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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/​Die Grünen, Cem Özdemir, zu Gast in der Ditib-​Gemeinde

In der heißen Phase des Landtagswahlkampfes ging es gestern beim Besuch des Grünen-​Politikers Cem Özdemir bei der Ditib-​Gemeinde um Atomkraftwerke, Bildungspolitik und Kopf– tücher, aber eben auch um die Frage, warum der Moscheebau in Gmünd auf so große Akzeptanz stößt.

Donnerstag, 24. März 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 37 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Ihr guter Ruf eile der Gmünder Moscheegemeinde voraus, versicherte Özdemir. Er wünschte weiterhin alles Gute und auch, dass der ehrgeizige Zeitplan — Einweihung rechtzeitig zur Landesgartenschau 2014 — eingehalten werden könne. Der Ditib-​Vorsitzende Ismail Öztürk und Stadtrat Bilal Dincel führten Cem Özdemir und mehrere Dutzend Interessierte rund um die Landtagskandidatin der Grünen Brigitte Abele durch die Baustelle, die allmählich erahnen lässt, dass im Becherlehen in der Tat etwas entsteht, mit dem sich die Stadt schmücken kann. Bilal Dincel sprach von einem „Gmünder Thema“ in jedem Bereich, nicht zuletzt beim Architektenwettbewerb. Weil von Anfang an alles getan worden sei, damit sich die Stadt, beginnend bei der Stadtspitze, mit dem Projekt identifizieren könne, werde dieses jetzt zumindest von großen Teilen der Bevölkerung nicht in Frage gestellt. Dincel: „Wir suchen engen Kontakt zur nicht-​muslimischen Bevölkerung.“ Auf Özdemirs Frage, wie denn die Gemeindemitglieder darauf reagierten, erklärte Dincel, es gebe durchaus einige, die mit Kosten und Aufwand haderten — „wir hätten auch eine Hinterhofmoschee zusammenschustern und mit einem Eimer Farbe verschönern können“ -, grundsätzlich aber werde anerkannt, dass dieser intensive Austausch zwischen Muslimen und Nicht-​Muslimen Ängste und Hemmschwellen abbaue. Jetzt entstehe ein offenes Haus, das viel zu groß sei für die Ditib-​Gemeinde allein und in dem unter anderem gemeinsame Projekte mit der Volkshochschule den Schwerpunkt der Sozial– und der Bildungsarbeit gewährleisten sollen. Özdemir bewunderte die in Deutschland einzigartige am Boden beginnende Kuppel, ließ sich erklären, wie — ebenfalls in Kooperation mit der Stadt — das Parkplatzproblem gelöst werden soll und würdigte die Nutzung regenerativer Energien: „Jedes Gotteshaus muss ein Zentrum der Nachhaltigkeit sein, gilt es doch, die Schöpfung zu bewahren.“ Das alte grüne Credo „Wir haben die Erde von unseren Kinder nur geborgt“ habe in all den Jahren nicht an Bedeutung verloren — „wir haben nicht das Recht, so zu leben, dass der Müll, den wir hinterlassen, die Welt jahrmillionenlang belastet.“
Unter anderem ging er auf die doppelte Staatsbürgerschaft und die für den westlichen Balkan, nicht aber für die Türkei aufgehobene Visumspflicht ein. Für die Grünen, so Özdemir sei nicht wichtig, „wo die Menschen herkommen oder wie reich ihre Eltern sind, sondern allein, wo sie hinwollen“. Nach einem flammenden Appell, das Wahlrecht auszuüben — „in anderen Ländern kämpft man dafür und ein Rechtsstaat ist immer nur so gut, wie die Menschen, die ihn ausmachen“ — stellte sich der Bundespolitiker den Fragen der Versammlung. Er begründete die Notwendigkeit eines Atomausstiegs und bezichtigte die Regierung der Lüge: „Es gibt keine Stromlücke, trotz abgeschalteter Kraftwerke exportieren wir noch immer Strom.“ Dringend notwendig sei eine Änderung des Bildungssystems — hier habe es große Versäumnisse gegeben. Özdemir sprach von der notwendigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie; die „Herdprämie“ müsse gestrichen werden, sie sei in den Kindertagesstätten besser aufgehoben. Auch Ganztagesschulen waren ihm wichtig: Kein Kind dürfe die Schule ohne ein gesundes Essen und erledigte Hausaufgaben verlassen: Ob die Eltern bei den Hausaufgaben helfen können, dürfe nicht darüber entscheiden, welche Chancen ein Kind habe. Wenn Kinder bereits nach der vierten Klasse getrennt würden, entscheide allein die Herkunft, nicht die Begabung. Deutschland, das dringend Akademiker benötige, könne sich so viele „Bildungsverlierer“ nicht leisten. Özdemir appellierte an die Ditib-​Gemeinde, unbedingt darauf zu achten, dass auch die begabten Töchter das Gymnasium besuchen dürften. Beim Kopftuch gelte schlicht der alte Satz, nicht was auf dem Kopf, sondern was im Kopf sei, entscheide.
Als Marianne Späh ihn bat, für humanitäre Hilfe Deutschlands in Libyen einzutreten, respektierte Özdemir deren Pazifismus. Mit scharfer Kritik am derzeitigen Kurs der Bundesregierung verlangte er aber auch, „dass respektiert wird, wenn ich nicht nur zuschauen will, wenn ich nicht zulasse, dass Menschen vergeblich auf Hilfe warten.“

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