkennen. Ganz im Gegensatz zur Aufführung vom 15. Juli in Neustadt am Rübenberge, die vom dortigen Kritiker verrissen wurde, gab es auf dem Münsterplatz eine Synchronität ohne Klappern, wie sie in Opernhäusern keineswegs selbstverständlich gelingt. Auch die Verstärkung über Mikrofone klappte zumeist reibungslos. Wann kann der Opernbesucher z. B. in den Ensemblesätzen die polyphone Stimmführung mehrerer Solisten genau mitverfolgen, wann einzelne Instrumente heraushören? Das klappte in Schwäbisch Gmünd sehr ordentlich. Dabei ist die Methode risikoreich, agieren die Künstler doch „ohne Netz und doppelten Boden“, hört man unerbittlich jede Kleinigkeit. Umso mehr ist die sängerische Leistung der in Doppelbesetzung Wirkenden zu werten: Martin Bárta als mitreißender Nabucco (den biblischen Neubabylonier Nebukadnezar in allen Gemütsfacetten verdeutlichend) — ein Bariton der Spitzenklasse in Stimme, Mimik und Gestik. Dann die machtbesessene Sklavin Abigaille, die mit bewundernswerter Disziplin ihre Stimme makellos führt mittels halsbrecherischer Koloraturen und Intervallsprünge. Kein äußerliches Aufhebens um die enorme Anforderung.
In kongenialem Kontrast die Fenena der Monika Brychtová. Dem hebräischen Hohepriester Zaccharias wurde von Pavel Vancura eine beeindruckende Persönlichkeit verliehen. Das ging unter die Haut.
Wirkungsvolles Agieren bei
elementarer Gestaltung
Der Ismaele von Thomas Andersson hatte zu Beginn lyrisch schönen Schmelz. In der dramatischen Zuspitzung forcierte der Sänger unnötig. Die offenbarten stimmtechnischen Mängel waren an der Grenze des Überschlagens. Weniger wäre mehr und besser gewesen. Der Regisseur sang gleichzeitig die Rolle des Großen Oberpriesters des Baal in unübersehbar rotem Ornat. Anfangs gab es bei Oldrich Kriz sehr viel Tremolo undefinierbarer Tonhöhe zu vernehmen. Später sang er wie ausgewechselt: Die Stimme kam plastisch und überzeugte in der Deutung.
Die Nebenrollen (Abdallo: Dusan Rúzicka; Anna: Jana Pokorná) ergänzten das stimmliche Aufgebot mit Bravour, ebenso der hervorragend besetzte und spielerisch agierende Chor.
Das Publikum ging gut mit. Kaum eine Nummer, die nicht mit Zwischenbeifall quittiert wurde. Und nach den begeisterten Schlussovationen war es nicht anders zu erwarten: Der Gefangenenchor als Zugabe bescherte auch beim zweiten Hören ergriffenes Lauschen.

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