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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Was Frauen so einschnürt: Produktion für die Barockwoche Ende Juni: „Carpe Diem – Auf und nieder, immer Mieder“

Die Barockwoche gilt mit gutem Grund als Höhepunkt der Gartenschau – zu verdanken ist das bemerkenswerten Angeboten und Veranstaltungen. Aus dem Rahmen fällt dabei das Stück „Carpe Diem“, das sich dem Leben der Gmünderinnen widmet.

Mittwoch, 18. Juni 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 47 Sekunden Lesedauer

Von Birgit Trinkle
SCHWÄBISCH GMÜND. Leslie Roehm ist Profischauspielerin, aber auch eine Gmünderin, die zur Gartenschau beiträgt. In der Staufersaga war sie die Königin Beatrix, und es ist ein ziemlicher sozialer Abstieg, den sie in der neuen Produktion vollzieht. Als eine Magd ohne Schutz und Familie im 17. Jahrhundert könnte sie rechtloser kaum sein. Genauer, sie ist Magd an jenem Abend im Jahr 1637, an dem ein fürchterliches Unwetter unter anderem die St.-Franziskus-Kirche schwer beschädigt – wofür später „Hexen“ verantwortlich gemacht und getötet werden. Ein anderes Unwetter in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts hat weit weniger dramatische Folgen, auch wenn die Schauspielerin (Sarah Gros gibt dieser Figur einige ihrer eigenen Züge) fürchterlich erschrickt. Blitz und Donner und eine Zeitverschiebung führen sie zusammen, die Magd und die Schauspielerin, und gemeinsam gehen sie der Frage nach, was Frauen einschnürt.
Gute Frage; die Antwort ist bei weitem nicht so offensichtlich, wie das Schnüren des Korsetts vermuten lässt, das die Schauspielerin an diesem Tag tragen muss, und das die Magd aus dem längst vergangenen Jahrhundert natürlich zu schnüren weiß. Ob Sarah Gros wirklich ein „Hänfling“ ist, wie sie gestern im RZ-​Gespräch lächelte, sei dahingestellt: Die Vorstellung, dass ihre Taille nach der Schnürung 18 Zentimeter weniger misst, ist furchterregend. Kein Wunder dass Frauen auch schon mal ohnmächtig wurden bei dieser Prozedur – die Geschichte des Korsetts ist eine Leidensgeschichte.
Mit Hilfe der Stadtarchivarin Dr. Barbara Hammes und der Gmünder Frauenbeauftragten Elke Heer hat Leslie Roehm kein beliebiges, sondern das Gmünder Barock gezeichnet. Die als Hexe verurteilte „alte Schiehlin“ taucht etwa auf oder die Frauengemeinschaft der Beginen, die viele Ideen vordenken. Die Magd selbst hat ihre Familie durch die Pest verloren, deren Wüten sie anschaulich macht. Obwohl es Frauenkunst und –poesie gibt, tut sie als Frau gut daran, zu verheimlichen, dass sie lesen und schreiben kann; daran, die verwaiste Silberschmiede-​Werkstatt ihres Vaters weiterzuführen, was ihr sehnlichster Wunsch ist, ist nicht zu denken. Sie ist eine, die so gern selbstständig wäre, lernen würde, gestalten, ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Aber sie ist kein Caspar Vogt, Baumeister und Bildhauer in ihrer Stadt, den sie glühend beneidet. Sie hat „nur ein Kleid zum wechseln“, sie weiß, wie sich Hunger anfühlt. Als der angehende Kaiser Ferdinand die Fuggerei als Quartier wählt, ist das nicht glanzvoll, sondern schiere Schinderei. Ihr Michel will eine Brave, Stille, die er versorgen kann; sie will den Michael an ihrer Seite, um etwas aufzubauen. Alles in allem hat sie’s nicht leicht.
Verzweifeln am Anspruch, Heidi Klum und Mutter Beimer zu sein
Die Zeit des Korsetts ist vorbei. 1690 wurde die Waschmaschine erfunden; die Dampfmaschine hilft allen, Carina Vogt steht für olympische Skispringerinnen, die Gmünder Hochschulen werden von Frauen geleitet. Aber die Schauspielerin träumt von einem ganz anderen Leben. Von einem, der sich um sie kümmert. 600 anspruchsvolle Facebookfreunde und ein gnadenlos durchgetakteter Tag („morgens das Kleine Zebra in Heidenheim, abends die Carla Bruni in Mannheim spielen“) drohen ihr die Luft zum Atmen zu nehmen, ebenso das Gefühl, ganz anderen Zwängen zu unterliegen, sexy sein zu müssen und kompetent und mütterlich, „Heidi Klum und Mutter Beimer in einem“. Die beiden Frauen haben einander viel zu sagen. Und viel zu lernen.
Die für Gartenschaubesucher kostenlosen Aufführungen auf der Remsbühne am Stadtgarten: 28. Juni um 11 Uhr; 29. Juni

Es war und ist großes Anliegen der künstlerischen Leiterin Kathrin Bechstein, vom 27. Juni bis zum 4. Juli rund um Stadtgarten und Rokokoschlösschen mehr anzubieten als Lichterfest und ein barockes Feuerwerk, so spektakulär diese auch sein mögen. Viel mehr vor allem als ein Kostümfest. Dazu gehört die künstlerische Aufarbeitung von Früh– und Hochbarockthemen, die es auch mit Inhalt zu füllen gilt. Eine von mehreren Produktionen ist „Carpe Diem – Auf und nieder, immer Mieder“, ein eigens für die Landesgartenschau in Gmünd entwickeltes Stück von Leslie Roehm und Sarah Gros.

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