Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 17: Ein leidenschaftlicher Lokführer erzählt über die allerschönste Bahnlinie im Land

Das Jahr 1913, sozusagen am Vorabend des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, gilt als echtes Arbeitsjahr für die neue Hohenstaufenbahn (Klepperle): Durchschnittlich transportiert die Nebenbahn pro Tag etwa 1600 Passagiere und jede Menge Güter.

Samstag, 21. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
6 Minuten Lesedauer

Von Manfred Scheihing und Heino Schütte
SCHWÄBISCH GMÜND. Auch bei Vereinen und Familien ist die Strecke für Ausflugstouren beliebt. Eine schöne Beschreibung aus der Sicht eines leidenschaftlichen Eisenbahners wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt, um das Fahrgefühl auf dieser gebirgsartigen Strecke nachzuempfinden: Vor 35 Jahren befuhr Manfred Scheihing für einige Zeit die Strecke von Göppingen nach Schwäbisch Gmünd und zurück als Triebfahrzeugführer. Zwar war der regelmäßige Dampflokbetrieb schon eingestellt (1962), dennoch liebte Scheihing nicht minder seine V100-​Diesellok, die ja auch viele Jahre lang die Klepperle-​Szenerie prägte. Die im Volksmund den älteren Göppingern auch als „Josefle“ (weil der Zug aus dem pietistischen Filstal zu den katholischen Gmündern im Remstal nach „Schwäbisch Nazareth“ über den „Berg“ fuhr) und bei den Gmündern als „Klepperle“ (weil dr Zug so viel bimmelt hot…) bekannte 27 Kilometer lange Schienenverbindung wurde noch durch die Königlich Württembergischen Eisenbahn (K.W.St.E.) 1912 als eine der letzten Eisenbahnlinien im Königreich fertiggestellt. Kursbuchamtlich wurde sie bis 1972 als Strecke 320 m und danach „rechnertauglich“ mit Strecke 901 bezeichnet.
Der Göppinger erinnert sich und schildert einen Dienstplantag im Winter: Werktags fuhren wir mit dem ersten Zug um 5:26 Uhr vom Gleis 2 in Göppingen ab. Zuvor war aber in der Nacht viel zu tun: Die Diesellok der Baureihe 212, damals eine „gewöhnliche“ 4-​achsige Mehrzwecklok, die vor allem im Nebenbahndienst mit ihren 1280 PS bestens eingesetzt war, musste aus dem Bahnbetriebswerk (Bw) in Plochingen geholt werden. Dort war das „Zuhause“ für einen Teil der die Züge befördernden Lokomotiven der Strecken um Göppingen und Kirchheim an der Teck.
Mit dem Klepperle durch Wind, Wetter und enge Kurven
Der Dienstbeginn ist um 3:00 Uhr in der Nacht in Plochingen: Diensttagebücher einsehen, die Lok aufrüsten. Planmäßig um 3:45 Uhr ausrücken. Vor den Nahgüterzug von Plochingen nach Göppingen. Der wartet bereits abfahrbereit im Güterbahnhof. Der Kollege Rangierer kuppelt an, macht mit mir die vereinfachte Bremsprobe am Zug und ab geht’s im Durchlauf nach Göppingen. Nach dem Abstellen des Güterzuges auf den Gütergleisen neben der Fils wird unter Begleitung eines Göppinger Rangierleiters nach Anmeldung beim Fahrdienst auf dem Göppinger Stellwerk vor den Schwäbisch Gmünder Personenzug ausgewechselt. Mittlerweile hat es zu schneien angefangen. Es ist schon 20 vor fünf – die Zeit rast und der Zug muss noch vorgeheizt werden! Es sind nur drei vierachsige Wagen, zwei Reisezugwagen und ein Packwagen – grün lackiert – früher auf der Hauptstrecke im Eilzugverkehr eingesetzt. Aber die Dampfheizung der Lok braucht ihre Zeit um die Wagen aus der Dampflokära mollig warm zu bekommen. Ist auch eine Portion Arbeit für mich: Der Heizkessel, ein Schnelldampferzeuger der Bauart Hagenug, ist bereits seit Plochingen in Betrieb. Im Bw hatte ich ihn bereits beim Vorbereitungsdienst, um den Großdieselmotor der Lok auf 60 Grad vorzuheizen, benötigt. Der Zug ist angekuppelt, Bremsluft und Dampf strömt in die Wagen. Am Zugschluss öffne ich den Dampfhahn um dadurch das Durchströmen zu beschleunigen.
Fünf nach fünf: Der Zugführer, heute Kollege Heidle von der Dienststelle Bahnhof Göppingen kommt, um die Bremsprobe am Zug durchzuführen und mir danach den wegen dem für mich als Führer des Zuges wichtigen Nachweis der erforderlichen Bremshundertstel von ihm ausgefüllten Bremszettel zu übergeben. Hier kommt nun sicher die Frage: Zugführer – Lokführer, wie bitte? Das ist schnell erklärt: Der Lok– oder richtiger Triebfahrzeugführer ist der Techniker am Zug und ist für die sichere Durchführung der Fahrt verantwortlich, der Zugführer ist im Zug der Ansprechpartner für den Fahrgast. Beide Kollegen sind ein Team.
Schon ist es 5:26 Uhr. Ein kurzer Abfahrtspfiff und die Fahrt geht los über die bereits weiß verschneiten Gleise in Richtung Faurndau Nord, dem ersten Halt unseres Frühzuges. Wir haben nur 18 Fahrgäste dabei und die meisten steigen in Faurndau aus: Sie haben Arbeit bei der Schuhfirma Salamander. Nach kurzem Halt geht es weiter über Rechberghausen am stillgelegten Haltepunkt Börtlingen vorbei nach Birenbach. Nun führt die Strecke steil bergauf nach Wäschenbeuren. Die Gleise sind glatt und die Lok muss zeigen, wie stark sie ist. Die drei schweren Wagen hängen wie Blei, die Treibräder meines Diesels sind an der Grenze zum Gleiten, jetzt hilft nur noch sanden!
Mit 30 km/​h erreicht der Zug das Einfahrsignal von Wäschenbeuren, die Trapeztafel. Geschafft, wir sind im Bahnhof und warten auf den Gegenzug aus Maitis: Ein roter Schienenbuszug, beheimatet in Tübingen, bestehend aus sechs zweiachsigen Wagen – davon zwei Dieseltriebwagen der Baureihe 798. Der Zug ist bereits gut mit Fahrgästen besetzt, viele haben das Ziel Göppingen.
Unser Zug bekommt um 5:55 Uhr das grüne Licht vom örtlichen Aufsichtsbeamten Weißhaupt zur Weiterfahrt. 11 Kilometer haben wir bereits zurückgelegt. Jetzt fahren wir direkt auf den Hohenstaufen zu. Man sieht ihn nicht, es ist Nacht und es schneit. Die Lampen der Lok bohren sich einen Tunnel über dem schon nicht mehr sichtbaren Gleisbett. Der nächste Halt ist Maitis-​Hohenstaufen. Ein hübsches Empfangsgebäude in echt württembergischem Nebenbahnstil. Die zugehörige Gemeinde ist weit entfernt, aber es steigen tatsächlich einige Reisende ein. Kollege Heidle pfeift ab. Nun wird es kurvig! Die Strecke über Lenglingen, Reitprechts und Metlangen-​Hohenrechberg lässt wegen der Radien nur 30 km/​h zu. In Straßdorf haben wir 20 Kilometer der Stecke geschafft. Jetzt geht’s wieder ins Tal. Im Haltepunkt Schwäbisch Gmünd-​Süd schaltet der Zugführer die Blinklichtanlage zur Warnung der Autofahrer am gefährlichen Bahnübergang ein: Achtung – ein Zug kommt! Pünktlich um 6:22 Uhr endet die Fahrt auf dem Stumpfgleis, einem Gleis mit Prellbock, im Bahnhof Gmünd, direkt neben dem Gleis 1. Hier kommt demnächst der Anschlusszug von Stuttgart nach Aalen und weiter nach Nürnberg.
Für mich kommt nun Hektik auf: Den gesicherten Zug abkuppeln, die Dampfheizung habe ich bereits hinter dem letzten Haltepunkt abgeschaltet, da die Heizungskupplung beim Trennen drucklos sein muss, mit der Lok um unsere drei Wagen herumfahren und an den bisherigen Zugschluss heranfahren. Und wieder Kuppeln, Bremsschläuche und Heizungskupplungen verbinden, Heizkessel überwachen, Bremsprobe mit Hilfe vom Zugführer machen. Es schneit immer noch, alles ist nass – ich schwitze, aber der Zug ist warm. Ausfahrt frei, Kollege Heidle pfeift ab: Wir verlassen Gmünd pünktlich um 6:32 Uhr. Der Zug ist bis Straßdorf gut besetzt. In Wäschenbeuren steigen viele Schüler und Werktätige nach Göppingen ein. Hier haben wir auch wieder Begegnung mit dem Gegenzug aus Göppingen. Um 7:25 Uhr ist die „erste Runde“ gemacht und 54 Streckenkilometer sind zurückgelegt. Es wird hell und wir haben nun, nach dem ich wieder um den Zug herumgefahren bin und den Wasservorrat für die Dampfheizung ergänzt habe, eine knappe Stunde Pause. Endlich eine Möglichkeit, sich kurz zu erholen, die Füße hochzulegen und den mitgebrachten Kaffee aus der Thermosflasche zu trinken. Kollege Heidle hat Aufgaben im Bahnhof Göppingen zu erledigen.
Der 15460, ein Personenzug mit Güterwagenbeförderung, ist unsere nächste Aufgabe. Die drei „Grünen“ haben Zuwachs in Form eines Güterwagens bekommen, den fleißiges Göppinger Ortspersonal mit dem Ziel Straßdorf am Zugschluss beigestellt hat. Um 8:48 Uhr geht es weiter. Wieder Ziel Schwäbisch Gmünd, jetzt planmäßig mit einer längeren Fahrzeit wegen der anfallenden Rangiertätigkeit unterwegs. Die Fahrt ist tagsüber einzigartig schön: Schon bei der Ausfahrt aus Göppingen grüßen die Traditionsfirmen Schuler und Märklin zur rechten Seite der Trasse.
„Streckengeschlängel“ und grandiose Aussichten
Der Zug ist jetzt so gut wie leer. Um die Zeit fährt werktags niemand mehr auf der Nebenbahn mit dem Zug, der Pkw ist für Hausfrauen bequemer, er steht vor der Tür. Wir haben Birenbach verlassen und der Berg nach Wäschenbeuren ist trotz des zusätzlichen Wagens erträglicher, da es der Wettergott nun gut mit uns meint. Der gefährliche Bahnübergang beim Krettenhof wird mit lauten Warnpfiffen gemeistert und hinter Wäschenbeuren zeigt sich der Hausberg Göppingens, der Hohenstaufen, in seiner ganzen Würde im Seitenlicht. Mein Blick schweift aus dem Führerstand der 212 nach links: Das Wäscherschloss zeigt sich, zwar entfernt aber prächtig, wie nun der ganze Blick über die verzuckerte Landschaft in Nordwestliche Richtung bei der kalten Wintersonne einfach grandios ist. Vor allem bezaubert das Durchfahren dieses „Hochlandes“ entlang dem Albtrauf und entschädigt bei Weitem die Qual des frühen Dienstbeginns. Nach dem „Streckengeschlängel“ zwischen Lenglingen und Reitprechts und dem Ausstellen des Güterwagens an die Laderampe in Straßdorf kommt nochmals ein echtes Highlight: Der Blick auf Gmünd. Die Stadt zeigt sich im besten Licht – wir fliegen von oben ein. Hinter dem Haltepunkt Süd kann man den Leuten in die Fenster sehen, so dicht fährt der Zug vorbei. Jetzt noch die Remsüberquerung auf der schönen genieteten Stahlträgerbrücke und die B 29 mit der Betonbrücke kreuzen. In der langgezogenen Rechtskurve zeigt das Einfahrsignal von Gmünd frei: Ankunft 9:53 Uhr, eine Minute zu spät! Haben wir in Straßdorf zu lange rangiert oder war der Blick über die Stadt zu schön, dass man etwas langsamer fuhr? Die Schicht ist nun nicht mehr lange: Gmünd ab mit Zug Nummer 15461 um 10:18 Uhr, nochmals mit dem Rundblick aus dem Führerhaus der 212 die Heimat intensiv genießen. Die schönste Strecke Württembergs!

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

4084 Aufrufe
1475 Wörter
4747 Tage 10 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4747 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2011/5/21/gmuender-eisenbahngeschichten-teil-17-ein-leidenschaftlicher-lokfuehrer-erzaehlt-ueber-die-allerschoenste-bahnlinie-im-land/