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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Feierstunde im Prediger zu Ehren von Yvonne Pagniez geriet zu einer Liebeserklärung an Europa

Es hätte ihr wohl gefallen, dieser bemerkenswerten Frau, was sich am Mittwoch im Prediger entwickelte. Leben und Lebenswerk der französischen Literaturpreisträgerin Yvonne Pagniez wurden gefeiert, „Erinnerungskultur“ beschworen, wie so oft an diesem Tag – über allem aber stand ein Bekenntnis zu Europa, zum friedlichen und freundschaftlichen Miteinander der Völker, zum gemeinschaftlichen Angehen derzeit drängender Sorgen und Probleme.

Freitag, 10. Mai 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 38 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt).
Furchtbar gelitten hat die Widerstandskämpferin im KZ Ravensbrück, bis sie schließlich entkommen konnte. Auf ihrer Flucht durch Deutschland aber wurde sie von Deutschen versteckt und versorgt; der Richter etwa, der sie nach Gotteszell schickte, statt zurück ins KZ, hat ihr wohl das Leben gerettet. Und auch in Gmünd erfuhr sie Freundlichkeit.
OB Arnold meinte in seiner Ansprache, diese Begegnungen hätten Pagniez Hoffnung gegeben, seien der Ursprung ihrer Vision von Frieden und Freundschaft. Nach dem Krieg unternahm sie viele Reisen nach Deutschland, und immer waren Versöhnung und Völkerverständigung ihre Mission, verbunden mit der für sie so wichtigen christlicher Nächstenliebe und dem Ideal der Mütterlichkeit („Wir schulden unseren Toten, allen Leidenden, unseren Kindern eine Weltbewegung der Mütter, die entschlossen sind, ihre Heimstätten und Kinder vor dem großen Entsetzen zu bewahren.“)
Der Euro trenne gegenwärtig die Länder Europas mehr, als dass er sie eine, so Arnold, der auf Wirtschaftskrisen einging, auf Massenarbeitslosigkeit und mangelnde Teilhabe jüngerer Generationen: „Unser Ideal von Gemeinsinn in Europa ist am Wanken.“ Entscheidend sei die „Verbindlichkeit des Wunsches nach einer gemeinsamen Zukunft“. Yvonne Pagniez’ Vision „Europa eine Seele geben“ könne heute Auftrag sein, nicht zu verzagen angesichts von Problemen, sich nicht gegenüber anderen Völkern zu verhärten, sondern sich zu öffnen. Frieden, meinte er weiter, gebe es in Europa erst dann in vollem Umfang, „wenn wir eine Balance gefunden haben, sozialen Frieden und ideelle Einheit in gemeinsamen Werten“. Arnold sprach für die Festgesellschaft: „In unserer Erinnerung ist und bleibt Yvonne Pagniez eine auffallend vorausschauende Zeitgenossin.“
Der Mutter ein liebevolles Andenken bewahren
Unter den Gästen fanden sich Antiber Schüler, die derzeit am HBG lernen, ebenso wie Ministerialdirigent Axel Vulpius, der einst als Austauschstudent bei der Familie Pagniez zu Gast war. Umrahmt von „Musica Est-​Ovest“ – Sabine Betz am Akkordeon und Peter Funk (Kontrabass) –, standen unter anderem ein Grußwort des französischen Generalkonsuls Michel André Marie Charbonnier sowie Erinnerungen von Yves Pagniez an, dem Sohn von Yvonne Pagniez, der gleichermaßen liebevoll und lebendig von seiner Mutter erzählte, von ihrem Glauben, von ihrer Liebe zu den alten Sprachen, von ihren Träumen und von ihren Hoffnungen. Die Familie hatte am Mittwoch unter anderem Gotteszell besucht und fand die Würdigung Yvonne Pagniez‘ „wunderbar“. Immer wieder wurde am Mittwoch dann eine „beispiellose Entwicklung hin zu Frieden und Freiheit“ gewürdigt, die aus einst erbitterten Feinden Freunde und Verbündete gemacht habe, eine Schicksalsgemeinschaft – über den nunmehr 50 Jahre alten deutsch-​französischen Freundschaftsvertrag „auf der Ebene von Regierungen und Abgeordneten“ hinaus. Für einen weiteren Beitrag galt Brigitte Nagel und Annabella Akcal ein herzliches Dankeschön: In einer deutsch-​französischen Lesung aus „Ils ressusciteront d’entre les morts“ erlebten die Gäste mit Yvonne Pagniez’ Sinnen und ihrer Erzählkraft den Einzug der Amerikaner in Gmünd, oder auch ihre Begegnung mit Dekan Mager, der sie nach dem Krieg am Münsterplatz beherbergt hat – zutiefst beschämt vom Blick auf „mein vom Nazismus verschmutztes Land“. Besonders berührend ist, dass Pagniez das Kriegsende hier wie die „Neugeburt der Welt“ erlebte, was sie zeitlebens zu ihren schönsten Erfahrungen, den glücklichsten Momenten zählte.
Dieses Buch wurde noch nicht übersetzt, ist aber gerade für die Stadt von Bedeutung. Reiner Wieland vom Schriftgutarchiv Ostwürttemberg in Lautern will in seiner Reihe Lauterner Schriften entscheidende Passagen aus „Ils ressusciteront d’entre les morts“ veröffentlichen.

Unsere Bilder zeigen Yves Pagniez, der von seiner Mutter erzählte, und den französischen Generalkonsul Michel André Marie Charbonnier beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt sowie die Gäste und das Rahmenprogramm mit Musica Est-​Ovest sowie Brigitte Nagel und Annabella Akcal.

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