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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Stadtjubiläum 1962: Fest auf der Heimatscholle

Erst 50 Jahre her, und doch hat jenes Jahr 1962 schon ebenso viele fremde wie vertraute Züge angenommen. So wie man sich selbst in alten Fotografien zwar wiedererkennt, aber auch — vielleicht mit Bedauern, vielleicht mit Erleichterung — feststellt: „Das bin ich nicht mehr.“

Donnerstag, 05. Juli 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

Vor 50 Jahren beging die Stadt ihre 800-​Jahr-​Feier mitten im Wirtschaftwunder der jungen Bundesrepublik, die unmittelbare Not der Nachkriegszeit war vorüber. Der Zeitgeist war restaurativ, und deutsche Geschichte dimmte man nach dem Untergang von 1945 auf Heimatkunde herunter. Erlaubt war sie gerne in altfränkisch-​biederem Gewand. Was ja andererseits für ein Stadtjubiläum förderlich sein konnte. So fieberten die Gmünder, die „Einheimischen“, wie sie Oberbürgermeister Julius Klaus in seinen Reden nannte, und die „Neubürger“, die Heimatvertriebenen, schon lange im Voraus auf das große Fest hin, das am 8. Juli 1962 seinen Höhepunkt in einem Festzug fand, der jedem, der damals dabei war, bis heute in Erinnerung geblieben ist — auch wenn man dafür heute schon ein „Mittfuffziger“ sein muss.
Es war einer der sich rasch integrierenden „Neubürger“, der Mittelschulrektor und Stadtrat Alfons Urban, der den Festzug organisierte. Das wurde hinterher vom Gemeinderat ganz besonders gewürdigt, und OB Klaus betonte, „wir Einheimischen wollen die Neubürger immer gern bei uns haben.“ Gewissermaßen der Ritterschlag, damit waren die Flüchtlinge offiziell gamundisiert. Durchaus ein Verdienst, auf das sich Urban etwas zugute halten konnte.
Der Umzug von 1962 folgte dem Muster eines scheinbar linearen Geschichtsverlaufs, aufgehängt an der Chronologie und mit einer bemerkenswerten Auslassung, wie man an den mitgetragenen Jahrestafeln ablesen konnte: Zwischen 1932 und 1945 geschah in Schwäbisch Gmünd offenbar rein gar nichts. Man muss den Damaligen zubilligen, dass ihnen sowieso noch alles dicht unter der Haut steckte: Nazis und Krieg, Schuld und Scham, Trauer und Traumatisierung.
Ansonsten triumphierte schon damals das Ehrenamt: Die Gmünder, alte wie neue, stürzten sich mit offensichtlicher Begeisterung auf die Vorbereitung der Festlichkeiten. Schon ein Jahr zuvor hatte der junge Gmünder Graphiker Gerd Eberle den Plakatwettbewerb fürs Stadtjubiläum gewonnen. Das damalige Signet, eine stilisierte Barbarossa-​Darstellung, besitzt selbst ein halbes Jahrhundert später noch großen graphischen Reiz. Karl und Gerd Eberle erhielten zusammen mit Günther Popp den Auftrag, die 20 großen Festwagen zu entwerfen. Ihre Aufbauten, historisierend zwar, aber durchgängig auf gemäßigt moderne Weise und aus Gründen der Praxis abstrahiert, wurden auf Landwirtschafts-​Anhänger montiert. Gmünder Handwerksbetriebe fertigten sie an. Der Anfangs– und Endwagen stellten besondere Herausforderungen dar: Ein Römerturm und ein Gmünder Einhorn, beide so hoch, dass auf der Umzugsroute durch die Innenstadt Telefonleitungen zu demontieren waren.
Beim Festzug sollten tunlichst nur Pferde verwendet werden — nur die schwere Nostalgie-​Lokomotive, ein Adler-​Nachbau, wurde von einer Zugmaschine gezogen. Es gab auch Sonderbares zu sehen, den Sensenmann auf einem Rappen, darstellend Pest und Dreißigjährigen Krieg — und eine Hexendarstellerin, die auf einem Scheiterhaufen stand und fröhlich herab– lächelte. Man zählte 80 Pferde, 25 Wagen, zwei Ochsen, acht Kapellen mit strammer Marschmusik und 717 Mitwirkende. Die Straßen, so schrieb es die RZ, säumten 80 000 Zuschauer an jenem 8. Juli.
Die 800-​Jahr-​Festivitäten kann man heute noch nachvollziehen mit einem bemerkenswerten Dokument: Der Offenburger Rolf Zeeb filmte alles im Auftrag der Stadt brav ab auf 8-​mm-​Vierfarbfilm und schnitt es zu einem 90-​Minuten-​Streifen zusammen. Der Sprecher las seinen Text mit einem Tremolo ab, das er mitsamt dem ideologischen Hintergrund 20 bis 30 Jahre zuvor gelernt haben musste: „In zähem Ringen um ihr Lebensrecht behaupteten die cives, die Gemünder (er sagte tatsächlich immer Ge-​münd) ihre heimatliche Scholle.“ Im Bericht über den Festakt vom 7. Juli im Stadtgarten überschlug sich die Rems-​Zeitung schon in der Unterzeile: „Würdiger Festakt mit höchsten Würdenträgern aus Kirche und Staat.“ OB Klaus brauchte geschlagene 45 Minuten, um alle Ehrengäste namentlich zu begrüßen, vermerkt der Bericht. Bis dahin waren vermutlich nicht wenige Gäste in der stickigen Luft der unklimatisierten Halle weggedämmert.
Dabei folgte noch die Rede von Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger, des berühmten Häuptlings Silberzunge und späteren Bundeskanzlers der ersten Großen Koalition. Kiesinger beendete seine rhetorische Girlande mit einer schnörkeligen Handbewegung zu den Worten: „Mögen das Glück der Freiheit und der Segen des Friedens auch über Schwäbisch Gmünd leuchten in den kommenden Jahrhunderten.“
Hinterher sprach der Landeshistoriker Hans Martin Decker-​Hauff. Er ließ der Barbarossa-​These die Luft ab: Gmünds Stadtgründung müsse früher liegen, nicht erst 1162 durch Kaiser Rotbart — was aber für die Bescheidenheit der Gmünder spreche. Die ließen es sich später im Festzelt gut gehen. Es sollte ja kein Fest für die oberen Zehntausend werden, hatte OB Klaus verkündet. Er dirigierte im Festzelt die Kapelle, die „In München steht ein Hofbräuhaus“ intonierte. Und das beim 800-​Jahr-​Jubiläum Schwäbisch Gmünds.
Aber das fällt einem nur beim Betrachten des Films auf. Die damals im Festzelt ließen sich schon vom „Oans, zwoa, gsuffa“ wegtragen.

Reinhard Wagenblast

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