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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 9: Die Gmünder Stadtwerke können in diesem Jahr gemeinsam mit der Remsbahn ihren 150-​jährigen Geburtstagen feiern

Es gab nicht nur die Geschichte der Remsbahn, sondern mit Faszination und Herzklopfen erinnern sich ältere Gmünder sogar an die „Rems-​Schwebebahn“. Und im engen Miteinander zum Thema Eisenbahn-​Historie schreibt dazu die Energieversorgung der Stadt Gmünd ihre Geschichte. Von Heino Schütte

Donnerstag, 24. März 2011
Andreas Krapohl
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Um 1900 hat sich die Remsbahn längst auch als sprichwörtliche „Lokomotive“ für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Gmünd etabliert. Die Ledergasse und das Bahnhofsviertel erleben eine Blütezeit. Nicht mehr mit der Postkutsche, sondern standesgemäß in Erste-​Klasse-​Abteilen des modernen Verkehrsmittels Bahn erreichen und verlassen Handelsreisende und Fabrikanten die aufstrebende Stadt. Von weitem sichtbar: Die wachsende Zahl von Fabrikschornsteinen über den Dächern der Remstal-​Metropole. Kleine zeugen von der Vielzahl von noch bescheidenen Familienunternehmen, große Schlote stehen symbolhaft für aufstrebende Betriebe, die den Charakter von Hinterhofwerkstätten längst verlassen haben. Unternehmenstraditionen werden Ende des 19.Jahrhunderts begründet, deren Stammbäume bis in Gegenwart und Zukunft reichen. Erhard & Söhne ist so ein Beispiel. Oder auch die Gießerei Gatter. Ebenso die heutige Hightech-​Firma Umicore. Besonders und in diesem Teil unserer Serie im Blickpunkt: Die Stadtwerke Schwäbisch Gmünd, deren Historie parallel zur Remsbahn verläuft.
Insbesondere durch die Handelsbeziehungen der vielen Silberwarenmanufakturen zeigt sich Gmünd schon damals ausgesprochen weltoffen. Und der Bahnhof im Nordwesten der Stadt wird mehr und mehr Tor zur großen weiten Welt. Nicht nur, was die Personenbeförderung betrifft, sondern auch der Umschlag von Handelsgütern. Mit der Remsbahn nimmt auch der Wandel vom Handwerk zur Industrie Fahrt auf. Und dieses Industrialisierung entwickelt einen enormen Hunger an Rohstoffen, Wasser und Energie.
Die Erfindung der Dampfmaschine war revolutionär, denn sie entwickelte eine beständige und bis dahin nicht vorhandene Kraft, um zu hämmern und zu pressen (Industrie) sowie zu bewegen und zu befördern (Eisenbahn). Anfangs reichte als Energiezufuhr noch Holz oder auch Holzkohle. Doch dann musste viel, viel Kohle herangeschafft werden. Die Kohle war auch die Vorstufe von neuen Energieformen, die mit der Gründungszeit der Remsbahn (ab 1861) in Gmünd Einzug halten sollte: Zunächst Gas, etwa 40 Jahre später dann Elektrizität. Ein Gmünder Unternehmen hatte die Nase vor. In der heutigen Museumsfabrik Ott-​Pauser gab’s das allererste Gmünder Gaswerk. Das reichte jedoch nur für den Hausgebrauch. 1861 wurde durch die Gasfabrik L.A. Riedinger ein völlig neues Kapitel in der Energieversorgung der Stadt Gmünd aufgeschlagen. Der aus Augsburg stammende Unternehmer musste zunächst einiges an Überzeugungsarbeit leisten, um die Stadtväter und besonders auch die potentielle Kundschaft und den Vorzügen und vor allem von der Sicherheit der neuen Energieepoche zu überzeugen. Studiert man die zeitgenössischen Zeitungsberichte und Kommentare, dann gewinnt man fast den Eindruck, als wäre seinerzeit zwischen der Stadtmauer und der Bahnlinie im Nordosten der Stadt ein Atomkraftwerk geplant gewesen. Vorsorglich unternahmen die Stadtoberen sogar Besichtigungsreisen mit Riech– und Leuchtproben in größere Städte, wo Gaslaternen bereits die alten Petroleum-​Kandelaber ersetzt hatten. Das Gmünder Spital schickte sich an, eine Vorreiterrolle zu übernehmen, stellte aber dem Gasfabrikanten Riedinger als Bedingung, dass die Krankenhauspatienten keinerlei Beeinträchtigungen durch Gasgeruch ausgesetzt sein dürften. Ganz profan hatte der reing’schmeckte Gasfabrikant zunächst mit einer Gmünder Untugend zu kämpfen. Wiederholt tauchen Appelle in den alten Zeitungen auf: Die Besitzer mögen endlich ihre Misthäufen am Hennentörle vor der Stadtmauer wegräumen, damit der Bau der neuen Gasfabrik beginnen könne. Diese Standortwahl sorgte übrigens — aus heutige Sicht — für einen Glücksfall: Entlang der Gasfabrik und damit der heutigen Stadtwerke blieb das größte Stadtmauerstück erhalten. Es diente seinerzeit als ideale Sicht– und Sicherheitsabgrenzung zwischen der Wohnbebauung im Bereich Honiggasse/​Schmiedgasse und dem nicht ungefährlichen Kraftwerk mit Ofenhaus, Dampfkesseln und Gasometer (Druckbehälter). Historische Fotographien zeigen eine schnell wachsende Anlage für Kohlelagerung, Koksaufbereitung und Gasherstellung. Bis zu vier riesenhafte Gasometer sowie Schornsteine und Maschinen-​/​Ofenhäuser prägten dort im Laufe der Jahrzehnte das Stadtbild. Eine „Gesellschaft für Gasbeleuchtung“ sorgte in den Gründerjahren für Vermarktung und Ausbau des Gasnetzes. Doch mit der Zeit war der private Unternehmer mit der Aufgabe überfordert.
1893 übernahm die Stadt das Gaswerk. 1901 folgte am gleichen Standort der Bau des ersten Elektrizitätswerks. Stadtschultheiß Paul Möhler, der ob seiner Verdienste vom Württembergischen König alsbald zum Oberbürgermeister ernannt wurde, setzte sich in jener Epoche und in 28-​jähriger (!) Amtszeit mit den Stadtwerken ein großartiges Technikdenkmal. Denn er ließ die Dienstleistungen der Gas– und Stromfabrik auch noch durch eine zuverlässige Wasserversorgung erweitern. An der Buchstraße entstand das Gmünder Wasserwerk.
Erinnerung an Sägbock und an die Schwebebahn übers Gleis
Diese stürmische Entwicklung wäre durch die Remsbahn undenkbar gewesen. Um 1900 wäre kein anderes Verkehrs– und Transportmittel mehr in der Lage gewesen, durch unablässige Zufuhr den enormen Bedarf an Kohle zu decken. Diesseits und jenseits der Bahnlinie entstanden am Güterbahnhof und im Nordosten der Stadt Lagerplätze und große Schuppen. Die Gasmotoren und Koksaufbereitungsanlagen wurden in den folgenden Jahrzehnten immer hungriger. Die Lagerstätten auf der Südseite der Bahn bei den Stadtwerken reichten nicht mehr aus. Entlang der Remsbahn wurde ein gut zwei Kilometer langes Nebengleis vom Bahnhof bis fast zur Mutlanger Straße verlegt. Am Endpunkt entstand ein weitflächiges Kohlelager und schließlich ein technisches Wunderwerk, dessen Anblick vielen Gmündern immer noch als ein „Stück Ruhrgebiet“ im Remstal oder auch als kleines Abbild der Wuppertaler Schwebebahn in Erinnerung ist. Es handelte sich um eine mächtige Kohleentladeanlage mit Förderbahn über Rems, Eisenbahnlinie und Remsstraße hinweg hinüber zu den Stadtwerken an der Bürgerstraße/​Honiggasse.
Stundenlang standen nicht nur Kinder fasziniert am „Kaffeeberg“ (Lindenfirststraße) oder — noch besser — auf dem alten Sägbock (Fußgängerüberführung über die Remsbahn), um den Betrieb der Förderanlage mit der Hochbahn zu verfolgen. Das monsterhafte Gerüst sah aus wie eine Achterbahn. Wenn dann dazu auf der Remsbahn noch eine fauchende Dampflok näherkam, dann war das technikbegeisterte Glück perfekt: Einer Mutprobe gleich, ließ man sich auf dem Fußgängersteg von den Dampfwolken einhüllen. Dazu der kohlige und rußige Geschmack auf den Lippen. Von den Gasometern wehte unablässig auch der Gasgeruch herüber.
Daheim brauchte man den Eltern nicht viel erzählen, wo man sich mal wieder staunend und neugierig herumgetrieben hatte. Das roch und sah die Mutter sofort an den Klamotten. Und es gab nicht selten was auf die Ohren, wenn man sich Koksbergen und Dampfwolken zu lange genähert hatte. Jedenfalls war seinerzeit auch schon im Kindesalter erklärbar, woher der Strom aus der Steckdose kam. Wie eine Dampflok funktionierte, dass wusste jeder Bub in der Remsbahnstadt Gmünd sowieso schon längst, durfte er doch beim Rangierbetrieb am Bahnhof kurzerhand mit auf den Führerstand oder ins mechanische Stellwerk klettern.

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