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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Wie Prof. Dr. Dieter Rodi in Mögglingen sein Eldorado fand

Wenn sich andere so freuen, haben sie im Lotto gewonnen: Dieter Rodis Sternstunden haben mit Äckern zu tun, die rot und blau und gelb leuchten, die mehr Wildkräuter als Getreide zeigen und die Hoffnung machen auf ein Überdauern bedrohter Arten.

Freitag, 27. August 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 58 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Dieter Rodis Vater war Volksschullehrer, einer der irgendwie alles konnte und sich auch für alles interessierte — ganz besonders freilich für Pflanzen. Als der Sohnemann fünf, sechs Jahre alt war, bot ihm der Vater 50 Pfennig, wenn er 50 Pflanzen aufschreiben könne. Das war ungeheuer verlockend, vor allem aber war das der Beginn lebenslanger Faszination und Begeisterung. Wer denkt, irgendwelches Kroppzeug auf irgendwelchen Äckern sei langweilig, muss sich nur mit Dieter Rodi unterhalten und mit seinen Augen sehen, welche Schätze weitgehend unbeachtet an viel zu wenigen Ackerrändern blühen.
Als er noch Schüler war, konnte Dieter Rodi bereits 400 Pflanzen benennen; im Parler-​Gymnasium betreute er die Pflanzensammlung. Es war klar, dass er Biologie studieren, sein Hobby zum Beruf machen wollte. Sowohl die Arbeit zum Staatsexamen also auch seine Doktorarbeit widmete er dem, was er Dank unzähliger Wanderungen mit dem Vater und dem Naturkundeverein so gut kannte — der Pflanzenwelt in seiner Heimatregion. Er promovierte über die Vegetation im Einzugsbereich der Lein; einiges von dem, was er damals gefunden hat, ist längst verschwunden. Mit den Jahren konzentrierte er sich immer mehr auf die Ackerwildkräuter in Ostwürttemberg — „Unkräuter“ in den Augen der meisten Landwirte. Mit sein größtes Verdienst: Als PH-​Professor konnte er diese unbedingte Liebe zur Natur und zu den Wildkräutern an ganze Lehrergenerationen weitergeben. Das tut Not: Von den in Baden-​Württemberg bekannten 220 Arten sind 17 Arten ausgestorben und 75 Arten gefährdet. Jedes Jahr ist Rodi tagelang im Gmünder Raum aber auch rund um Heidenheim unterwegs, um zu kartieren und zu dokumentieren. Um festzustellen, dass wieder einige Standorte weggefallen sind. Und um hin und wieder die pinkfarbene Kornrade oder das Adonisröschen gleich zu Tausenden anzutreffen.
Saatgutreinigung war
der Anfang vom Ende
Bereits in den 70er Jahren hat Prof. Gerhard Schlenker zum Schutz der Wildkräuter aufgerufen; Dieter Rodi war von Anfang an von diesem Anliegen überzeugt. Damals begannen die Landwirte auf neue Techniken zu setzen. Statt mit Jauche und Mist wurden die Felder mit Mineraldünger fruchtbarer gemacht — die Feldfrüchte wuchsen viel dichter und den Wildkräutern fehlte das Licht. So richtig verheerend wirkte sich allerdings etwas anderes aus: Die Kornrade (unser Bild) beispielsweise, die früher so oft in Getreideäckern, Brachen und Ödland blühte, ist als Ackerunkraut so gut wie verschwunden, da sie auf Verbreitung mit Saatgut angewiesen ist. Die moderne Saatgutreinigung unterbricht diese Verbreitungskette.
Dieter Rodi hat 1984 bei Brainkofen ein Feldflorareservat auf sandigem Boden eingerichtet, das er bis heute wissenschaftlich betreut; bewirtschaftet wird diese Anlage vom Landschaftserhaltungsverband. Das bedeutet den Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, keinen Maisanbau, mindestens zweimal Winterfrucht in fünf Jahren — dann keimen Feldfrüchte und Wildkräuter gemeinsam im Herbst; ansonsten zerstören die Bodenarbeiten im Frühjahr, was den Winter über in der Erde ruhte. Die Brainkofen-​Fläche war der erste Streich, der erste Glücksfall.
Als Sprecher des AK Naturschutz Ostwürttemberg ist Dieter Rodi in Flurneuordnungen eingebunden, und bei dieser Arbeit hat er 2009 bei Mögglingen einen Acker entdeckt, der in allen Farben leuchtete. Unter den Kräutern, die da um die Wette blühten und beinahe zahlreicher waren als die Feldfrüchte, fanden sich wertvolle, sehr seltene kalkliebende Arten wie das stark gefährdete Dreihörnige Labkraut oder das Adonisröschen, das es in den „111 Arten-​Korb“ der besonders schützenswerten Arten geschafft hat. Blauer Ackerrittersporn, der Ackerwachtelweizen in Rot, zudem Klatschmohn, Kornblumen, Ackerhahnenfuß — insgesamt unglaubliche 51 Arten. Wunderschön, und für Dieter Rodi ein richtiges Eldorado. Der Acker gehört Johannes Hudelmaier, der sein Land bewirtschaftet wie sein Vater vor 50 Jahren. Rodis Glück und Unglück gingen freilich Hand in Hand — an eben jener Stelle soll die Umgehungsstraße gebaut werden.
Als er dann aber die Nordhälfte der Mögglinger Flure kartierte, fand er weitere Äcker, von denen er sofort wusste, dass sie Hudelmaier gehören mussten: Einer schöner als der andere; die Kräutersamen haben sich hier seit Jahrzehnten erhalten. Der Schönste soll jetzt ins Projekt „100 Äcker für die Vielfalt, Schutzäcker für Ackerwildkräuter in Deutschland“ aufgenommen werden.
Dieter Rodi ist 78 Jahre alt, aber ans Aufhören denkt er nicht. Zu viele Menschen wissen nichts über Natur und Naturzusammenhänge, zu wichtig ist es „der Naturentfremdung von Kindern entgegenzuwirken“. Und zu viele Pflanzen und Tiere sind bereits jetzt unrettbar verloren.

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