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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Marginalie: Liebesgrüße nach Taiwan

Straßenszene in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh, Foto: Hans Riedl

In der zurückliegenden Woche war der Generaldirektor der „Vertretung von Taipeh“ in München in Schwäbisch Gmünd. In dieser Position wäre er etwa vergleichbar mit einem Generalkonsul – nur hat Taiwan in Deutschland keine offizielle Botschaft und kein Konsulat. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – plädiert unser Autor für enge Kontakte auf kommunaler oder Landkreisebene mit Taiwan.

Sonntag, 28. Mai 2023
Franz Graser
2 Minuten 20 Sekunden Lesedauer

Es war eine kurze Meldung: Der Generaldirektor der Vertretung von Taipeh in München, Professor Ian-​tsing Joseph Dieu, weilte zu Gesprächen in Schwäbisch Gmünd. Der Austausch mit der Stadtspitze drehte sich vor allem um die Themen Bildung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Darüber hinaus besuchte die kleine Delegation die Wissenswerkstatt Eule und zwei Schulen.

Die Brisanz des Besuchs lässt sich diesen dürren Sätzen nicht einmal annähernd entnehmen. Denn Professor Ian-​tsing Joseph Dieu ist Vertreter eines Staates, der international isoliert ist, in den meisten Ländern der Welt keine offizielle Botschaft unterhält und das von der übermächtigen Volksrepublik China bedroht wird. Die Rede ist von Taiwan. Der Inselstaat mit seinen rund 24 Millionen Menschen, die eine Fläche von der Größe Baden-​Württembergs bewohnen, gilt Beijing als abtrünnige Provinz.

Wegen des Alleinvertretungsanspruchs der VR China gibt es weltweit nur eine Handvoll Staaten, die diplomatische Beziehungen mit Taiwan unterhalten. Würden nicht die USA die Existenz des Landes garantieren – eine Zusage, von der übrigens nicht einmal Donald Trump abrückte –, dann wäre die Insel vermutlich längst ein Teil der Volksrepublik. Die politische Situation Taiwans ist also prekär. Dabei ist das Land eine funktionierende Demokratie mit Mehrparteiensystem, freien Medien und unabhängiger Justiz.

Zudem kommt Taiwan als High-​Tech-​Standort eine Bedeutung zu, die sich nicht annähernd überschätzen lässt. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist der weltweit größte Auftragsfertiger für Halbleiter und produziert laut eines „Spiegel“-Berichts mehr als die Hälfte aller weltweit eingebauten Chips, die meisten davon am Hauptsitz in der Universitätsstadt Hsinchu südlich der Hauptstadt Taipeh.

Hsinchu ist übrigens ein Paradebeispiel für die Bildung eines Clusters, in dem der Transfer von Wissen in die Wirtschaft vorbildlich funktioniert: Rund um die Universitäten und Hochschulen sind zahlreiche Firmen entstanden, die sich mit der Entwicklung zentraler Techniken unseres täglichen Lebens beschäftigen, darunter LEDs, Speicher, Medizin– und Messtechnik und dergleichen mehr. Taiwans Selbstständigkeit ist also gerade auch für Deutschland von essenzieller Bedeutung.

Übrigens kann sich unsereins von dem Inselstaat durchaus das eine oder andere abschauen: So funktioniert zum Beispiel die Hochgeschwindigkeits-​Eisenbahn, die Taipeh mit dem Süden des Landes verbindet, vorbildlich: Die Züge, bei denen japanische Shinkansen-​Technik zum Einsatz kommt, fahren auf die Minute pünktlich, die Bahnstationen wurden dabei (Stuttgart-​21-​Gegner müssen jetzt ganz tapfer sein) in der Metropolregion Taipeh komplett in den Untergrund verlegt.

Auch bei den PISA-​Tests zum Vergleich des Bildungsniveaus liegt Taiwan regelmäßig in der Spitzengruppe, nicht zuletzt in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaft. Es lohnt also, die Kontakte zu intensivieren. Und weil das diplomatische Parkett sehr schwierig ist, wäre eine kulturelle oder wirtschaftliche Partnerschaft auf kommunaler oder auf Landkreis-​Ebene bestimmt keine schlechte Idee. Als echter Taiwaner hat Professor Ian-​tsing Joseph Dieu sicher seine Visitenkarte dagelassen.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Stadt dem taiwanischen Gesandten keine Uhr geschenkt hat, wie es beim Besuch des Bürgermeisters von Antibes im vergangenen Herbst der Fall war. Denn die Wendung „eine Uhr schenken“ klingt im Chinesischen ganz ähnlich wie „den Ahnen das letzte Geleit geben“. Das wäre für Menschen aus China und Taiwan ein unverzeihlicher Fauxpas. (Hans Riedl)

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