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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Renate Hofmann ließ bei der Soiree im Rathaus keinen Zweifel: „Prostitution ist kein Kulturgut“

Renate Hofmann, Leiterin der Solwodi-​Schutzwohnungen in Bad Kissingen, sprach, wie berichtet, in Gmünd über die Situation der Frauen und Kinder, die sich verkaufen (müssen), sowie über Wege aus der Prostitution.

Freitag, 01. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Aus ihrer täglichen Arbeit heraus versicherte sie vor zahlreichen Gästen im Gmünder Rathaus-​Foyer – der große Saal wurde noch für Wahlurnen etc. benötigt –, zunehmend würden Frauen zur Prostitution gezwungen. Auch die Zahl der Zwangsverheiratungen sowie der Opfer von Gewalt bereite Sorgen. Solwodi-​Frauen wie Hofmann begleiten die Frauen bei Menschenhandelsprozessen, aber auch bei persönlichen, ausländer– und sozialrechtlichen sowie psychosomatischen Problemen und Fragen. Für die Öffentlichkeit gebe es Frauen, die sich selbstständig und freiwillig prostituierten, und es gebe die klassische Zwangsprostitution unter Gewalt oder Androhung von Gewalt: „Doch diese Trennung gebe es immer weniger. Die allermeisten Frauen verkauften sich aus einer Notsituation heraus — Schulden oder Drogenabhängigkeit, immer mehr die existentielle Armut der Familie.
Mit der EU-​Osterweiterung kämen zunehmend Frauen aus den „Armenhäusern“ Europas, aus Rumänien, Bulgarien. Ungarn. Von den 200 000 bis 400 000 Prostituierten in Deutschland seien zwei Drittel Ausländerinnen, und die allermeisten stammten aus Mittel– und Osteuropa. Wer sich nicht fügt, so eine Erfahrung, die Solwodi vieltausendfach geschildert wurde, wird geschlagen, gedemütigt, vergewaltigt, mit dem Tod bedroht. Sehr oft spielen die Täter den Frauen auch Liebe vor – „wer aber erst einmal in die Mühlen der Prostitution geraten ist, hat kaum eine Möglichkeit, auszusteigen.“ Bemerkenswert ist, dass Hofmann zufolge 83 Prozent der untersuchten Prostituierten auf mindestens ein Trauma in der Kindheit zurückblicken, sprich Missbrauch, Misshandlung oder massive Vernachlässigung erfahren haben. Und fast alle erfahren während der Ausübung der Prostitution Traumata. „Psychisch und physisch instabil“ mit der Tendenz zur Verelendung sei der Großteil der Prostituierten, so Hofmann; fast alle begegneten ihrer Umwelt mit großem Misstrauen: „An keiner der von uns Betreuten ging diese Tätigkeit spurlos vorüber.“ Hofmann fasste die Ergebnisse ihrer Arbeit zusammen:„Unsere Erfahrung ist, dass sich Frauen nur vordergründig freiwillig prostituieren.“ So heikel das Thema ist, so engagiert wurde nach Hofmanns Vortrag diskutiert. Immer wieder hieß es, dass es sich um ein Männerthema handle – immerhin gibt es den Markt, gibt es Nachfrage, die Prostitution erst möglich macht.
Ingrid Krumm, Gleichstellungsbeauftragte des Ostalbkreises, hat vor allem ein Anliegen: Prostitution „aus der Normalität herausholen“, weil Prostitution eben nicht normal sei. Das Thema müsse zum Thema gemacht werden, nicht zuletzt in der Diskussion mit jungen Leuten: „Einer Mehrheit muss bewusst werden, dass es sich um ein Übel handelt, gegen das vorzugehen ist“. Wie das geht, hat Schweden gezeigt. Dort ist Prostitution seit 1998 verboten, weil es sich um die „sozial schädliche Ausbeutung von Frauen und Kindern“ handle, um eine Verletzung der Menschenwürde. Solange Männer Frauen und Kinder wie Ware zum Zweck der Prostitution kaufen oder verkaufen könnten, schade das der Gleichberechtigung: „Prostitution ist kein Kulturgut“.
Filme wie „Pretty Woman“ seien Gift für diese Diskussion und das Bemühen um Öffentlichkeit, auch das wurde am Montag im Rathaus deutlich, ebenso wie einzelne Frauen, die erklärten, sie finanzierten sich ihr Studium mit Prostitution und es mache Spaß. Mit der Realität für Hunderttausende habe das nichts zu tun
Solwodi-​Frau Hofmann nannte Beispiele: Für 8,99Euro seien eine Wurst, ein Bier und eine Frau angeboten worden; die Pussy-​Clubs warben Freier mit dem Angebot, für 70 Euro so viele Frauen so oft und wie gewünscht benutzen zu können. Hofmann: „Mehr Herabwürdigung geht nicht.“ Betroffen machten die „Original-​Zitate“ von Prostituierten, mit denen Hofmann gearbeitet hat. Wirklich schlimm, so war zu hören, sei nicht, den Körper verkaufen zu müssen, sondern die Seele; diesen Männern zuhören und ihnen Recht geben zu müssen um jeden Preis.“
Wie Solwodi den
Frauen helfen kann
Solwodi hat es sich zur Aufgabe gemacht, Prostituierten zum Ausstieg zu verhelfen. Die Ordensfrau Lea Ackermann – die bereits mehrfach zu Gast in Gmünd war – hat diese Organisation 1985 in der Sextourismus-​Hochburg Mombasa an der kenianischen Küste gegründet, weil sie das Leid der Prostituierten nicht tatenlos hinnehmen wollte. Ein erstes Frauenzentrum entstand, eine Bildungs– und Arbeitsstätte für den Ausstieg aus der Prostitution. Mittlerweile bietet Solwodi – Solidarität mit Frauen in Not – psychosoziale Betreuung, gesundheitliche Aufklärung und juristische Beratung an; Prostituierten wird eine Berufsausbildung ermöglicht, und es gibt Mikrokredite für Existenzgründungen. Seit neun Jahren gibt es auch „Solgidi“ (Solidarity with Girls in Distress – Solidarität mit Mädchen in Not) für Töchter von Prostituierten. Bei diesen Mädchen ist das Risiko hoch, dass auch sie in der Prostitution enden. Durch die Übernahme der Kosten und durch individuelle Betreuung wird rund 400 Kindern jährlich der Schulbesuch ermöglicht. Besonders bedürftige Familien erhalten zudem Nahrungsmittel und Medikamente.
In der Deutschland engagiert sich Solwodi mittlerweile seit fast einem Vierteljahrhundert für Migrantinnen in Notsituationen. Der Schwerpunkt liegt auf der Betreuung vor allem von Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution, aber auch Opfer von Beziehungsgewalt sowie von Zwangsheirat bedrohte oder aus Zwangsehen geflohene Frauen und Mädchen finden hier Zuflucht. Die Mitarbeiterinnen bieten eine umfassende, ganzheitlich ausgerichtete psychosoziale Betreuung und Beratung, sichere Unterbringung in mehreren Solwodi-​Schutzwohnungen, zudem Vermittlung juristischer und medizinischer Hilfe sowie Unterstützung bei der Rückkehr in die Heimatländer, wenn Migrantinnen zurückkehren wollen oder müssen.
Bei der Soiree im Rathaus wurde die Arbeit Solwodis auch im Gmünder Raum gewürdigt. Ansprechpartnerin – sowie Gründerin und Motor Solwodis im Ostalbkreis — ist Ingrid Krumm, die im Landratsamt zu erreichen ist.

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