Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Die RZ sprach mit dem Gmünder Landtagsabgeordneten und Finanzstaatssekretär Stefan Scheffold über Stuttgart 21

Stuttgart 21 wird zur Machtfrage und zum zentralen Thema im Landtagswahlkampf. Ministerpräsident Stefan Mappus wirbt für das Projekt, auch die CDU-​Landtagsfraktion will in die Offensive gehen und die Meinungsführerschaft zurückgewinnen. Über das umstrittene Großprojekt sprach RZ-​Redakteur Reinhard Wagenblast mit dem Gmünder Landtagsabgeordneten und Finanzstaatssekretär Stefan Scheffold (CDU).

Freitag, 17. September 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

RZ: Seit Wochen wird in Stuttgart massiv gegen Stuttgart 21 protestiert, zumindest in der Skepsis, wenn nicht in der Gegnerschaft sind sich weite Teile der Bevölkerung einig — bis hinein ins Bürgertum der Stuttgarter Halbhöhenlage. Hat die Landesregierung die politische Brisanz von Stuttgart 21 unterschätzt?
Stefan Scheffold: Es gibt Proteste, die muss man zur Kenntnis nehmen. Sie finden statt, obwohl dieses Projekt viele Jahre in den politischen Foren diskutiert und in den Gremien behandelt wurde. Dass Protest kommen würde — von den Grünen unterstützt -, war mir klar. Dass es so massiv kommt, hätte ich nicht erwartet. Sachlich halte ich die Gründe dieses Protests für nicht gerechtfertigt. Stuttgart bekommt den modernsten Bahnhof Europas, die Stadt muss nur sechs Prozent der Kosten bezahlen. Das Allermeiste zahlt die Europäische Union, der Bund und die Bahn. Das Land zahlt 25 Prozent der Gesamtkosten. Ivo Gönner, der SPD-​Oberbürgermeister von Ulm, wies darauf hin, dass dieses Geld von EU und Bund für andere Verkehrsprojekte in Deutschland ausgegeben wird, wenn Stuttgart 21 nicht kommt.
RZ: Wie verhält sich die Landesregierung jetzt?
Scheffold: Die Landesregierung und die CDU haben gute Gründe, an Stuttgart 21 festzuhalten. Wir haben uns in der Fraktion eindeutig festgelegt: es ist ein gutes und begründetes Vorhaben. Das vertreten wir weiter. Wir finden viel Zustimmung, und viele sind sich in ihrer Einschätzung unsicher. Um deren Zustimmung möchte ich werben.
RZ: Die Unsicherheit rührt nicht zuletzt daher, dass die Kosten so hoch und, wie die Gegner sagen, nicht absehbar sind. Diese sprechen von bis zu 11 Mrd. Euro.
Scheffold: Natürlich ist das Projekt teuer, aber es wird für mehrere Generationen gebaut. Das Land Baden-​Württemberg zahlt Jahr für Jahr mehr in den Länderfinanzausgleich, als es für dieses Projekt ausgibt. Jetzt würden wir Geld von EU, Bund und Bahn bekommen — darauf zu verzichten, halte ich für einen Schwabenstreich. Das Land gab letztes Jahr knapp zwei Milliarden Euro für den Finanzausgleich, in den Jahren davor waren es über zwei Milliarden. Die Bahn-​Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm - die nicht in Frage gestellt wird — kostet 2,9 Mrd. Euro, der Landesanteil beträgt knapp 950 Mio. Euro und ist zudem gedeckelt. Am Bahnhof trägt das Land 824 Mio. Euro. Bei sieben Milliarden Euro Gesamtkosten liegt der Landesanteil bei 1,75 Mrd. Euro, rund 25 Prozent der Gesamtkosten. Bei dieser Projektgröße kann man die Kosten nicht auf Heller und Pfennig ausrechnen, z. B. was die Sicherheitsvorkehrungen betrifft. Es ist aber seriös und im Interesse der Bezahler gerechnet worden. Die Zahlengrundlage ist zuverlässig. Der Bau erfolgt außerdem auf ganz lange Sicht, möglicherweise hat der Bahnhof die nächsten 100 Jahre Bestand.
RZ: Was würde ein Scheitern von Stuttgart 21 bedeuten?
Scheffold: Stillstand. Stillstand in mehrerer Hinsicht. Es gäbe keine Möglichkeit, das ökologisch sinnvolle Schienenprojekt umzusetzen. Das baden-​württembergische Konjunkturprogramm käme nicht zustande, der Bau erzeugt Wirtschaftskraft. Eine Kaufkraftsteigerung von 500 Mio. Euro pro Jahr wird durch das Vorhaben erzielt. Baden-​Württemberg würde nicht eingebunden werden in die Hochgeschwindigkeitstrasse von Paris nach Wien, und in der Stuttgarter Innenstadt könnte kein neuer Stadtteil entwickelt werden. Die Projektgegner haben keinen richtigen Gegenentwurf. Es genügt nicht, den Kopfbahnhof zu modernisieren, und diese Variante ist auch schon früh ausgeschieden. Eine Trasse vom Kopfbahnhof aus nach Wendlingen wäre über Bad Cannstatt, Esslingen und durch einen Tunnel auf die Filder zu führen. Durch dichtbesiedeltes Gebiet, das gäbe unabsehbare Proteste. Und weil es keine Planung und keine Linienführung gibt, wäre sie nicht vor 20, 30 Jahren zu realisieren. 20 Jahre Stillstand kann nicht unser Wunsch sein. Zu allem wären die Kosten kaum geringer als jetzt, der Flughafen und die Messe nicht angebunden. Kein Mensch weiß, ob der Bund und die EU eine Zusage für die Alternative geben würden.
RZ: Der Protest, so formulierte es der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier, geht an die Mineralquellen des Bürgertums. Hat man das Baurisiko unterschätzt?
Scheffold: Der Stuttgarter Grund ist eigentlich aus früheren Vorhaben, wie dem S-​Bahn-​Bau, gut erforscht. Stuttgart 21 ist anspruchsvolle Ingenieurskunst, aber unter Fachleuten nicht umstritten. Wie sich Frei Otto äußert, ist mir unverständlich. Er ist Architekt, nicht Geologe oder Statiker. Selbst wenn die Gipsschichten berührt würden, könnte man damit umgehen. Die S-​Bahn wurde vor 30 Jahren gebaut, und es ist nichts passiert.
RZ: Zerstört S 21 den Bahnhof als Baudenkmal der Moderne?
Scheffold: Das Haupt– und Kernstück des Stuttgarter Bahnhofs bleibt erhalten, es wird zeitgemäß und modern genutzt werden. Turm und Halle werden aufgewertet und nicht in ihrer heute unerquicklichen Gestaltung belassen. Der Durchgangsbahnhof hat unschätzbare Vorteile, es lassen sich ganz andere Verkehrsflüsse realisieren. Aber dafür müssen wir Stuttgart jetzt ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz anbinden, denn man muss die Strecke von Paris nach Wien nicht unbedingt über Stuttgart führen. Es wird weitere Entwicklungen geben, auch im Nahverkehr. Auf der Remsachse werden die Fahrten zum Flughafen attraktiver. Stuttgart 21 ist für das ganze Land bedeutsam.

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

2047 Aufrufe
830 Wörter
4978 Tage 20 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4978 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2010/9/17/die-rz-sprach-mit-dem-gmuender-landtagsabgeordneten-und-finanzstaatssekretaer-stefan-scheffold-ueber-stuttgart-21/