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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Ein Nachruf muss sein: 1977 feierte Schwäbisch Gmünd mit der 30-​Millionen-​D-​Mark-​Investition „Horten“ den Einstieg in ein geradezu großstädtisches Einkaufserlebnis

Scheiden tut im Falle dieses Betonklotzes aus dem Siebziger-​Zeitgeist nicht weh. Oder doch ein bissle? Schließlich öffnete die mordsmäßige Horten-​Konstruktion in der Ledergasse damals auch ein Tor in die Gmünder Zukunft. So, wie sich jetzt erneut die Erwartungen aufs Gamundia-​Projekt richten.

Freitag, 27. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 8 Sekunden Lesedauer

Von Heino Schütte SCHWÄBISCH GMÜND. Der Horten war mehr als nur ein Kaufhaus. Horten war ein völlig neues Lebensgefühl für Schwäbisch Gmünd. Mit Event-​Charakter, so würde man die Rolle wohl heute beschreiben. Bis zur Eröffnung des Kaufhauses musste der Gmünder über die kurvige alte B 29 bis weit nach Stuttgart reisen, um ein vergleichbares Einkaufsflair erleben zu können. Der damalige Horten-​Konzern mit Sitz im fernen Düsseldorf kündigte zu Beginn der 70er-​Jahre des vergangenen Jahrhunderts die geradezu schwindelerregende Summe von 30 Millionen D-​Mark an, um Ersatz für das altersschwache Kaufhaus Merkur in der Bocksgasse (heute Schuhhaus Deichmann) zu schaffen. Das war natürlich ein toller Lockruf für Stadtverwaltung und Gemeinderat. Im Rathaus schafften es die Entscheidungsträger, gerade noch rechtzeitig die Kurve in Richtung Ledergasse zu kratzen, denn ursprünglich wollte Horten am Standort bleiben, sogar den kompletten Prediger zugunsten des neuen Konsumtempels abreißen. In der Ledergasse war es heikel genug, denn eine historische Häuserzeile, darunter das Gmünder Kohlengeschäft, musste weichen. Ach was, weg mit Nostalgie-​Getue! So war der Zeitgeist der 70er-​Jahre. Purer Stolz erfüllte die Gmünder im Herbst des Jahres 1977, als der Horten eingeweiht wurde und eine wahre Völkerwanderung auch aus dem Umkreis einsetzte. Immer wieder mussten die Pforten wegen Überfüllung abgeriegelt werden. Der Ansturm hielt über Wochen an. Geschickt trug das Management des Kaufhauses Horten diese Woge der Begeisterung über Jahre hinweg. Denn man ließ sich immer wieder tolle Veranstaltungen einfallen, um das Kaufhaus zu einem Forum des Fortschritts, der Mode und der neuen Technik zu machen. Beängstigendes Gedränge beispielsweise, als Gmünder Schachspieler gegen die ersten Schachcomputer antraten. Oder die Präsentation der sensationellen Videorekorder, die einen Fernsehbesitzer in die Lage versetzten, einen Film aufzunehmen. Whow, reinste Zauberei! Die ersten Videobänder dazu bewahrten die Verkäufer sogar als Einzelstücke in einer verschließbaren Vitrine auf. Zum Kaufrausch durften die Kunden auch auf Wolke sieben der kulinarischen Köstlichkeiten fliegen. Ein großer Lebensmittelmarkt hielt sogar frische Fische und zu Silvester sogar lebendigen Hummer parat. Revolutionär auch: Der Horten hielt die Kaufhaustüren an Samstagen sogar bis 14 Uhr geöffnet, also ein, zwei Stunden länger wie der allgemeine Einzelhandel. Kinder zum Einkaufsbummel in den Horten zu locken war kein Problem, denn allein schon die erste ganz große Rolltreppe in Schwäbisch Gmünd war ein Besuch auch fürs Enkele wert. Oma nahm lieber den Aufzug, weil’s ihr auf der schnellen Treppe schwindelig wurde. Und in der neuen Cafeteria gab’s sogar Pommes Frites. Bis zu 200 Mitarbeiter sorgen für das Wohlergehen der Kunden und für Sonderschauen. Oben auf dem großen Dach im Frühling: Strandleben wie am Gardasee. Das erste Surfbrett wurde bewundert wie ein UFO. Vor zehn Jahren dann der Niedergang der klotzigen Kaufhaus-​Ära. Bereits in den Jahren zuvor waren die wechselnden Konzernleitungen nicht mehr zufrieden mit dem Verhältnis Umsatz-​Verkaufsfläche-​Mitarbeiterzahl. Ganz am Ende nun sogar echter Katzenjammer: Eine verirrte Miezekatze als letzter Bewohner und Nutzer der Kaufhausbrache, die hiermit einen ehrenden Nachruf verdient hat.

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