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Nachrichten Ostalb

Volks– und Bürgerentscheide – „Ja“ oder „Nein“?

In Teil drei der Serie zur Bundestagswahl ging es um Innenpolitik, Sicherheit und Mitsprache

Samstag, 31. August 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
8 Minuten Lesedauer

Norbert Barthle, CDU

Die Partei der Inneren Sicherheit in Deutschland ist die CDU. Die Sorge um die Sicherheit der Menschen in Deutschland gehört zu unserer „Grundausstattung“! Wir wollen, dass alle Menschen in Deutschland frei und sicher leben können – zu Hause, in Straßen, auf Plätzen, in Bussen oder Bahnen, bei Tag oder bei Nacht ebenso wie auch angesichts der Gefahren, die zum Beispiel mit dem internationalen Terrorismus verbunden sind.
Wir wollen Bedingungen erhalten oder schaffen, die es unseren Sicherheitskräften ermöglichen, diese Gefahren weiterhin optimal zu bekämpfen. Der verstärkte Einsatz von Videotechnik an Brennpunkten wie etwa auf Bahnhöfen und auch die – sehr sorgsam kontrollierten – Mindestspeicherfristen von Vorratsdaten gehören daher für mich zu wichtigen Mitteln, die wir unseren Sicherheitsbehörden an die Hand geben müssen. Für das prinzipielle Misstrauen, das manche Parteien unserer Polizei entgegenbringen, habe ich kein Verständnis!
Zum Thema Mitsprache habe ich ebenfalls eine klare Meinung: Ich kann es mir gut vorstellen, die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger auch auf Bundesebene auszuweiten. Volksbefragungen, Volksinitiativen – warum nicht? Dann muss sich der Deutsche Bundestag mit Themen beschäftigen, die einer Vielzahl von Menschen auf den Nägeln brennt.
Aber nach wie vor halte ich Volksentscheide für falsch! Ich kenne kaum ein aktuelles Problem, das sich auf eine einfache Ja/​Nein-​Alternative beschränken ließe. Unseren Entscheidungen in Berlin gehen oft wochenlange Beratungen voraus, mit Anhörungen, Expertengesprächen und intensiven Beratungen in den Ausschüssen. Ich habe große Zweifel, ob sich ausreichend viele Bürger in ihrer Freizeit so gründlich mit einem Thema beschäftigen wollen, wie wir Abgeordnete es von Berufs wegen tun.
Nur eine schwarz-​gelbe Koalition funktioniert
Zum Thema Koalition kann ich mich kurz fassen: Nach einigen Startschwierigkeiten funktioniert die Koalition mit der FDP sehr gut; die Zusammenarbeit ist vertrauensvoll und – viel wichtiger – erfolgreich! Deutschland steht sehr gut da! Dabei soll es nach meinem festen Wunsch bleiben. Ob aber die SPD bei ihrem Nein bezüglich einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei bleibt, ist für mich nach wie vor offen. Gysi legt die Hürden immer niedriger, die Spekulationen innerhalb der SPD nehmen zu.

Christian Lange, SPD

Wir Sozialdemokraten treten für eine soziale Marktwirtschaft ein, die für soziale Gerechtigkeit in unserem Land sorgt. Wir wollen, anders als Angela Merkel, keine marktkonforme Demokratie, sondern eine demokratiekonforme Wirtschaftsordnung. Die Bürgerinnen und Bürger haben in den letzten Jahren oft – und zwar zurecht – kritisiert, dass in Deutschland in den letzten Jahren etwas aus dem Lot geraten ist.
Für die SPD ist Demokratie mehr als Wahlen und Abstimmungen. Voraussetzung für eine demokratische und offene Gesellschaft sind demokratische Kultur und Öffentlichkeit genauso wie Transparenz und Partizipation. Wir wollen unsere Demokratie stärken, damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Politik und staatlichen Institutionen wieder wächst, damit wieder mehr Menschen zur Wahl gehen und damit politische Entscheidungen mehr Legitimität erhalten. Wir wollen das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Wir wollen mehr Mitwirkungsrechte der Menschen bei der politischen Willensbildung. Dazu werden wir auch auf Bundesebene Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide einführen. Die SPD setzt auf mehr Offenheit und Transparenz politischer Entscheidungen und der politischen Entscheidungsträger: Wir werden die gesetzlichen Bestimmungen so reformieren, dass alle Bundestagsabgeordneten Einkünfte aus ihren Nebentätigkeiten vollständig auf Euro und Cent offen legen müssen. Für Parteispenden sollte es eine Höchstgrenze geben von 100 000 Euro pro Spender im Jahr. Zudem unterstützen wir die Forderung, Sponsoring in den Rechenschaftsberichten der Parteien aufzuführen. Wie Sie wissen, veröffentliche ich mein Einkommen jedes Jahr auf meiner Homepage: www​.lange​spd​.de.
Für ein modernes und weltoffenes Deutschland wollen wir die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen, die gleichen Rechte für Schwulen und Lesben und mehr Frauen in Führungspositionen von Staat, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.
Der NSA-​Datenskandal ist noch nicht ausgestanden. Bis heute müssen wir davon ausgehen, dass wir alle mit unserer Telefon– und Mailkommunikation überwacht werden. Dies konnte von Angela Merkel bisher nicht ausgeräumt werden. Unter Freunden und Verbündeten geht das gar nicht! Eine SPD-​geführte Bundesregierung wird Klartext mit den amerikanischen Freunden sprechen und die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen EU-​USA bis zur Aufklärung auf Eis legen. In Deutschland hat deutsches Recht zu gelten!


Lisa Strotbeck, FDP

Ganz in liberaler Tradition stehe ich für die Freiheit des Einzelnen. Doch was heißt das? Jedem soll es möglich sein, selbst für sich Verantwortung zu übernehmen. Ich werde dafür kämpfen, dass weiterhin jeder Bürger selbst entscheiden kann, was und für wen er arbeitet, wie er lebt oder an was er glaubt.
Die größtmögliche Freiheit gibt es allerdings nicht ohne ein Mindestmaß an gesetzliche Regelungen, an deren Einhaltung festgehalten werden muss. Jedoch die derzeit von manchen Politikern geforderte übermäßige Verbots– und Regulierungskultur zur Durchsetzung von idealistischen Lebensvorstellungen, lehnen wir Liberalen strikt ab. Bei uns entscheidet immer noch der einzelne Mensch selbst über sein Leben.
Zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung bleiben wir bei unserer klaren Position. Wir lehnen diese ab. Die Menschen in Deutschland dürfen nicht pauschal unter Verdacht gestellt und ohne Anlass beim mobilen Telefonieren, Versenden von SMS-​Nachrichten oder Surfen im Internet überwacht werden. Deutschland ist auch ohne Vorratsdatenspeicherung ein sicheres Land. Die Befugnisse der Polizei sorgen heute schon für hohe Aufklärungsquoten. Wo es unbedingt geboten erscheint, setzen wir uns für eine Grundrecht schonende Alternative zur Vorratsdatenspeicherung ein. Im Einzelfall sollen bei konkreten Verdachtsmomenten bereits vorhandene Daten gesichert und dann nach richterlicher Entscheidung für Ermittlungszwecke genutzt werden können, wenn sich der Verdacht erhärtet. Gegenüber der Europäischen Kommission werden wir darauf dringen, dass die verfehlte Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie an der Europäischen Grundrechtecharta gemessen und grundlegend überarbeitet wird.
Für mich gibt es nach dem 22. September eine klare Wunschkoalition bestehend aus FDP und CDU. Diese Koalition hat sich als am besten für Deutschland herausgestellt: Nicht zuletzt durch gute politische Rahmenbedingungen sind die Arbeitslosenzahlen beeindruckend niedrig, die Wirtschaft brummt. Darüber hinaus wurde für 2014 erstmals seit über 40 Jahren ein strukturell ausgeglichener Haushalt vorgelegt. Wichtige Ziele für mich sind: Keine gemeinsamen Schulden in Europa durch Eurobonds, Staatsschulden in Deutschlands weiter abbauen und dabei auf massive Steuererhöhungen zu verzichten.
Bürger vor Staat, das muss immer gelten – nicht nur vor Wahlen. Deshalb fordern wir, bundesweite Bürgerplenarverfahren einzuführen und Volksentscheide im Grundgesetz zu verankern.

Michael Straub, Die Grünen

Der Schwerpunkt grüner Innenpolitik liegt in der Stärkung der Demokratie. Die Schaffung vermeintlicher Sicherheit durch den Abbau von Bürger– und Freiheitsrechten lehnen wir ab. Wer Sicherheit vor Freiheit stellt wird beides verlieren! Unser Ziel ist die Stärkung des liberalen, demokratischen Rechtsstaates durch mehr Beteiligung und Mitentscheidung der Bürger sowie Transparenz und Dialogorientierung in Politik und Verwaltung.
Sicherheit ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine offene, moderne Gesellschaft. Der Staat hat die Aufgabe, seine Bürger vor Kriminalität und Gewalt zu schützen. Auf den internationalen Terrorismus muss gleichermaßen entschlossen wie besonnen reagiert werden. Wir lassen aber nicht zu, dass praktisch jeder unter Tatverdacht gestellt wird. Die Datensammelwut ist eine ernste Bedrohung der Bürgerrechte. Wir treten gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ein, die Bürger unter Generalverdacht stellt. Wir halten an der föderalen Struktur der Sicherheitsbehörden und der strikten Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten fest.
Über ein Jahrzehnt hinweg konnte die rechtsextreme Terrortruppe „NSU“ unerkannt Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle verüben. Wir brauchen deshalb eine breite Diskussion über die Sicherheitsarchitektur. Strukturen, Personal und Ausrichtung des Geheimdienstwesens müssen erneuert werden.

Mitsprache: Wir wissen, was Bürgerbewegungen alles erreichen können, unsere Partei kommt selbst aus Bürgerbewegungen. Wir schaffen mehr Beteiligung in den Planungsverfahren und bessere Möglichkeiten für Bürgerbegehren und Volksentscheide. Wir wollen, dass alle mitbestimmen können, die schon lange hier leben, und wollen dafür das Wahlrecht ändern. Das Wahlalter wollen wir auf 16 Jahre senken. Nach dem Euro-​Hawk-​Debakel muss ein neues Gremium für mehr Mitsprache des Bundestags in Rüstungsfragen sorgen.
Seit der Eskalation um das Bahnprojekt Stuttgart 21 fordern wir ein neues Planungsrecht für mehr Bürgermitsprache bei großen Bauvorhaben. Volksabstimmungen soll es nicht erst geben, wenn die Bagger rollen. Einmischen das heißt für uns, jeder Form von Rechtsextremismus entgegenzutreten, Rassismus, Intoleranz, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Transphobie und Homophobie, all das hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen. Wir brauchen Vielfalt statt Einfalt. Koalitionen gehen wir mit denjenigen ein, die die gleichen Werte wie wir vertreten.

Jörg Drechsel, Die Linken

Wir haben im Bundestag eine Kehrtwende statt Reförmchen bei Innerer Sicherheit gefordert. Wir brauchen endlich eine unabhängige Überprüfung der völlig aus dem Ruder gelaufenen Sicherheitsarchitektur und einen Paradigmenwechsel in der Innenpolitik. Mit ein paar Reförmchen, präziseren Gesetzen und etwas mehr Kontrolle ist es nicht getan.
Es ist ein starkes Stück, dass der Bericht der Kommission dem Parlament überhaupt nicht vorliegt. Das passierte aber nicht zum ersten Mal. Die Expertenkommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetze liegt in der Diagnose nicht ganz falsch, bleibt allerdings bei der Therapie weit hinter den Notwendigkeiten zurück. Das ist kein Wunder, da sie von der Bundesregierung handverlesen wurde. Unabhängig und objektiv ist das nicht wirklich.
Und ich sage deswegen: Wir brauchen eine Innenpolitik, die auch von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird.
Zum Thema Koalition: Koalitionen sind nicht das, was die Bürger brauchen. Zur Zeit machen sich Parteien mehr Gedanken um Koalitionen machen, als um die Politik für die Menschen.
Energiewende in Bürgerhand
Die zahlreichen Neugründungen von Energiegenossenschaften belegen, dass es die Bürger mit der Energiewende ernst meinen. Sie sind die wahren Triebkräfte hin zu einer hundertprozentig erneuerbaren Energieversorgung. Dennoch setzt die Bundesregierung bei der Energiewende weiterhin auf die vier großen Atomkonzerne, die ausschließlich nach Profitinteressen wirtschaften.
Gerade weil den Energiegenossen das Gemeinwohl am Herzen liegt und nicht der eigene Profit, sind sie vielen ein Dorn im Auge. Genossenschaften, die Ökostrom in die Netze einspeisen, werden regelmäßig Steine in den Weg gelehnt. Beispielsweise verlangen Netzbetreiber für die Einrichtung von Zweirichtungsstromzählern nicht selten horrende Gebühren. Energiegenossenschaften brauchen verlässliche politische Rahmenbedingungen. Das gleiche Mitspracherecht aller Mitglieder muss gewahrt werden, um zu verhindern, dass Großinvestoren sich einkaufen und den Genossenschaftsmarkt dominieren. Die Genossenschaften müssen zudem in erster Linie sozialen und ökologischen Belangen dienen und nicht wirtschaftlichen. Nur wenn die Rechte kleiner Energiegenossenschaften gestärkt werden, kann eine echte Energiewende vollzogen werden. Und dies nenne ich Mitsprache!

Sebastian Staudenmaier, Die Piraten

Edward Snowden hat offen gelegt, dass Geheimdienste millionenfach die Privatsphäre von Menschen, insbesondere auch in Deutschland, verletzt haben. Hierzulande betreibt der BND unter dem Namen „Strategische Fernmeldeaufklärung“ ein im Ansatz vergleichbares Programm. Dabei wird digitale Kommunikation auf Stichwörter überprüft, was gelesen wird und wer verdächtig ist entscheiden Algorithmen, also Computerprogramme.
Durch flächendeckende Überwachung ist jeder betroffen, auch Sie, die diesen Text gerade lesen. Und jeder hat bestimmt schon einmal eine E-​Mail geschrieben oder ein Telefongespräch geführt, bei dem man auf keinen Fall wollte, dass jemand mitliest oder mithört. Wir Piraten sagen klar „nein“ zu jeder Form der anlasslosen Überwachung, die alle Bürger zum Ziel hat. Mehr Kameras und Überwachung bringen nicht den gewünschten realen Sicherheitsgewinn, dazu ist mehr und besser ausgebildetes Personal in den Sicherheitsbehörden notwendig, mit dem ermittelt statt überwacht wird. In Bürgerrechtsfragen kann man sich nachweislich nicht auf andere Parteien verlassen: Rot-​Grün führte Überwachungsgesetze in den nach dem damaligen Innenminister als „Otto-​Kataloge“ bezeichneten Paketen ein.
Die große Koalition beschloss die Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren. Die derzeitige Regierung führte die Bestandsdatenauskunft wieder ein. Auch unsere gegenwärtigen Wahlkreisabgeordneten sind keine Bürgerrechtsfreunde. Egal ob Totalüberwachung durch die Vorratsdatenspeicherung oder Internetsperren: Norbert Barthle und Christian Lange sind brav auf der Linie ihrer Partei geblieben und haben zugestimmt.
Deshalb ist es wichtig, Piraten zu wählen, jede Stimme für die Piraten ist eine klare Stimme gegen Überwachung. Die Piratenpartei möchte eine neue politische Kultur in den Bundestag einbringen. Die Piraten-​Abgeordneten werden keinem Fraktionszwangunterworfen. Entscheidungen sollen anhand von Tatsachen und Argumenten und nicht nach parteipolitischem Proporz getroffen werden. Die direkten und indirekten Mitbestimmungsmöglichkeiten eines jeden Einzelnen müssen gestärkt werden.
Wir sehen die direkte Demokratie als Chance, die Politik erheblich zu bereichern. Es reicht nicht aus, die Menschen dadurch zu beteiligen, dass sie alle vier Jahre zwei Kreuze bei der Bundestagswahl machen dürfen. Deshalb sollen bundesweite Volksentscheide eingeführt werden. Wir wollen zuhören statt abhören.



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