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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Autor und Pädagoge Frank Beuster zu Gast in Gmünd — mit provozierenden Thesen

„Jungs sind nicht dumm, aber zunehmend die Dummen“, so Frank Beuster, Lehrer, Fortbildner, Buchautor und Initiator interessanter Jungenprojekte, bei seinem Vortrag in Gmünd.

Dienstag, 02. Juni 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 42 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (fm). „Jungen halten uns einen Spiegel vor; ihre Katastrophe ist eigentlich die Mensch gewordene Unfähigkeit der Erwachsenen und unserer Gesellschaft, die Entfaltung verhindert und Überforderung schafft“ so Originalton Beuster. Er sprach auf Einladung des Klosters der Franziskanerinnen, des Katholischen Bildungswerks, der Evangelischen Erwachsenenbildung sowie des Religionspädagogischen Instituts. Das Thema: „Jungen in der (spirituellen) Krise?“ Beuster ergänzend: „Ich habe das Buch „Die Jungenkatastrophe“ für unsere Jungen geschrieben, nicht gegen die Mädchen.“ Warum die in den letzten Jahren stärkere Beschäftigung mit den Jungen? „Immer wenn etwas Schlimmes passiert“, so Beuster, „beschäftigt uns dieses Problem, ziemlich schnell aber vergessen und verdrängen wir es.“ So stieg 2008 die Zahl der Jugenddelikte um 25 Prozent, überwiegend von Jungen begangen. Jungen vor allem erleiden gesellschaftlichen Schiffbruch, geraten in Not, vieles wird von Ihnen gefordert, wofür ihre „Bordmittel“ nicht ausreichen, Hartmut von Hentig formulierte einmal: „ Egal was die Feminismusbewegung sagt, Jungen haben schon immer gelitten.“ Bedenklich wird es, wenn die Krise zur Katastrophe wird. Vielleicht aber brauchen wir Krisen, damit wir merken, dass es so nicht weitergeht. „Denn es gibt so viele nette, sympathische Jungs, kraftvoll und leidenschaftlich.“ Und so Beuster weiter: „Jungs sind nicht dumm aber zunehmend die Dummen.“ Die Probleme fingen schon bei der Geburt an („Schon als Baby blau“ wie Herbert Grönemeyer singt), späteres Erreichen des Reifezustands, „Gefühlslegastheniker“, Erziehungsrebellen, Sprachlosigkeit, Bildungsverlierer, hoher Anteil an Arbeits– und Obdachlosen, süchtig nach Anerkennung (die sie nicht bekommen) und „dann sterben sie auch noch sechs Jahre früher als Frauen“ – vielleicht eine Folge ihres angeblichen, lebenslangen Versagens, ihres Nicht-​Anerkannt-​Seins, vielleicht auch froh, diesen Zustand zu beenden: die Suizidrate bei Männern ist signifikant.
Jungen sind ein Seismograph unserer Gesellschaft: und da bemerkt man, dass Jungen an der Entfaltung ihrer männlichen Vielfalt gehindert werden. Fakten: Seit 1990 hat sich die Zahl der Jungen ohne Arbeitsplatz mehr als verdreifacht. Liebevoll vermittelte, positiv geformte Männlichkeit erfahren Jungen viel zu selten, „zu viel Mutti ist zu viel“. Neue Zahlen aus dem Bundesland Brandenburg lassen aufhorchen: der Anteil der männlichen Lehrkräfte an Grundschulen 7,3 Prozent, an Gesamtschulen 26,9 Prozent, an Gymnasien 29,5 Prozent, an Sonder– und Förderschulen 11,4 Prozent. Wo bleiben in der wichtigen Phase der schulischen Bildung die männlichen Vorbilder? Mädchen sind auch überwiegend für die Aktivitäten an den Schulen zuständig. Beuster: „Sind Jungen überhaupt für die Schule geeignet? Sie sind für diese Form der Schule nicht geeignet.“ In den Schulen könnten Jungen ihre Lebensträume nicht verwirklichen, Umwelt– und Naturbegegnung, für Jungen sehr wichtig, gebe es nicht in ausreichendem Maße („vielleicht sollte man Jungen lieber „Trampolin statt Ritalin“ geben.“)
Beuster leitete zum spirituellen Aspekt über, schürfte tiefer: Wie steht es mit der Spiritualität der Jungen, dem Wesentlichen, ihrem Innersten, ihrer Seele? Jeder Mensch, auch die Jungen, tragen in sich die Sehnsucht nach einer gerechten, friedvollen und achtsamen Welt, die Sehnsucht einer Beziehung zum Nächsten und zu Gott, das Sich-​Sehnen nach Anerkennung und Liebe.
Jungen wollen Grenzen überwinden, beweisen sich ständig, können mehr als man ihnen zutraut, sind zielorientiert, wollen Grenzen überschreiten, das Unmögliche möglich machen. Sie besitzen eine inspirierte Körperlichkeit, zeigen viel Interesse an Sexualität, da das für sie leibhaft gewordene Spiritualität ist („Da bin ich im 7. Himmel“). Aber auch in spiritueller Hinsicht sind die Jungen in eine Krise geraten: die starke Ausrichtung unseres Lebens zu einer starken Diesseitigkeit, der Mangel an motivierenden männlichen Vorbildern und auf kirchlicher Seite die Entwicklung der Kirche zu einer Frauenkirche.
Was ist nötig, notwendig? „Pragmatisches Handeln und ein sich dem Ungewissen mutig öffnendes Handeln zulassen, Ausgewogenheit zwischen Wort und Tat anstreben, Freiräume gewähren, männliche Gruppenerfahrung zulassen, tragfähige Beziehungen aufbauen.“ Beusters Schlussbemerkung: „Veränderung ist möglich, auch für scheinbar hoffnungslose Fälle. Jungen haben sehr viel in sich, sie können viel erreichen, es muss ihnen nur gezeigt werden, wie es geht und in welche Richtung es gehen soll.“

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