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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Sonderausstellung JVA Gotteszell in Ludwigsburg

200 Jahre Gefängnis ist kein Grund zu feiern. Eigentlich. Aber zurückzublicken lohnt sich allemal. In einer Sonderausstellung widmet sich das Strafvollzugsmuseum in Ludwigsburg bis zum 13. September der JVA Gotteszell. Von Birgit Trinkle

Mittwoch, 27. Mai 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND /​LUDWIGSBURG (bt). Die schwere Tür fällt ins Schloss. Im Halbdunkel des Flurs sind einzig die vergitterten Fenster ein Lichtblick. Der Blick zurück zeigt eine vergessene Mahnung an die Vollzugsbeamten. „Bitte zweimal abschließen“. Vielleicht liegt es ja an allzu lebhafter Fantasie, aber dieses fast 250 Jahre lang als Gefängnis genutzte Haus fühlt sich noch immer nicht an wie ein Ferienheim. Die große Uhr in der Eingangshalle zeigt 8.38 Uhr, dabei steht die Sonne hoch am Himmel. Das Ding ist nicht kaputt, es erinnert an die Minute, in der 1991 der letzte Gefangene weggebracht und der Strom abgestellt wurde.
Und erst die Ausstellungsstücke: Die Guillotinen aus Berlin und Rastatt wurden erst vor einem halben Jahrhundert ausgemustert. Noch vor 50 Jahren haben Menschen auf diesen Blöcken den Kopf verloren. Die Schandgeige, die sich um Hals und Handgelenke schloss, mutet seltsam vertraut an: Sicher doch, so etwas ist im Gmünder Museum zu finden. Museumschef Dr. Erich Viehöfer grummelt ein bisschen, er trennt sich nur ungern von seinen Schätzen: „Aber einem Minister einen Wunsch abzuschlagen ist gar nicht so einfach“ (Anm.: Gemeint ist wohl der Gmünder Dr. Helmut Ohnewald, Anfang der 90er Justizminister).
Dann die Foltergeräte. Weitergehen, schnell, es ist so gar nicht schön, dieses Kapitel der deutschen Rechtsprechung. „Hier wurde nie gefoltert“, versichert Historiker Viehöfer. Folter diente in Deutschland nicht der Strafe, sondern der „Wahrheitsfindung“; wer aber in dieses Gebäude direkt am Blühenden Barock in Ludwigsburg gebracht wurde, Württembergs erstes Jugendgefängnis und zeitweise auch Außenstelle der Festungsstrafanstalt Hohenasperg, hatte den Prozess hinter sich.
Für Gmünderinnen und Gmünder ist natürlich die Sonderausstellung Gotteszell interessant, aber auch die im Erdgeschoss aufgebaute Geschichte des Strafvollzugs – vom barocken Zuchthaus bis hin zur mit hochschließbarem Bett ausgestatteten Gefängniszelle der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts – lohnt den Besuch, gibt sie doch Einblicke in eine Welt, die den Besuchern gemeinhin verschlossen ist. Das aus 25 000 Streichhölzern gebaute Schiff, das einem Häftling einst die toten Stunden erträglich machte, ist eine schöne Überleitung zur Gotteszell-​Ausstellung. Denn vor allem anderen haben Dr. Viehöfer und Elke Diemer, Leiterin der „Freizeit“ in Gotteszell, Originale zusammengetragen – kostbare Leihgaben ebenso wie banales Alltagsgerät, hunderte Exponate allein aus der Freizeitabteilung, von den Gotteszell-​Taschen, die heute mit Gewinn verkauft werden, bis hin zur detailgetreu von heutigen Gefangenen nachgearbeiteter Gefangenen– und Bedienstetenkleidung aus den Jahren 1890 bis 1930.
Ende der 80er gab’s mal eine Ausstellung „Gotteszell“ in der Außenstelle Ellwangen. Aber damals wurde nur ein Bruchteil dessen gezeigt, was hier zu sehen ist. Zum Beispiel die Geschichte von Barbara Schweizer. Es war im Jahr 1861. Die ersten Häftlinge waren zwar Frauen, Christina Klotz und Johanna Unterwänger, aber erst seit 1872 ist Gotteszell ein reines Frauengefängnis. In den 60er Jahren war die Einrichtung auf alles vorbereitet, auch auf eine Frau wie die Schweizer, die sich, angefangen bei Bettelei und Landstreicherei über Körperverletzung allmählich zur Verbrecherin entwickelt hatte und als gefährlich galt. Mit gutem Grund wurde sie der erfahrenen Wilhelmine Stiefbold anvertraut. Die war über 60, für damalige Begriffe richtig alt, aber mehrfach wurden ihr Gesundheit und Auftreten einer viel jüngeren Frau bescheinigt. Außerdem galt sie als außerordentlich gerecht und wurde allgemein respektiert. Ausgerechnet sie, die so viele „schwere Fälle“ gemeistert hatte, ließ sich im Speisesaal übertölpeln. Barbara Schweizer fügte ihr mehrere Dutzend Stichwunden zu; der Obduktionsbericht liest sich wie ein Auszug aus einem Schlachtprotokoll, und spätestens hier wird die Moritat zur – bestens dokumentierten und unter anderem mit Tatortskizze versehenen – Mordakte. Barbara Schweizer wurde später in Ellwangen hingerichtet.
Es piepst, durchdringend. Ein Kontrollrahmen führt ins Herzstück der Ausstellung. Im richtigen Leben kann niemand passieren, der auch nur einen Reißverschluss trägt, hier kommt zumindest ab und zu einer durch. Aber eine Handvoll Kugelschreiber und eine Gürtelschnalle? Was zu viel ist, ist zu viel. Mit die kostbarsten Exponate wurden von der Leiterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Schwäbisch Gmünd, Sibylle von Schneider-​Holl, aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung gestellt: Näharbeiten aus Gotteszell; erlesene Lochstickereien, Monogramme auf so manchem hoch geschätztem Aussteuerstück, die ihr die Urgroßtante vermacht hat. Neben der „weißen Periode“ der Näharbeit – apropos weiß: das legendäre Kloster– und Gefängnisgespenst, weiße Frau genannt, ist natürlich ebenfalls ausgestellt – gab es eine ebenfalls sehr produktive „braune“ Phase, in der sich die Häftlinge als Zigarrenherrstellerinnen verdient machten.
Wer waren diese Frauen, die dort, im alten Kloster, nicht selten lebenslang bestraft wurden. Aufnahmen aus dem Jahr 1898 vermitteln einen Eindruck. „Kindsmörderinnen“ vor allem saßen ein, in einer Gesellschaft wohlgemerkt, die sich ums unsterbliche Seelenheil der Kinder kümmerte, nicht aber darum, wie sie sat wurden oder dass eine ungewollte Schwangerschaft eine Frau ruinierte. Auch Elise Marie Schätzle war damals Gefangene in Gotteszell. Mit ihren 13 Jahren (!) hatte sie schon einiges hinter sich: einen „versuchten Mord“, die Gerichtsverhandlung und Monate der Haft, die sie zu zerbrechen drohten.
Das Leben in Gotteszell im frühen 20. Jahrhundert – welch ein Unterschied zur Gegenwart. In der zeitgenössischen Zelle findet sich eine gehäkelte Tagesdecke und Blumen – laut Viehöfer ein entscheidender Unterschied zum „Männerknast“. An der Wand ein Gedicht „Kennst du den Ort, wo die Sonne nie scheint“. Viele der Exponate werden in Gotteszell schmerzlich vermisst, Gegenstände aus der Mutter-​Kind-​Abteilung zum Beispiel. Die Seelsorge wird vorgestellt, bis hin zum Gebetsteppich, die Arbeitsbereiche, sogar Extrembeispiele aus der Kleiderkamme – Büstenhalter in allen Größen vom winzigen Dreieck bis zum Waschkorbformat, Hosen der Größe 68. Bestens dokumentiert ist die Entwicklung der Gefangenenzeitung „Die weiße Frau“, und nicht zur zu sehen, sondern auch zu kaufen sind die Eigenproduktionen, die obersüßen Klosterratten, Taschen und Puppenkleider aus Matratzenstoff und anders mehr – nicht im Ludwigsburger Sortiment sind die recht exklusiven „lemonfish“-Taschen. All das wird übrigens zum Tag der offenen Tür am 20./21. Juni für einige Tage, im September dann für immer zurückgebracht

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