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„Artist in Residence“ im Schloss Leinzell

Sich nur auf die Kunst konzentrieren — ohne nebenher zu jobben oder nach geeigneten Atelier-​Räumen suchen zu müssen – die Stipendien „Artist in Residence“ der Silvia-​und-​Helmut– Wickleder-​Stiftung macht dies jungen Künstlern möglich. Ab heute sind die Werke in einer Ausstellung zu sehen.

Freitag, 08. Juli 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


Von Gerold Bauer
LEINZELL. Ursprünglich waren Silvia und Helmut Wickleder ja auf der Suche nach einer alten Fabrik, um dort Räume für die Kunst zu schaffen. Doch dann bot sich dem Ehepaar im Jahr 2004 die Chance, im Rahmen einer Zwangsversteigerung das Leinzeller Schloss zu kaufen. Inzwischen wurde aus dem anfänglich fast schon ruinenartigen Gemäuer wieder ein bewohnbares Gebäude mit einem romantischen Schlossgarten. Böden wurden saniert, die Heizung weitgehend erneuert und die bröckelnden Wände gerichtet.
Repariert und renoviert wird immer noch an allen Ecken und Enden – und gerade dies macht auch den besonderen Charme als Ausstellungsort aus. So wie am Schloss selbst vieles gerade noch im Werden ist, sind dort auch die Werke der Künstler im Werden.
„In den alten Gemäuern verschmelzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander“, sagt Schlossherr Wickleder und findet es ausgesprochen spannend, dass seine Stiftung jungen Künstlern eine Plattform bieten kann, auf der sie unabhängig von kommerziellen Ansprüchen künstlerische Ideen realisieren können. „Kunststiftungen sind für die Kunst Reservate ohne Marktdruck und Einschränkung. Sie schaffen Freiraum für Kreativität und Experimente; und sie geben der Kunst die Chance, wertfrei zu erblühen“, wird Helmut Wickleder vom Kulturmagazin „Sonnendeck“ zitiert.
Das Ehepaar Wickleder fühlt sich den jungen Künstlern seelenverwandt und möchte sie deshalb dabei unterstützen, eigene Vorstellungen lebendig werden zu lassen. „Wir selbst haben sparsam gelebt und meine Frau hat als gelernte Bilanzbuchhalterin unsere Einnahmen so verwaltet, dass wir nun die Möglichkeit haben, junge Künstler zu fördern“, erzählt Helmut Wickleder. Er selbst hatte ohnehin von Berufswegen schon seit Jahrzehnten die Bildung und Förderung von Kindern und Jugendlichen im Blick.
Dass ein solches Stipendium wie „Artist in Residence“ für junge Künstler in der Tat eine sehr wertvolle Hilfe sein kann, bestätigen Rebecca Thomas und Tim Ernst, die in den vergangenen sechs Wochen Räume im Leinzeller Schloss als Atelier nutzen und dort auch kostenlos wohnen konnten. „Wir konnten hier völlig entspannt arbeiten. Das hat schon etwas von einem Exil, wenn man wie wir aus Berlin kommt“, resümiert die 29-​jährige Bildhauerin, die ein Studium fürs Lehramt absolviert und noch ein „Bachelor“-Examen angehängt hat. Zumal es in Berlin immer schwieriger werde, bezahlbare Atelier-​Räume zu finden.
„Selbst für den baufälligsten Schuppen verlangen die Vermieter noch ziemlich viel Geld – in der Hoffnung, dass sich ein Künstler dort einrichtet“, ergänzt Tim Ernst. Der 34 – jährige hat ebenfalls seine akademische Ausbildung bereits abgeschlossen (genau wie Rebecca Thomas an der Akademie in Karlsruhe) und verdient seinen Lebensunterhalt inzwischen als freischaffender Künstler.
Dass die beiden – die nicht nur ihre Leidenschaft für die Kunst miteinander teilen, sondern auch als Paar zusammen leben – trotz der hohen Künstlerdichte und des daraus resultierenden Konkurrenzdrucks nach Berlin gezogen sind, bringt der gebürtige Kölner überzeugend auf den Punkt: „Berlin ist eine spannende Stadt – und alle unserer Freunde leben auch schon dort!“
Dennoch hat auch Tim Ernst die Zeit in Leinzell sehr genossen. „Das Menschliche steht hier im Mittelpunkt. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man für eine kommerzielle Ausstellung Bilder produzieren muss“. Seine Lebensgefährtin pflichtet ihm da voll und ganz bei. „Manchmal braucht man auch etwas Distanz zur turbulenten Künstlerszene in der Hauptstadt.“ Warum sich beide für den oftmals steinigen Weg der freischaffenden Künstler entschieden haben? „Etwas Naivität gehört schon dazu, dass man diese Richtung einschlägt“, antwortet Rebecca Thomas mit entwaffnendem Lächeln; und ihr Freund räumt ein, dass sich kein Außenstehender so richtig vorstellen könne, was es für das Alltagsleben bedeutet, als Künstler zu arbeiten und davon leben zu wollen beziehungsweise zu müssen.
In diesem Zusammenhang sei es auch wichtig, zwischen Kunst und Kunsthandwerk zu differenzieren. Für einen echten Künstler stehe zunächst ausschließlich die Idee und deren Realisierung eines Werks im Mittelpunkt des Interesses, und nicht der Verkauf. Aber es gebe selbst sehr renommierte Künstler, deren Gemälde, Grafiken oder Skulpturen regelmäßig hohe Preise erzielen und die aufgrund dieser Nachfrage deshalb regelrecht für den Markt produziert werden. „Manche delegieren sogar einen Teil der künstlerischen Arbeit und halten sich dazu einen ganzen Stab an Hilfskräften“, erzählt Tim Ernst — und macht lieber alles selbst!

Die Eröffnung der Ausstellung „Artist in Residence“ der Stiftung Wickleder findet heute, 8. Juli, um 17 Uhr statt. Neben dem Bildern beziehungsweise Skulpturen von Rebecca Thomas und Tim Ernst sind im Leinzeller Schloss auch die Werke von Peter Böhnisch und Wolfgang Ganter zu sehen. Die Begrüßung obliegt dem Leinzeller Bürgermeister Ralph Leischner, und Kunstprofessor Axel Heil führt in die gezeigte Bilderwelt ein. Danach ist die Ausstellung jeweils sonntags am 10., 17. und 24, Juli von 13 bis 17 Uhr geöffnet.

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