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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Im Rahmen eines Aktionstages am Berufsschulzentrum Gmünd wurden die Schüler über Unfallrisiken aufgeklärt

Schon seit vielen Jahren führt die Polizeidirektion Aalen abwechselnd mit den Kollegen aus Gmünd und Ellwangen einen Aktionstag am Berufsschulzentrum durch. Dabei werden die jungen Verkehrsteilnehmer über besondere Unfallrisiken aufgeklärt. Gestern war erstmals auch eine Unfallfahrerin zu Gast.

Mittwoch, 14. März 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (nb). Ein Schüler sitzt am Steuer, fährt hochkonzentriert eine Straße entlang und schaltet, als urplötzlich die Türe eines am Straßenrand stehenden Autos geöffnet wird, einen Gang herunter. Er fährt sicher, an seiner Fahrweise gibt es nichts auszusetzen. Dann, von einer Sekunde auf die andere, ist seine Sicht beeinträchtigt und es dauert nicht lange, bis die Fahrt mit einem lauten Knall endet. Was folgt, ist ein schwarzer Bildschirm. Mehr nicht. Gott sei Dank. Denn der Schüler sitzt lediglich in einem Alkoholfahrsimulator. Dieser ist einer der Bausteine, die den Jugendlichen vor Augen führen sollen, welche Einschränkungen mit einer Alkoholfahrt verbunden sind.
Filme, die den ganzen Tag über im Foyer des Berufsschulzentrums gezeigt werden, sollen ebenfalls auf dieses Thema aufmerksam machen, wie Oliver Rieger erklärt. Der Polizeihauptkommissar ist mit vier Kollegen vor Ort und weiß, wie wichtig es ist, mit den Schülern über das Gesehene auch zu reden. Allein mit einem Präventionsfilm ist es nicht getan. Jeden Tag besuchen Rieger und seine Kollegen Schulen im Ostalbkreis. Zu den Bausteinen gehören unter anderem auch Rauschbrillen, die den sogenannten „Knick in der Optik“ simulieren oder auch ein Reaktionstestgerät, das aufzeigen soll, dass geistige Fitness und eine gute Reaktionsfähigkeit im Straßenverkehr unabdingbar sind.
Manuela H. war so alt wie die Berufsschüler, als ihre Fahrt mit einem lauten Knall endete. Es war keine Fahrt mit dem Alkoholfahrsimulator, sondern eine echte Autofahrt. An vieles kann sich die heute 40-​Jährige nicht mehr erinnern. Nur eines wird sie bis an das Ende ihres Lebens nie vergessen: dass vier Menschen bei dem Unfall ums Leben gekommen sind, davon zwei ihrer Mitfahrer. „Es ist nicht einfach, mit so etwas zu leben“, sagt sie leise. Es ist das erste Mal, dass sie vor einer Schulklasse über das Erlebte berichtet. Doch daran, aus dem Klassenzimmer zu rennen, denkt sie keine Sekunde. „Wenn nur einer von euch irgendwann sagt ‘Ich lasse das Auto stehen’, dann ist es das wert, dass ich hier stehe und fast in Tränen ausbreche.“
Und so erzählt sie tapfer davon, was damals vor 18 Jahren passiert ist. Davon, dass sie sich riesig gefreut hat, vier Tage vor ihrer neuen Ausbildung mit ihrem neuen Freund und einer Freundin feiern zu gehen und davon, dass sie beschlossen hatten, im Anschluss an die Party im Auto zu übernachten. „Ich bin davon ausgegangen, dass ich nicht fahre“, so Manuela H.. Doch es kam anders. Als sie am nächsten Morgen um sieben Uhr die Party verließen, meinte ihr Freund, dass er um acht Uhr bei der Arbeit sein muss. Und so setzte sich die junge Frau ans Steuer und fuhr. Streit habe es gegeben; „plötzlich bin ich gegen einen Baum gefahren und die Beiden waren tot.“ An den Unfall kann sie sich bis heute nicht erinnern, nur daran, dass sie eine Betäubungsspritze bekam und am nächsten Tag bei ihrer Mutter im Bett aufgewacht ist. Seitdem, so erzählt sie, bestimme der Unfall ihr Leben, „es tut jetzt noch weh“. Sie bekam eine Freiheitsstrafe von neun Monaten. „Ich habe mich immer gewundert, dass es so wenig ist“, so Manuela H.. Doch sie wisse, dass man damit gestraft sei, wenn man damit leben muss. Wie sie später erfuhr, hatte sie 1,78 Promille im Blut; ihre beiden Mitfahrer 2,2 und 2,5 Promille. Manuela H.: „Ich weiß bis heute nicht, warum ich gefahren bin.“ Irgendjemand habe mal zu ihr gesagt, dass das Auto wie ein Wohnzimmer sei; „wenn es da steht, dann fahrt ihr“. Wie schnell man ordentlich Promille im Blut hat, verdeutlichte Thomas Maile. „Mit einer halben Flasche Wodka seid Ihr im 1,6 Promille-​Bereich“, so der Polizeihauptkommissar. Ob eine Freiheitsstrafe von neun Monaten wenig sei, wollte Maile dann auch von den Schülern wissen. „Wenn so etwas passiert, dann kann man das gar nicht bezahlen“, meinte einer von ihnen. Für das Gerechtigkeitsempfinden der Angehörigen, so erklärte Maile, sei es wichtig, dass es eine Strafe gebe. Das Beispiel von Manuela H. solle zeigen, dass man relativ leicht Opfer, aber auch sehr schnell Täter werden könne.
Eine Therapie, so erzählt die 40-​Jährige, habe sie jahrelang nie in Anspruch genommen. Vergangenes Jahr dann habe ihr Mann einen Autounfall gehabt, bei dem er fast ums Leben gekommen wäre; „ab dieser Nacht habe ich nicht schlafen können“. Manuela H. begab sich in Therapie und erzählte auch ihren beiden Kindern im Teenageralter von dem Unfall vor 18 Jahren. Vorwürfe bekam sie nicht zu hören; „Kinder urteilen ja nicht“. Im Gegensatz zu ihren „Freunden“, die sich damals fast alle von ihr abgewendet haben; „Ihr seid allein, da ist kein Kumpel mehr, der Party machen will.“ Nur einer sei gekommen und habe sich zu ihr gehockt.
„Das tut weh wie am ersten Tag“, sagt Manuela H. während ihres Vortrages immer wieder und bittet die Schüler: „Lasst einfach das Auto stehen.“ Sie habe bitter daraus lernen müssen, was sie in der Jugend gemacht habe.
Heute trinke sie Alkohol in Maßen, „und wenn ich fahre, dann trinke ich gar nichts“. Sie habe auch ohne Alkohol lustige Abende. Es sei, so erklärte Maile, wichtig, dass man sich abspreche und sich dann auch eisern daran halte. Auf jede entdeckte Fahrt kämen, so erklärte er, sechs unentdeckte. Sind die Kumpels betrunken, so sagte Maile auf die Frage eines Schülers, sei es besser, diese hinten reinzusetzen und anzuschnallen.
Dankbar ist Manuela H. vor allem ihrem Mann; „der einzige in der Familie, der nie unter die Gürtellinie ging“. Denn selbst von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater musste sie sich Kritik gefallen lassen. Die Eltern der beiden ums Leben gekommenen Freunde hat Manuela H. später besucht. Dass eine Mutter gesagt hat „Gott gibt, Gott nimmt“, bewundert sie bis heute. Die andere Mutter hat sie vor der Haustüre stehen lassen. Etwas, was die 40-​Jährige versteht. „Das würde ich genauso machen, wenn meinen Kindern etwas passieren würde.“ Das Gefühl, anderen die Kinder genommen zu haben, war lange Zeit der Grund, weshalb sie keine eigenen Kinder haben wollte.
Auch wenn Manuela H. mit ihrem Leben heute insgesamt zufrieden scheint, macht ihr der Unfall zu schaffen und die Erinnerungen kehren immer wieder zurück. Psychisch krank sei sie nicht, „es kommt einfach und wenn es kommt, dann mit aller Macht“.

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