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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Warum freiwillig ins Pflegeheim gehen? Landwirtschaftsdirektor i.R. Helmut Seiter berichtet.

Helmut Seiter, Landwirtschaftsdirektor im Ruhestand., hat sich selbst nach einem Schlaganfall für die Zeit der Rekonvaleszenz ins Pflegeheim eingewiesen, um seine Gattin zu Hause zu entlasten — und zeigt sich begeistert davon, wie ihm geholfen wurde.

Donnerstag, 16. Juni 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

Von Gerold Bauer
SCHWÄBISCH GMÜND (gbr). Endstation Pflegeheim? Dahindämmern, bis Gott das große Amen spricht? Weit gefehlt, wenn man in Betracht zieht, wie individuell in Pflegeheimen auf die Bedürfnisse der Bewohner eingegangen werden kann. „Was, Du gehst freiwillig in ein Pflegeheim?“, habe ihn seine Tochter völlig entsetzt gefragt, als er seinen Entschluss im Familienkreis bekannt gab, blickt Helmut Seiter zurück auf jene schwere Zeit. Nachdem ein Schlaganfall dem agilen Senior, begeisterten Tänzer und routiniertem Tischtennis-​Spieler wie ein Blitz auf heiterem Himmel getroffen hatte, wollte der frühere Chef des Gmünder Landwirtschaftsamts nach der klinischen Behandlung in Konstanz und der anschließenden Rehabilitation nicht gleich ins gewohnte Zuhause zurück kehren, sondern mit fachkundiger Unterstützung die Rückkehr ins normale Leben in kleinen Schritten vollziehen. Die Betreuung rund um die Uhr und die Unterstützung bei jedem Gang zur Toilette wollte er aufgrund des fortgeschritten Alters seiner Ehefrau einfach nicht zumuten.
„Ich habe dadurch Erfahrungen machen dürfen, die mir sonst versagt geblieben wären“, gewinnt Seiter dieser Zeit auch positive Aspekte ab. „Ich habe zum Beispiel mit zwölf Menschen auf einer Etage gelebt, von denen ein Drittel bettlägerig war und ein weiteres Drittel unter Demenz litt — und obwohl dies sicherlich für das Pflegepersonal keine einfache Situation ist, habe ich nie ein unschönes Wort gehört“, lobt Helmut Seiter den Humor, die Professionalität und Menschlichkeit der Pflegekräfte.
„Viele Leute denken, dass im Pflegeheim nichts mehr läuft, doch dies ist ein gewaltiger Irrtum“, kommentiert der …jährige im Hinblick auf seine eigenen positiven Erfahrungen. Als Helmut Seiter in einem Tischgespräch mitbekommen hat, dass sich einige Senioren für das Erlernen einer neuen Sprach interessieren, war dies ein willkommenes Wasser auf seine organisatorischen Mühlen. Sofort begannen sein „kleinen grauen Zellen“, sich zu regen und Ideen zu entwickeln, wie man im Pflegeheim Sprachkurse oder Instrumentalunterricht anbieten könnte. Schließlich hatte er selbst als nicht mehr junger Mann Spanisch gelernt, um die Muttersprache seiner Schwiegertochter sprechen und verstehen zu können. „Aktiv zu sein ist enorm wichtig für das Gehirn“.
Sein ganzes Leben lang hat er sich nicht damit zufrieden gegeben, einfach nur seinen „Job“ zum machen und nach acht Stunden heim zu gehen, um auf dem Sofa zu sitzen. Ob im Bezirksausschuss der Obst– und Gartenbauvereine, ob als Organisator von Reisen des Pferdezuchtvereins oder als Initiator des „Grünen Balls“ und der „Blickkontakt“-Börse für Gmünder Senioren — immer war Helmut Seiter bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren und seine Fähigkeiten einzubringen. „Es gibt sicherlich im Gmünder Raum Sprach– oder Musiklehrer, sich ehrenamtlich beim Unterricht im Seniorenheim geben können“, ist er überzeugt.
Doch nicht alle Bewohner eines Pflegeheims, sind noch in der Lage, Sprachen zu lernen oder gar ein Musikinstrument zu spielen. Manche scheinen geistig von ihrer Umgebung völlig abgeschottet zu sein. „Wir achten sehr darauf, auch schwerste Pflegefälle noch menschlich anzusprechen“, versichert Monika Neu, die Leiterin des Pflegedienstes im Johannes-​Brenz-​Haus, das von der Evangelischen Altenheimat geführt wird und zirka 60 Pflegeplätze bietet. „Die Erfahrung hilft den 25 Pflegekräften, durch Intuition auch dann noch die Bedürfnisse und Wünsche von Senioren zu spüren, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, verbal oder mit Gesten zu kommunizieren.
Individueller Tagesablauf statt einheitlicher Pflegeroutine
Heimleiter Andreas Martin (der zufällig auch noch am gleichen Tag Geburtstag hat wie der gleichnamige Schlagersänger) bringt in diesem Zusammenhang das Konzept des Hauses ins Spiel. „Für uns ist die Biographie der Bewohner wichtig, damit wir uns auch bestimmte Gewohnheiten einstellen können — zum Beispiel ob jemand gerne später schlafen geht und dafür morgens länger schlafen möchte“. Man wolle den Heimbewohnern keinen Standard-​Tagesablauf überstülpen, sondern nehme Rücksicht auf deren Individualität. „Die Menschen leben und wohnen hier, damit sie die Hilfe bekommen, die sich brauchen“, betont Martin. „Mit dem Einzug ins Pflegeheim ist das Leben nicht zu Ende! Zumal ist durchaus nicht selten ist, dass Menschen so wie Helmut Seiter zunächst nur vorübergehend im Pflegeheim leben und in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren, wenn sie entsprechend wiederhergestellt sind.“
Im Johannes-​Brenz-​Haus hält man nichts von übertriebener Pflegeroutine. Es sei nicht gut, wenn für einen Bewohner jeder Tag exakt gleich abläuft. Wenn jemand mal etwas länger auf der Terrasse sitzen oder Besuch haben möchte, wird dies normalerweise auch möglich gemacht. „Auch eine Frau, die den ganzen Tag im Bett liegt, hat das Recht, schön frisiert zu werden und eine hübsche Bluse zu tragen“, ist die Pflegedienstleiterin überzeugt, und findet auch in Ordnung, wenn jemand lieber im Bademantel frühstückt und erst danach duschen und sich anziehen möchte. „Wenn man alte Leute in ein Schema pressen will, erzeugt dies in der Regel eine Gegenreaktion — zum Beispiel eine Blockadehaltung.“
Andreas Martin und Monika Neu räumen ein, dass die Rücksicht auf die Individualität der Bewohner einen erhöhten Aufwand mit sich bringt. Doch beide sind der Meinung, dass dies trotz des Kostendrucks durch eine clevere Organisation möglich ist. Man müsse die Pflegegruppen zum Beispiel so belegen, dass nicht alle Bewohner gleichzeitig frühstücken oder baden wollen. Und beide unterstreichen, dass bei der Betreuung die Qualität wichtiger sei als die Quantität. „Zehn Minuten richtiges und intensives Zuhören oder Sprechen ist mehr wert, als wenn jemand eine Stunde lang desinteressiert neben dem Bett sitzt“, sagt Neu.
„Ein Pflegeheim darf keinen Anstaltscharakter haben!“, machen beide unisono deutlich. Dazu gehört das Lachen genauso wie gelegentlicher Ärger der Bewohner. „Übertriebene Harmonie nach außen ist nicht das Leben — zum Leben gehören Emotionen“. Und die Pflegekräfte haben Verständnis dafür, dass die Schmerzen oder der Frust über nachlassende Fähigkeiten die Senioren auch mal aggressiv machen kann.
Einen interessanten Aspekt brachte Roland Eichmeier ein, EDV-​Experte und Landwirt aus der Schapplachhalde in Gmünd, der während des Gesprächs mit der Rems-​Zeitung einen Besuch bei Helmut Seiter machen und ihn zu einem spontanen Ausflug einladen wollte. Obwohl noch voll im (Berufs)Leben stehend, mache er sich schon jetzt Gedanken, wie und wo er seinen Lebensabend verbringen möchte. So wie er damals sehr bewusst seinen Job bei einem Computer-​Unternehmen an den Nagel gehängt hat und Bauer wurde, um mehr Zeit für Frau und Kinder zu haben, plant er nun auch sein Alter. Eichmeier denkt dabei ähnlich wie Helmut Seiter. „Auch ich möchte meine Frau oder meine Kinder nicht belasten, wenn ich mal pflegebedürftig werde. Deshalb treffe ich schon jetzt entsprechende Vorbereitungen“.
Eine Einstellung, der Andreas Martin und Monika Neu voll und ganz beipflichten. „Es ist sehr gut, wenn Menschen ihr Alter planen und entsprechende Verfügungen treffen, solange sie dies noch selbstbestimmt tun können“, meint der Heimleiter. Pflegedienst-​Fachfrau Monika Neu, hat früher auch in der häuslichen Pflege gearbeitet und weiß daher, dass das Wohnen in den eigenen vier Wänden nicht für alle alten Menschen das Beste ist. Wer nicht mehr aus dem Haus kann und wenig Besuch bekommt, vereinsamt zu Hause wesentlich schneller als im Heim, wo ständig die Möglichkeit zur Begegnung besteht. „Es kann auch für die Angehörigen ein Gewinn sein, wenn jemand sich für das Wohnen im Heim entscheidet“, sagt sie auf der Basis ihrer langjährigen Erfahrung.

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