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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Alles zu kriegen nutzt nichts: Lob des Journalismus: ZDF-​Intendant Thomas Bellut auf Einladung von Christian Lange in Gmünd

Allen sind alle Informationen zugänglich; „jeder ist sein eigener Programmdirektor, sein eigener Chefredakteur“, fasste ZDF-​Intendant Dr. Thomas Bellut jüngere Entwicklungen im Medienbereich zusammen und gab sich gleichwohl zuversichtlich, was die Zukunft des Fernsehens, aber auch der Tageszeitungen angeht. Bellut, zuständig fürs „Zweite“, gilt als Deutschlands erster Ansprechpartner in Sachen Fernsehen. Gestern Abend ging er im Prediger-​Refektorium auf die Herausforderung ein, das öffentlich-​rechtliche Fernsehen in der digitalen Welt zu verankern, in der Fernsehen und Internet zunehmend verschmelzen. Gekommen war er auf Einladung von Christian Lange, Parlamentarischer Staatssekretär, er es immer wieder schafft, hochkarätige Gäste für sein Politisches Frühjahrsgespräch nach Gmünd zu holen.

Montag, 28. April 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Lange als ehemaliges Mitglied des ZDF-​Fernsehrats würdigte ausdrücklich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, den Anteil staatlicher und staatsnaher Akteure im Fernsehrat auf ein Drittel zu beschränken, und er ging kurz auf die Notwendigkeit ein, über die Europawahl zu berichten. Im übrigen wünschte er sich vom ob des Stadtumbaus augenscheinlich beeindruckten Bellut, Gmünd als „Platz für ein schönes Format des ZDF“ in Betracht zu ziehen.
Thomas Bellut meinte auch im Blick auf die zu erwartenden kritischen Fragen, er sei es nun wirklich gewohnt, mit Kritik umzugehen: Beim Format „Frontal 21“ etwa, das einen ständigen Rechtsbeistand benötige, stehe sehr viel auf dem Spiel, wenn nicht sauber gearbeitet werde.
Fernsehen sei noch immer ein spannendes Geschäft; daran ändere auch das Netz nichts, das derzeit die gesamte politische Kultur verändere. Vor allem die Interna, die Bellut preisgab, stießen auf großes Interesse. So widmete er sich Markus Lanz, der sich bereit erklärt habe, „Wetten, dass..?“ zu übernehmen, als alle anderen – er nannte Hape Kerkeling – „bei der Vorstellung Herz-​Rhythmus-​Störungen“ bekommen hätten. Eine so enorme Fallhöhe bedeute ständige Beobachtung und verändere auch das Privatleben. Durchaus kritisch ging er auf Lanzs bundesweit Negativschlagzeilen machendes Interview mit Sahra Wagenknecht ein, sprach aber auch von den innerhalb weniger Tage eingegangenen 200 000 Internet-​Stimmen: „Lanz muss weg“. Bellut zitierte hier die Süddeutsche mit ihrer Einschätzung der „digitalen Steinigungen“: „Das geht an die Persönlichkeit“, mit einer Aggression, die erschrecke. Auf der anderen Seite freue sich das ZDF nun in kürzester Zeit an hunderttausenden positiven Stimmen, weil ägyptische Fußballfans davon ausgingen, die WM live übers Zweite sehen zu können.
Vor allem, so der ZDF-​Chef, verändere das Netz die Geschwindigkeit, in der Nachrichten verbreitet würden – als er anfing mit dem Journalismus, musste er „noch zu Telefonzellen rennen“. Am Beispiel der in der Ostukraine gefangenen Offiziere sprach er von ständig notwendigen Entscheidungen – in diesem Fall davon, „die Opfer nicht groß zu zeigen“. Von Qualitätsjournalismus sprach er, von Fragen zu Vernunft und Anstand, die sich Journalisten immer neu stellen müssten.
Vier Stunden verbringe „der durchschnittliche Deutsche“ täglich vor dem Fernsehen – und es gelte, auf diesem schwierigen Markt eine Position zu halten. Die Privatsender schaffen eigenes Fernsehen, daran ließ Bellut mit Blick etwa auf die RTL-​Rendite von 30 Prozent keinen Zweifel: „Aber unsere Aufgabe ist eine andere, wir müssen uns an anderem messen lassen, daran, was wir für die Gesellschaft bringen.“ Das erwähnte investigative politische Fernsehmagazin Frontal 21 etwa sei kein Erfolgsprogramm.
Die von ihm „Menschenzoo“ genannten erfundenen „Dokumentationen“ über problembeladene Familien – Dokus, die von der Freude der Menschen am sozialen Abwärtsvergleich lebten – werde es im ZDF nicht geben. Das habe mit Anstand zu tun, und damit, dass hier die Grenze der Seriosität überschritten sei. „Wir müssen uns anderen Diskussionen stellen“, so Bellut, der erklärte, warum es in seinen Augen Sinn macht, Sender zu unterhalten, die anders agieren könnten, die auch immer wieder neu den Nachweis erbringen müssten, dass sie ihre Aufgaben erfüllen. Mit „ZDFneo“ und insbesondere mit „ZDFinfo“ gelinge es durchaus, junge Leute zu interessieren – was in der Diskussion als das schwierigste Problem überhaupt dargestellt wurde, als „Kernproblemfeld“. Dabei kam auch die immer wichtiger werdende Mediathek zur Sprache, Videoportal des ZDF im Internet: Das beliebte „heute-​journal“ etwa hat stets knapp drei Millionen Zuschauer, im Netz kommen weitere 400 000 hinzu. Hauptgeschäftsführer Klaus Moser der IHK Ostwürttemberg meinte, auch das duale Fernseh-​System werde sich in der Krise bewähren. Hans-​Dieter Beller, Geschäftsführer der Franz von Assisi-​gGmbH, wollte wissen, nach welchen Kriterien es Informationen in die Nachrichtensendungen schafften – er ging auf die „unverhältnismäßige“ Berichterstattung über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche ein, wo sich doch 80 Prozent aller Fälle im familiären Umfeld ereigneten. Dass „die FDP nicht mehr auftaucht“ war Thema, die Geschlechterrollen, das fast fehlende Interesse an der Europawahl, das die ZDF nach Kräften wecken solle. Grundsätzlich nannte Bellut das Fernsehpublikum schlauer als angenommen – gute Filme, Dokumentationen und Nachrichten setzten sich durch. Vor allem vertrauten die Menschen auf wenige Stimmen, es gebe großes Interesse an geprüften Informationen: „Alles zu kriegen nutzt nichts, es macht viel Arbeit, das alles selbst zu gewichten.“

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