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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 18: Dem Hurra-​Geschrei im August 1914 auf dem Gmünder Bahnhofsvorplatz folgte schon bald Entsetzen, Tod und Heimweh

Für viele Jahre war es entlang von Remsbahn und Klepperle (Nebenbahn nach Göppingen) das letzte Hurra-​Geschrei der Technik– und Militärbegeisterten, als im Spätsommer des Jahres 1914 große Gmünder Garnison auf dem Schienenweg in den Ersten Weltkrieg zog. Die Züge brachten schon alsbald blankes Entsetzen in die Heimat zurück.

Freitag, 27. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 51 Sekunden Lesedauer

Von Heino Schütte
SCHWÄBISCH GMÜND. Studiert man die zeitgenössischen Berichte, vor allem auch die Dokumentationen des ehemaligen Stadtarchivars Albert Deibele und des unvergessenen Eisenbahnhistorikers Kurt Seidel, so tritt da ein furchtbarer Kontrast zutage, der in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs besonders die Szenerie auf der Remsbahn und am Gmünder Bahnhof beherrschte. Mit unglaublicher Begeisterung und begleitet von Musik und Hurra-​Geschrei im ganzen Remstal zogen die vielen in Gmünd stationierten Truppenteile sozusagen mit Volldampf in den Krieg. Tausende der jungen Männer, deren Blicke am Gmünder Bahnhof letztmals zum idyllischen, friedlich am Hang liegenden Salvator hinauf– oder zum Münster hinüber schweiften, oder Offiziere, die am Bahnhofsvorplatz noch einmal ihre Liebsten in den Arm nahmen, kehrten nicht mehr zurück. Die große Anzahl der Soldatenkreuze auf dem Leonhardsfriedhof wirkt fast noch zu oberflächlich, um sich die entsetzlichen Gemetzel auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs vor Augen zu halten. Hunderte Gmünder Soldatenschicksale sind bis heute ungewiss, wie Gedenktafeln aus jenen finsteren Tagen zeigen. Noch unfassbarer das Kriegsgeschehen, als die Gmünder Garnison direkt mit Einheiten aus Barnsley zusammenstieß: Junge Männer genau aus jenen Städten metzelten sich gegenseitig nieder, die 100 Jahre später eine wunderbare Städtefreundschaft miteinander pflegen. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war Gmünd ein wichtiger Militärstandort. Gerade war die „Neue Kaserne“ (Bismarckkaserne) fertiggestellt worden, welche die „Alte Kaserne“ (Prediger) ergänzte. Weitere Truppenteile waren im Barackenlager im Schießtal sowie im Kasernenteil von Gotteszell (heute Justizvollzugsanstalt) stationiert. Die vielen Schießstände und Manövergelände rings um die Stadt, so auch auf der Mutlanger Heide, wurden von Einheiten aus dem ganzen Land genutzt. Infanteriebataillone und eine Maschinengewehrkompanie des Infanterieregiments 180 bildeten den Kern der Gmünder Garnison. Dazu gesellte sich ein Reserve-​Infanterieregiment und ein Landsturmbataillon. Zur umfangreichen Infrastruktur gehörten Lazarette und ganz besonders die Remsbahn. Unzweifelhaft hatte der Ausbau des Gmünder Bahnhofs zu einem Personen– und Güterbeförderungsknoten der ersten Kategorie auch mit Überlegungen der Militärstrategie zu tun. Denn kein anderes Verkehrsmittel war in den Tagen dazu in der Lage, komplette Truppeneinheiten mitsamt Ausrüstung relativ schnell an umkämpfte Ländergrenzen zu bringen. Am 7. und 8 August war in Gmünd große Mobilmachung. Die glich einem Volksfest. Die Infanteristen und Maschinengewehrschützen hatten die Verladung auf die Eisenbahn schon häufig genug geübt. Vor der Abfahrt in Richtung Elsass gab es noch einen feierlichen Appell auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Bahnhofsszene der folgenden Wochen war in Gmünd gleichfalls geprägt vom Kriegseinsatz der Dampfrösser mit schier endlosen Reihen von Personen– und Güterwaggons. Viele Züge waren auch auf der Durchreise aus anderen Teilen Deutschlands. „Heiter und übermütig“, so heißt es in Chroniken grüßten die jungen Soldaten aus den Waggons heraus. Am Gmünder Bahnhof war eine Verpflegungsstation eingerichtet. Frauen und Mädchen des Roten Kreuzes versorgten die durchreisenden Truppen mit Essen und Getränke.
Die Gmünder Garnison wurde in den Vogesen in schwere Kämpfe mit unvorstellbar hohen Verlusten verwickelt. Allein das II. Bataillon aus Gmünd verlor 969, das III. Bataillon 1016 Mann.
So dauerte es auch nur wenige Wochen, dass sich am Gmünder Bahnhof der Bevölkerung ein völlig verdrehtes, dafür realistisches Bild des Krieges bot. Und da rief keiner mehr Hurra. Und auch die Militärmusik blieb stumm. Rotkreuz-​Züge brachten in wachsender Zahl Schwerstverwundete nach Gmünd, wo mehrere Lazarette eingerichtet wurden.
Kein Jubel, eher Neugierde war es, als sich die Bevölkerung am Bahnhof auch versammelte, als die ersten Kriegsgefangenenzüge durchs Remstal rollten und vielfach in Gmünd ihre Endstation hatten. Das Gmünder Wachbataillon führte ausgemergelte, kranke und verwundete französische Soldaten hinaus ins Kriegsgefangenenlager bei Gotteszell im Schießtal. Viele der jungen Männer starben in hiesigen Lazaretten und fern ihrer Heimat, woran auf dem Leonhardsfriedhof ein Gräberfeld mit Gedenksteinen erinnert.
Die Remsbahn hatte über Nacht ihre Unschuld als reines Reisemittel für Handel, Pendler und Ausflügler verloren. Vordringlich diente sie nun für den Transport von Soldaten, Militärgütern, Verwundeten und Gefangenen. Man kann nur erahnen, wie viel Schmerz, Trauer, Angst, Tod und Heimweh in jenen Tagen auf der Remsbahn in den Waggons mitfuhren.

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