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Vor 50 Jahren strömten Zehntausende zum Großflugtag auf den kleinen Militärflugplatz, der später weltberühmt werden sollte

Jeweils am ersten Septemberwochenende standen in den 50er– und 60er– Jahren Gmünd und Mutlangen ganz im Zeichen der Großflugtage. Vor genau 50 Jahren ging auf der Mutlanger Heide die größte Flugschau über die Bühne, zu der etwa 50 000 begeisterte Zuschauer aus dem ganzen Land versammelt waren. Tausende beobachteten das Spektakel auch vom Rehnenhof oder Hardt aus.

Donnerstag, 09. September 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

MUTLANGEN (hs). Niemals vorher und nachher gab es in und um Schwäbisch Gmünd Ereignisse und Veranstaltungen, die die Menschen so in den Bann zogen wie diese Großflugtage auf der Mutlanger Heide. Die Fliegergruppe Schwäbisch Gmünd stellte gemeinsam mit einer Vielzahl von weiteren Vereinen und Organisationen diese Großveranstaltung mit landesweiter Ausstrahlung auf die Beine. Vor allem war es aber die amerikanische Besatzungs– und sodann Schutzmacht, die das Ganze ermöglichte.
Bis zu 6000 Soldaten und Angehörige umfasste die US-​Garnison in Schwäbisch Gmünd. Und die Uniformierten und Zivilisten aus dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ prägten in den Wirtschaftswunderjahren die Stadt ganz enorm. Zu den Freundschaftsdiensten der Amerikaner zählte die Bereitstellung des kleinen Heeresflugplatzes Mutlanger Heide für die Flugschauen. Der ehemalige Mutlanger Bürgermeister Heinz Hartmann erinnert sich, dass die Kooperation sogar soweit ging, dass die US-​Army für die Flugschauwochenenden die seinerzeit dort schon stationierten Pershing-​I-​Atomraketen fortschafften.
Die Faszination dieser Großflugtage in jenen Tagen resultierte aus der Technik– und wieder erwachten Militärbegeisterung jener Tage. Es gab noch kaum Fernseher. Allenfalls aus der Wochenschau im Kino kannte man das, was dann auf der Mutlanger Heide und am Himmel über Gmünd und Mutlangen als fesselndes Schauspiel über die Bühne ging. Die zeitgenössischen Berichte und Formulierungen in der Rems-​Zeitung sprechen für sich. Da ist von einem „erregenden Schauspiel“ die Rede oder sogar von „blitzenden Flugzeugleibern“. Je lauter, desto schöner.
Ziemlich verärgert schien seinerzeit lediglich der Wallfahrtspfarrer vom Hohenrechberg gewesen zu sein. Denn unglücklicherweise fiel der Termin der Flugschau mit dem Auftakt der Rechberger Wallfahrtswoche zusammen. Zum einen zog es viele Gläubige eher zu der „Himmelfahrt“ nach Mutlangen und zum anderen unterbrach der enorme Fluglärm immer wieder die andächtige Stille. Mahnende Worte des Pfarrers wurden sodann hinüber zur Mutlanger Heide geschleudert, ja sogar vom „Teufelswerk“ war die sorgenvolle Rede, wenn der Geistliche auf das Thema Düsenjäger einging.
Doch genau diese waren die Stars. Die „Skyblazers“ (Kunstflugstaffel der US-​Airforce) donnerten vor 50 Jahren im Tief– und Formationsflug über die Mutlanger Heide. Ein weiterer Höhepunkt der damaligen Flugschauen war sogar die leibhaftige Präsentation des seinerzeit größten Passagierjets der Welt. Die Lufthansa schickte unter waghalsigen Sichtflugbedingungen (Regenschauer) eine vierstrahlige Boeing 707 nach Mutlangen. Der Pilot hatte Mühe, den kleinen Flugplatz zu finden. Mal kurvte die gigantische Maschine im Tiefflug und unüberhörbar übers Hardt, dann wieder wurde sie irgendwo bei Spraitbach gesichtet. Schließlich gelang doch noch der simulierte Landeanflug und schnelle Überflüge dicht über den Köpfen der hellauf begeisterten Menschenmenge, die immer wieder in Jubel ausbrach. Ein Sicherheitsdenken, das heutzutage solche Luftfahrtschauen prägt, schien damals absolut kein Thema gewesen zu sein. Ebenso nicht bei den Kunstflugvorführungen. Die Piloten machten sich einen Spaß daraus, im Sturzflug das Becherlehen– oder Schießtal hinab zu brettern. Die Zuschauer hielten den Atem an, weil sie an einen Absturz glaubten. Währenddessen sauste die Zlin oder Piper (auch die damals berühmte Burda-​Staffel war dabei) 30 Meter über den Dächern der Stadt in eine ganz andere Ecke, um dann zum Vergnügen des Publikums hinterm Waldrand wieder aufzutauchen. Bei ihren Flugvorführungen setzten die amerikanischen Piloten mit Hubschraubern und Propellermaschinen noch eins drauf, streiften übermütig die Baumwipfel. Dort verfing sich auch mancher Fallschirmspringer, denn die Tücher waren damals so gut wie unlenkbar. Vom Wind abgetrieben, mussten einige Springer sogar vom Rehnenhof oder aus Mutlangen abgeholt werden. Rückblickend grenzt es an ein Wunder, dass kaum Unfälle zu verzeichnen waren. Nur einmal brach sich ein tollkühner Fallschirmspringer ein Bein, weil er aus zu niedriger Höhe abgesprungen war. Unverletzt blieb sein Begleiter, ein Schäferhund. Die beiden wurden zu Helden. Ebenso Kunstflugweltmeister Ladislav Bezak aus Prag. Es war schon allein eine Sensation, dass der Ostblock dem Flieger Auftritte in Deutschland erlaubte. Der nutzte jedoch seine Kontakte in Gmünd dahingehend, dass er eines Nachts seine komplette fünfköpfige Familie bei Prag in seine kleine Maschine setzte und in einem Husarenstück nach Deutschland flüchtete, wo er bei seinem Gmünder Fliegerkameraden Ludwig Pflanz Asyl fand.
Ein kleines Stückchen Weltgeschichte von der Mutlanger Heide, der dann in den 80er-​Jahren ein gewaltiges folgen sollte. Der Flugplatz wurde vollends umgebaut zur Atomraketenbasis und Hochsicherheitszone, verbunden mit dem weltweit bekannten Symbolort der Friedensbewegung. Einzige Warnschilder heute hat die Gmünder Stadtverwaltung aufgestellt: Den Mutlanger Nachbarn ist es unter Strafandrohung verboten, Kompost auf der alten Flugplatzpiste abzuladen.

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