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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Villa Charlottenstraße: Abbruch beginnt

Man kann immer noch Passanten in der Charlotten– und Rauchbeinstraße beobachten, die Fotos vom Haus Kötzschke machen, es betrachten und den Blick über das abgeräumte Gartengrundstück und die südöstliche Altstadt mit ihren Türmen schweifen lassen. Seit Montag stehen der Abbruchbagger und diverse Container auf dem Grundstück, der Abriss der Gründerzeitvilla beginnt in den nächsten Tagen.

Mittwoch, 29. Januar 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 40 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (rw). Die bunten Glasfenster des Eckturms sind ausgebaut, der frühere Hausbesitzer will sie anderweitig verwenden. Die Schorndorfer Schatz-​Gruppe plant an Stelle der Villa eine Wohnanlage mit 20 Wohneinheiten samt Tiefgarage. Das Bekanntwerden von geplantem Abriss und großformatigem Neubauprojekt, das vom Garten des 2000 Quadratmeter großen Grundstücks nicht mehr viel übrig lassen wird, hatte im Dezember zu einem Aufschrei im Gemeinderat geführt und OB Richard Arnold sowie Baubürgermeister Julius Mihm in Erklärungsnöte gebracht.
Dabei war die Villa des verstorbenen Arztehepaars lange Zeit auf dem Markt gewesen. Es gab Interessenten, die aber letztlich nicht zugriffen – bis auf die Schatz-​Gruppe, die auch das Deyhle-​Areal neu plant und bebaut.
„Wenn es jemand wirklich interessiert hätte, hätte er es ja kaufen und richten können“, sagt Schatz-​Geschäftsführer Werner König. Der Teufel stecke bei der Villa im Detail, sie beispielsweise auf einen zeitgemäßen energetischen Stand zu bringen, sei nur sehr schwer möglich, wenn überhaupt.
Baubürgermeister Mihm hatte dem Gemeinderat im Dezember Zeichnungen vorgelegt; sie sollten verdeutlichen, wie das Projekt besser in die markante Lage an der Oberbettringer Straße eingefügt werden könnte. Mihms Änderungsvorschläge betrafen den turmartigen Aufzugschacht, Farbigkeit, die Sockelgliederung und die Absetzung des Dachgeschosses. An der Fenstergliederung seien keine Änderungen mehr möglich. Werner König bestätigt auf Anfrage der RZ, dass „die Fassadengestaltung im Detail vor der Ausführung“ mit der städtischen Bauverwaltung abgestimmt werde. Das habe noch Zeit, bis der Rohbau steht.
Den Bauantrag hatte die Schatz Projectbau GmbH im Spätsommer bei der Stadtverwaltung eingereicht, sie musste dann einige Zeit warten. Offenbar gab es Bedenken, aber die Baugenehmigung war zu erteilen: Die durch Anbauten veränderte Villa war nicht denkmalgeschützt, und in der Umgebung stehen bereits großvolumige Wohnanlagen und die Rauchbeinschule. Damit war dem Einfügegebot Genüge getan. Der Investor erhielt die Baugenehmigung nach der Gemeinderatssitzung im Dezember – und noch vor Weihnachten.
Der Erbauer hat seinen Namen – „W. Schwab“ – und die Jahreszahl 1890 voll Stolz an einer großen Steintafel an der Fassade verewigt. Schwab war Eigentümer einer Silberwarenfabrik – wie hätte es zu dieser Zeit in Gmünd anders sein können. H. W. Bächle hat die Genese dieser Firma in seinem Buch „Das Edelmetallgewerbe in Schwäbisch Gmünd“ (Remsdruckerei 1983) beschrieben: „Ludwig Böhm bildete 1866 zusammen mit F. Lempp die Gold– und Silberwarenfabrik Böhm & Lempp, Rinderbacher Gasse 15, die später unter dem Namen Hugo Böhm & Co bzw. W. Schwab & Co. als große Silberwarenfabrik fortbestand. Von der Blütezeit dieser Firma zeugen z. B. die stattlichen Wohnhäuser Bocksgasse 32 (Ludwig Böhm, 1860), Königsturmstraße 21 (F. Lempp, um 1870) und Charlottenstraße 4 (W. Schwab, um 1900). Eine Goldketten– und Schmuckfabrik Ludwig Böhm entstand danach in Weißensteiner Straße 1, der Fabrikanbau steht heute (1983) leer.“
Vor der Weltwirtschaftskrise von 1930 gehörte die Firma Schwab in die Gruppe der größten Betriebe der Branche in Schwäbisch Gmünd mit 100 bis 300 Beschäftigten. Schwab & Co reihte sich ein in Firmen wie Wilhelm Binder, Gebrüder Kühn, Gebrüder Deyhle, Hermann Bauer und Gustav Hauber.
Die Fabrikgebäude gibt es noch heute, wenn auch verändert: Rinderbacher Gasse 15, an der Ecke zum Kalten Markt und neben dem Deyhle-​Areal gelegen, beherbergt heute Wohnungen und Gastronomie (früher Schmid-​Holstein, Bekleidung) und den Tafelladen (früher Lidl).
Die Villa Charlottenstraße 4, typischer Backsteinstil, mag keine Denkmaleigenschaft haben, aber sie ist ein Zeugnis großbürgerlicher Wohnkultur, die es in Gmünd genauso gab wie die Industrie, die ihr die ökonomische Basis verschaffte. So wie das Unternehmen untergegangen ist, so verschwindet nun auch die Villa des Fabrikanten. Und damit wieder einmal ein Stück dessen, was Gmünds Charakter so lange geprägt hat: die Traditionsbranche Gold und Silber.

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