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Wahrscheinlicher Freilandlagerplatz der letzten Eiszeitjäger bei Heubach hat für die Region einige Bedeutung

Erfolgreiche erste Bohrungen der Uni Tübingen führen nun zu einem Forschungsprojekt, das Heubachs Bedeutung als Altsiedelland herausarbeiten soll.

Donnerstag, 10. Juli 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 44 Sekunden Lesedauer


HEUBACH (bt). Wolfgang Naak bückt sich im Vorbeigehen: Ein steinzeitlicher Abschlag. Nichts Spektakuläres, auch hat er keine Zeit für einen zweiten Blick, also gibt er das vor rund 15 000 Jahren bearbeitete Steinstück „dem Acker zurück“. Naak, Vertreter des AK Steinzeit und ehrenamtlicher Beauftragter für Archäologische Denkmalpflege, sowie Adolf Regen – der hier seit 30, 40 Jahren unterwegs ist und immer neue Artefakte von den Äckern klaubt –, haben seit gestern offiziellen und professionellen Beistand in ihrem Bemühen, die Bedeutung der Rosenstein-​Gegend als Altsiedelland herauszuarbeiten. Prof. Dr. Harald Floss, Ältere Urgeschichte und Quartärökologie in Tübingen, der Heubacher Masterstudent Stefan Wettengl, der das Ganze durch seine Abschlussarbeit angestoßen hat, sowie Student Simon Fröhle fanden in ersten Probebohrungen an mehreren Stellen unter einer dünnen Humusschicht ungestörte sandige Sedimente – wäre durchs Pflügen alles durcheinander geraten, das Unterfangen hätte sich schwierig bis unmöglich gestaltet. Artefakte aus den vergangenen hunderttausend Jahren belegen die Nutzung des Gebiets rund um den Rosenstein in allen drei Steinzeit-​Epochen, durch den modernen Menschen aber auch durch Neandertaler. Jetzt geht es darum, eine Siedlung aus dem Magdalénien (16 000 bis 12 000 v. Chr.) nachzuweisen. Alles deutet darauf hin, dass dieses an Fundstücken so reiche Gebiet regulärer Jagd– und Siedlungsgrund des Jungpaläolithikums war, die Jäger dort mithin nicht nur auf der Durchreise waren; den wissenschaftlichen Nachweis zu führen, ist freilich etwas ganz anderes.
Nur sehr wenige Siedlungen aus dieser Zeit sind bekannt. Prof. Floss zählt sie alle auf: Man hat gehört von ihnen. Was im Blick auf die Aufarbeitung im Tourismuskonzept der entsprechenden Gemeinden auch deutlich macht, welche Bedeutung dieser Nachweis hätte. Mit gutem Grund zeigt Heubachs Bürgermeister Frederick Brütting großes Interesse; der Gemeinderat hat einstimmig beschlossen, das Unternehmen zu fördern.
Im September wird nun also erstmals gegraben. Dann entscheidet sich endgültig, ob die Uni Tübingen bei Heubach ein größeres Grabungs– und Forschungsprojekt durchführt. Für Floss ist es „an der Zeit“, neben den bekannten Steinzeitzentren der Schwäbischen Alb auch andere Fundstätten zu untersuchen. Im „Sand“ finden sich beste Bedingungen.
Leichtes Lächeln Naaks beim Blick auf den Hochsitz dort: Eine Faustregel besagt, dass heutige Jagdstände möglicher Indikator für frühe und ganz frühe Jagdnutzungen sind: Die Waffen verändern sich, Mensch und Tier in ihren Gewohnheiten eher nicht. Die angehende Grabungsstätte Sand zwischen Heubach und Buch – „Galgenberg“ – war auch als Hinrichtungsstätte genutzt: Sie musste, der Abschreckung wegen, weithin sichtbar sein, was aber eben auch heißt, dass Dutzende Kilometer einsehbar waren. Denkt man sich die eiszeitliche Tundra ohne Bäume, wird klar, dass der Blick auf diesem Sporn auf 270 Grad das Land abdeckt; etwa durchs Kochertal heranziehende Pferde– oder Rentierherden waren rechtzeitig zu sehen. Auf der anderen Talseite findet sich die „Kleine Scheuer“, die in dieser Zeit ebenfalls genutzt wurde. Ein Quellhorizont garantierte Wasser, der warme, trockene Sandboden bot gute Bedingungen. Die gefundenen Artefakte sind aus dem hervorragend geeigneten verkieselten Kalkstein geschlagen, der auf dem nahen Scheuelberg vorkommt.
Wie alle passionierten Urgeschichtler sieht Harald Floss die Menschen hinter den Artefakten, und er stellt sie vor, diese frühen modernen Menschen auf dem Höhepunkt eiszeitlichen Jägertums: Sie kochten Suppe und richteten Grillstellen ein, schufen Kunstwerke, schmückten sich, und sie warfen sich nicht einfach Felle über, sondern trugen Jacken, Hosen, wahrscheinlich Mokassins. Im Grabungsgebiet „Sand“ fanden sie ideale Bedingungen für ein Jagdlager, aber auch für eine mögliche dauerhafte Siedlung. Es sei wichtig, so Floss, das Bild von den Höhlenbewohnern zu korrigieren; das Wohnen im Freiland, also in jurtenähnlichen Behausungen, lässt sich seltener nachweisen, spielte aber eine große Rolle.
Von den anstehenden Grabungen ist einiges zu erwarten. Durch die Abfolge der Sedimentschichten, die in der Eiszeit anders aussahen, ist eine zeitliche Einordnung eher möglich. Sollte organisches Material gefunden werden – Knochen, Elfenbein etc. – gibt es über die Radiokohlenstoffdatierung konkrete Angaben. Mit viel Glück findet sich eine gravierte Skulptur, aber in jedem Fall eröffnen sich für Heubach durch die Urgeschichtsforschung ganz neue Möglichkeiten.

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