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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Neue Eisenbahngeschichten: 1911 entstanden wahre Eisenbahn-​Wunderwerke

2011 ist nicht nur großes Jubiläumsjahr für Remsbahn und Klepperle (Hohenstaufenbahn), sondern auch in unmittelbarerer Nachbarschaft wird ein runder Eisenbahn-​Geburtstag gefeiert: Die Schwäbische Waldbahn nach Welzheim feiert ebenso wie die Hohenstaufenbahn ihr 100-​jähriges Bestehen.

Samstag, 07. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

Von Heino Schütte
SCHWÄBISCH GMÜND. Wie beim Klepperle, so handelt es sich auch bei der Wieslaufbahn nach Welzheim — und damit hinauf in den Schwäbisch Wald hinein — um eine Zweigverbindung der Remsbahn. Eigentlich wäre die Hohenstaufenbahn schon früher realisiert worden. Doch zum einen gab es, wie bereits in unserer Serie beschrieben, es eine regionalpolitische Sperrklausel, andererseits hatten die Ingenieure einen Riesenrespekt vor der steilen und kurvigen Trassenführung. Von der Bauzeit und auch bautechnisch fielen dann die Errichtung der beiden Nebenbahnen nach Wäschenbeuren und nach Welzheim ungefähr in die gleichen Jahre einer Hoch-​Zeit des Zweigbahnenbaus. Ganz bemerkenswert auch Planungsüberlegungen der Königlichen Eisenbahnbhörden in jenen Jahren. Denn es wurde sogar ernsthaft eine Trasse überlegt, die von Gmünd aus via Mutlangen und Alfdorf nach Welzheim geführt hätte. Möglicherweise wäre es dann im Zusammenspiel mit der Wieslaufbahn von Schorndorf nach Rudersberg zu einer großen und landschaftlich ungemein reizvollen Eisenbahnschleife gekommen, die für den heutigen Tourismus ein tolles Kapital geworden wäre.
Sowohl das Klepperle als auch die Welzheimer Bahn mussten nach der bis heute umstrittenen Entscheidungen der Deutschen Bundesbahn von Eisenbahnfans schmerzlichst zu Grabe getragen werden. Während die Hohenstaufen-​Panoramabahn voraussichtlich für immer und ewig in den beliebten Rad– und Wanderweg nach Göppingen verwandelt wurde, feiert die Reaktivierung der Schwäbischen Waldbahn seit zwei Jahren im wahrsten Sinne des Wortes einen „Siegeszug“. Die stillgelegte Strecke mit ihren mächtigen Brückenbauwerken wurde 1992 als Ensemble unter Denkmalschutz gestellt. Exakt zur Jahrtausendwende taten sich die Stadt Welzheim und der Förderverein Schwäbisch Waldbahn in einer GmbH zusammen, um die Gleise und die anderen Bahneinrichtungen wieder instand zu setzen. Die Museums– und Touristikbahn erfreut sich aktuell ungeheurer Beliebtheit; das Betriebsergebnis liegt mit knapp 30 000 Passagieren pro Saison weit über den ursprünglichen Erwartungen. Vergeblich hatte sich auch in den 80er-​Jahren ein Förderverein darum bemüht, das Klepperle zu retten. Dieser Zug ist für die Gmünder, Straßdorfer und Göppinger leider abgefahren. Was die Hohenstaufenbahn anbelangt, bleiben jedoch unglaublich viele romantische Erinnerungen, obwohl der Alltag der Eisenbahner hart und teils gefährlich war, worüber wir in folgenden Teilen unserer Serie noch aus erster Hand von Zeitzeugen berichten lassen.
Pfarrer Rudolf Weser, einer der wichtigsten Ortschronisten von Straßdorf, hat in feinsäuberlicher Handschrift auch vieles über Bau und Einweihung der Hohenstaufenbahn der Nachwelt hinterlassen. Im heftigen Wettbewerb um die Trassenführung standen sich Waldstetten und Straßdorf gegenüber. Am 16.September 1907 erfolgte nach langem Ringen der Gmünder und Göppinger der feierliche erste Spatenstich am Straßdorfer Berg. Pfarrer Weser erzählt in seiner Chronik sozusagen vom allersten Gastarbeiter-​Zustrom, der von dieser Bahnbau für Gmünd und Straßdorf ausgelöst wurde. In Deutschland gab es kaum Kapazitäten für einen solch schwierigen Bahnbau. Die erfahrenen Berg– und Bahnspezialisten wurden in Italien angeworben. Bis zu 400 temperamentvolle Südländer, so geht aus den Aufzeichnungen des Straßdorfer Chronisten hervor, bevölkerten und prägten plötzlich Straßdorf. Die Gastarbeiter waren entweder privat oder in eigens errichteten Baracken untergebracht.
Pfarrer Weser erzählt, nachzulesen im Straßdorfer Heimatbuch, in zeitgenössischen Worten: „Die klaren vollen Laute der italienischen Sprache ertönten aus allen Gassen. Die italienischen Elemente gaben unserem Dorf, besonders an warmen Sommerabenden und an Sonn– und Feiertagen, einen südlichen Anstrich. Aus allen Wirtshäusern ertönte italienischer Gesang und italienische Musik. Mit der Führung der Italiener konnte man zufrieden sein. Sie waren sparsam und nüchtern und schickten viel Geld nach Hause. Die Post in Straßdorf in 14 Tagen regelmäßig 50 – 60 Einzahlungen zu je 80 – 100 Mark entgegen. Ein Landjäger, in der Postagentur wohnend, sorgte für Ordnung. Von Zeit zu Zeit fanden einige Gottesdienste für Italiener statt von der Italiener-​Mission aus Stuttgart.“
Ganz bemerkenswert auch, dass nicht wenige der Gastarbeiter in jenen Tagen in Schwäbisch Gmünd sesshaft wurden, denn auch das eine oder andere heißblütige Techtelmechtel mit einem schwäbischen Mädchen blieb naturgemäß nicht aus. Auch bis in die Neuzeit hinein erfolgreiche Baufirmen in der Region haben ihren italienischen Ursprung in dieser Multikulti-​Klepperle-​Bauzeit.
Während die berüchtigte Geislinger Steige eine Steigung von „nur“ 2,25 Prozent hat, mussten Klepperle ebenso wie die Welzheimer Bahn sogar 2,5 Prozent bewältigen. Bei Welzheim wurde anfänglich sogar Zahnrad-​Unterstützung erwogen. Der Klepperle-​Bau war geprägt von vielen Überraschungen. Immer wieder kam es im Knollenmergel-​Bereich zu Rutschungen. Mehrere Steinbrüche, die teils heute noch in der Landschaft entlang der Trasse sichtbar sind, lieferten das Baumaterial mit Hilfe von kleinen Feldbahnen. Dampfbetriebene Maschinen brachen die Steine oder standen als erste Bagger zur Verfügung. Insgesamt war jedoch pure Schwerstarbeit von Hand gefragt. Ehe 1911 die erste Teilstrecke nach Wäschenbeuren eingeweiht war, wurde rasch klar, dass die Kosten explodieren: Von ursprünglich knapp vier auf fünf Millionen Mark. „Millionenbähnle“, so wurde das Klepperle verspottet. Drüben im Wieslauftal nahmen gleichfalls wahre Eisenbahn-​Wunderwerke Gestalt an. Auch vom Remstal aus, so erinnern sich noch viele Gmünder an Erzählungen ihrer Eltern, setzten Pilgerströme ein, um besonders die Viadukt-​Bauten (bis zu 25 Meter hoch und 200 Meter lang) zu bewundern. Sowohl Hohenstaufen– als auch die Welzheimer Bahn haben mit ihren Befestigungen und engen Kurvenradien absoluten Gebirgscharakter

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